• 31.01.2014 16:49

  • von Michael Noir Trawniczek

Lotus-IT-Leiter Taylor: "Schützen uns vor Hackerangriff"

Lotus-IT-Leiter Michael Taylor gibt im Interview Einblicke, wie ein Team arbeitet, wie die Konkurrenz kopiert wird und wie er die Gefahr eines Hacker-Angriffs einschätzt

(Motorsport-Total.com) - Computer und IT-Systeme sind aus modernen Unternehmen - und natürlich auch aus Formel-1-Teams - längst nicht mehr wegzudenken. Bei Lotus in Enstone kümmert sich der Brite Michael Taylor um alle IT-Belange des Rennstalls - er ist verantwortlich für die IT-Infrastruktur, für die Umsetzung des werkseitigen Designprozesses, für das Abhalten von Simulationen, für die Umsetzung des Fahrzeugbaus und auch auf der Rennstrecke für den Aufbau und die Erhaltung der Datensysteme. Taylor hat somit einen tiefen Einblick in sämtliche Bereiche des Rennstalls.

Titel-Bild zur News: Michael Taylor

Lotus-IT-Leiter Michael Taylor weiß, wie ein Team hinter den Kulissen funktioniert Zoom

Im Rahmen der von Lotus-Partner Microsoft organisierten Veranstaltung "Business-Management auf Formel 1-Niveau" stand Taylor, der seit elf Jahren in Enstone arbeitet und sich selbst als "technologischer Träumer" bezeichnet, für ein Interview zur Verfügung, wo er über die Auswirkungen des neuen Reglements, die Arbeitsprozesse bei Lotus und die Gefahr eines Hackerangriffs sprach.

Frage: "Herr Taylor, bei einem Werksbesuch bei Red Bull Racing durften wir kurz in den Konstruktionsraum: Dort herrschte absolute Stille - zahlreiche Computermonitore, an jedem saß ein Techniker, der in aller Stille an einem Element arbeitete. Wenn ein Team jedoch ein neues Auto baut - dann werden ja wohl nicht alle zugleich loslegen, daher meine Frage: Wie beginnt ein Formel-1-Team die Entwicklung eines neuen Fahrzeugs?"
Michael Taylor: "Das ist eine sehr gute Frage. Also: 2014 ist sehr wichtig, weil die Regeländerungen dermaßen signifikant waren. Das ist ein kompletter Reset der Performancebasis in der Formel 1. Und es ist für Sie vielleicht keine Überraschung, dass die meisten Teams bereits über Jahre hinweg an den 2014er-Projekten arbeiten."

"Generell starten wir mit einer kleineren Gruppe. Deren Fokus besteht darin, das Reglement zu lesen und es zu verstehen - und da handelt es sich um eine große Anzahl an Seiten. Wenn diese Gruppe das Reglement gelesen hat, entwickeln sie einen Masterplan - dann teilen sie sich in die verschiedenen Sektionen auf..."

Chefdesigner nur bis Saisonstart für aktuelles Auto zuständig

Frage: "Wie viele Leute sitzen in dieser kleinen Gruppe?"
Taylor: "Ich darf hier leider keine konkreten Zahlen nennen, denn es könnte für unsere Konkurrenz ein Vorteil sein, diese Informationen zu erhalten. Aber es ist eine sehr kleine, geschlossene Gruppe, die hier zusammenarbeitet. Das ist klar - da gibt es viel zu viel zu tun, als dass es eine oder zwei Personen erledigen könnten. Und diese Leute beginnen also sehr früh, ihre Ideen über die Umsetzung der Regeln zu entwickeln."

"Sobald das Auto sein erstes Rennen fährt, übergibt es der Chefdesigner dem stellvertretenden Chefdesigner." Michael Taylor

"Dann haben wir den Chefdesigner, der für das Auto verantwortlich zeichnet - sobald das Auto sein erstes Rennen fährt, übergibt er das Auto dem stellvertretenden Chefdesigner, er wird dann in der laufenden Saison an dem Auto weiterarbeiten. Wenn wir also in Australien unser erstes Rennen fahren, wird der Chefdesigner den E22 übergeben, sobald die Ampel auf Grün schaltet. Er selbst wird sich ab diesem Zeitpunkt auf den E23 konzentrieren, auf unser nächstjähriges Fahrzeug. Er wird dann mit einer etwas größeren Gruppe arbeiten."

"Die Verteilung der Ressourcen stellt natürlich eine große Herausforderung dar. Denn zugleich ist die laufende Entwicklung des E22 essentiell für uns, um unsere Performance und unsere Konkurrenzfähigkeit zu verbessern. Es geht also um eine gute Verteilung von Ressourcen - was die Entwicklung des neuen und die Weiterentwicklung des aktuellen Fahrzeugs anbelangt. Die meisten Teams erreichen dann im Sommer einen Punkt, den ich als 'natural break' bezeichnen würde - denn ab dem Herbst wechselt der Fokus dann endgültig auf das nächstjährige Fahrzeug. Ab dem August wird also eine größere Anzahl an Personen bereits am E23 arbeiten. Die meisten Teams arbeiten so."

