Lotus: Mit Chapmans Geist in drei Jahren zum Sieg?

Vor dem Heimspiel erklärt Lotus-Technikchef Gascoyne, was Videospiele, Flipper und Cricket-Netze in der Fabrik zu suchen haben und wie man bald siegen will

(Motorsport-Total.com) - Es wird ein besonderes Wochenende für das Lotus-Team. In Silverstone findet nun endlich der wahre Heim-Grand-Prix des britischen Traditionsrennstalls statt. Doch nicht alle nehmen den Rennstall, der dieses Jahr nach dem Formel-1-Aus 1994 ein Comeback feiert, ganz für voll. Statt dem legendären Teamchef Colin Chapman sitzt nun Fluglinienbesitzer Tony Fernandes am Ruder, der den malaysischen Automobilhersteller Proton überzeugt hatte, sein Team zu unterstützen. Kritiker werfen dem Malaysier daher vor, den Namen Lotus bloß für sein Geschäftsmodell zu missbrauchen.

Titel-Bild zur News: Mike Gascoyne

Schräger Kerl, große Ziele: Gascoyne will Lotus in drei Jahren zum Sieg führen

Technikchef Mike Gascoyne bestätigt gegenüber dem 'Telegraph', dass ihm die Kritikpunkte durchaus bewusst sind: "Als das Projekt präsentiert wurde, gab es viel Skepsis. Doch wir haben die Unterstützung der Chapman-Familie. Wir haben die Unterstützung von Lotus. Wir haben unseren Sitz in Norfolk, nur zehn Meilen von der originalen Lotus-Fabrik entfernt. Außerdem bin ich ein Kerl aus Norfolk." Insider wissen: In Wahrheit zieht Gascoyne, der schon bei Jordan, Renault, Toyota und Force India als Technikchef fungierte, bei Lotus die Fäden.#w1#

Menschlichkeit statt Hightech

Der Brite zählt zu den charismatischsten Managern in der Formel 1 - und er sorgt bei Lotus für die gewisse Authentizität. In der neuen Lotus-Fabrik fühlt man sich auf den ersten Blick eher an die glorreichen 60er und 70er Jahre erinnert, als an ein topmodernes Formel-1-Team. Gleich im Eingangsbereich steht der legendäre Lotus Type 32B, mit dem Jim Clark 1965 den Titel holte und 13 Siege einheimste, überall hängen Fotos von Legenden wie Ayrton Senna und Nigel Mansell. Außerdem kann es passieren, dass einem plötzlich ein Hund über den Weg läuft - in der klinisch sauberen Hightech-Fabrik von McLaren wäre dies eine unvorstellbare Situation. Das "Herrchen" ist Gascoyne selbst, der als großer Tierfreund gilt: Der Brite besitzt außerdem zwei neuseeländische Kune-Kune-Schweine, zwei Esel, ein Pferd, vier Alpaka-Schafe und eine Handvoll Enten und Hühner.

Auch einen topmodernen Formel-1-Simulator, wie in McLaren seit fast einem Jahrzehnt erfolgreich einsetzt, sucht man in der Lotus-Fabrik vergeblich. Stattdessen findet man Spielkonsolen, die man von den Videogames der 1980er Jahre kennt. "Wir haben hier einige Flipper und Arcade-Spiele, das stimmt", bestätigt Gascyone. "Wir haben aber auch eine PlayStation 3 und einen Playseat." Doch was hat all das in einer Formel-1-Fabrik verloren? Gascoyne erklärt: "Tony Fernandes wollte, dass wir als Team anders auftreten - viel zugänglicher. Wir werden auch noch Cricket-Netze, Picknicktische und Torpfosten aufstellen. Wir müssen die Leute nach Norfolk locken."

"Wir werden in der Fabrik auch noch Cricket-Netze, Picknicktische und Torpfosten aufstellen." Mike Gascoyne

Der frische Zugang von Fernandes und Gascoyne beweist: Beim neuen Lotus-Team handelt es sich keineswegs um eine leere Seifenblase mit einem klingenden Namen - stattdessen legt man viel Wert auf die eigene Tradition, mit dem offenen Zugang rettete man sogar ein Stück der alten, offeneren Formel 1 ins neue Jahrtausend hinüber. "Das neue Lotus-Team hat schon jetzt eine gewaltige Fan-Basis. Wir sind uns des Erbes bewusst und haben die Verantwortung, Leistung zu bringen. Lotus ist immer noch das vierterfolgreichste Team der Formel 1."

In drei Jahren zum ersten Sieg?

Und auch zur Familie von Colin Chapman hat man einen hervorragenden Draht: Beim Jubiläum des 500. Grand Prix für Lotus war dessen Sohn Clive in Valencia - Gascoyne glaubt zudem, dass Colin selbst stolz auf die Arbeit seiner Erben wäre: "Wenn man bedenkt, dass wir in den vergangenen neun Monaten erreicht haben, dann würde Colin wahrscheinlich sagen, dass das gutes Ingenieurswesen war."

"In drei Jahren wollen wir gewinnen, denn in der neuen Formel 1 wird Innovation belohnt." Mike Gascoyne

Jetzt visiert Gascoyne den 80. Sieg für Lotus in der Formel 1 an. Dieses Ziel will er in drei Jahren erreichen. "Das klingt wie eine unrealistische Hoffnung", gesteht der Brite. "Doch die Formel 1 ändert sich. Die vergangenen zehn Jahre waren ein Wettbewerb im Geld ausgeben, doch jetzt wird Innovation belohnt." Und genau dafür war Colin Chapman stets bekannt: Seine Lotus-Boliden waren in Sachen Sicherheit stets am absoluten Limit konstruiert, warteten aber regelmäßig mit revolutionären Ideen auf. Will Gascoyne tatsächlich in seine Fußstapfen treten, wird er noch einiges ändern müssen. Das beweist ein Blick auf die spartanische Aerodynamik des ersten "neuen" Lotus. Doch der Technikchef setzt bereits die richtigen Prioritäten: Vor wenigen Wochen lockte er einige Aerodynamiker und Designer von Force India zu Lotus - ab sofort gilt die Konzentration der Saison 2011.