"Der Chefdesigner legt den Fokus auf das gesamte Auto - er bringt all diese Gruppen, all diese Bereiche zusammen." Michael Taylor

Frage: "Was mir noch auffiel: Diese Designer arbeiten alle nur an Bauteilen..."
Taylor: "Ja, da gibt es verschiedene Gruppen, da haben wir zum Beispiel eine für den Antriebsstrang, die mechanischen Elemente rund um das Getriebe, die Antriebswelle. Dann gibt es eine Gruppe, die sich den anderen mechanischen Aspekten widmet. Dann haben wir natürlich eine ziemlich große Werkstoff-Gruppe, die unsere Ideen, die im Windkanal und mittels CFD (Computational Fluid Dynamics, Anm. d. Red.) geboren wurden, in die Realität umsetzt. Da geht es auch darum, das verarbeitete Material weiterzuentwickeln und den gesamten Bauprozess zu verbessern. Dann haben wir..."

Frage: "Entschuldigung, meine Frage ging in diese Richtung: Sie sitzen alle an jeweils einem Bauteil - doch sind sie in der Lage, die Arbeit der anderen anzusehen? Haben sie einen Zugang zu dem Ganzen?"
Taylor: "Wir haben natürlich unterschiedliche Rollen und Aufgaben im Design-Office, die sich um die verschiedenen Bereiche kümmern. Das Wichtige ist jedoch: Sie arbeiten alle unter einem Chefdesigner. Er legt den Fokus auf das gesamte Auto - er bringt all diese Gruppen, all diese Bereiche zusammen. Und dann eben übergibt er das Auto und arbeitet mit der nächsten Gruppe am nächstjährigen Fahrzeug."

Wie Genieblitze entstehen

Frage: "Der E22 verfügt über eine sehr innovative Nase. Hat da einer gesagt: 'Hey! Leute, ich hab es! Das ist die optimale Nase!? Oder wie ist es dazu gekommen?"
Taylor: "Leider weiß ich nicht Bescheid darüber, wie es im konkreten Fall zu diesem Konzept kam, um ehrlich zu sein. Aber ja, es kann natürlich auch von einer einzelnen Quelle ausgehen - oder auch von einer Gruppe, die gemeinsam analysiert und entwickelt. Aber genau diese Dinge, die man sich so vorstellt - die können auch wirklich so passieren, denn das gehört dazu, wenn man kreative Arbeit leistet. Design ist immer auch Leben. Ich weiß also nicht, wie diese Nase konkret entstanden ist - aber es gab mit Sicherheit diese Idee, von wem auch immer sie stammte. Und diese Idee wurde dann auf jeden Fall von einer Gruppe weiterentwickelt."

Michael Noir Trawniczek, Michael Taylor

Lotus-IT-Leiter Michael Taylor mit Reporter Michael Noir Trawniczek Zoom

Frage: "In einer kleinen Redaktion kann schon mal die Arbeit stillstehen, weil einer der Mitarbeiter ein File geöffnet hat. Wie werden solche Dinge gelöst? Wie weiß ich, wann wer auf welches File Zugriff hatund so weiter?"
Taylor: "Der Designprozess, die Arbeit an den Komponenten ist ziemlich komplex. Du musst immer darüber Bescheid wissen, welcher Prozess gerade am Laufen ist und wo Pakete geschnürt werden. Wir haben PLM (Product Lifecycle Management, Anm. d. Red.)- und PDM (Product Data Management, Anm. d. Red.)-Systeme, die es uns erlauben, das Auto in verschiedene Sektionen aufzuteilen und sie aber auch wieder zusammenzubringen als ein gesamtes Auto. Das ist also durchaus eine Herausforderung - aber es ist auch etwas, woran sich die Designer längst gewöhnt haben."

"Ideen wie die Lotus-Nase können natürlich auch von einer einzelnen Quelle ausgehen." Michael Taylor

Frage: "In Ihrem Vortrag haben Sie erklärt, dass Sie immer auch die Konkurrenz studieren, auch bei den laufenden Testfahrten. Jetzt hat McLaren diese Hinterrad-Verkleidung als Flügelprofil zum Einsatz gebracht - verläuft dieses Studium so schnell, dass jetzt in diesem Moment in Enstone einige Ihrer Techniker bereits vor dem Computer sitzen und dieses Konzept studieren?"
Taylor: "McLaren hat hier eine sehr innovative Lösung an der Hinterachse gefunden. Leider muss ich wieder sagen, dass ich nicht zu viele Informationen preisgeben kann. Aber alles, was wir an den Fahrzeugen der Konkurrenz sehen, studieren wir selbstverständlich - um zu erörtern, ob es an unserem Auto funktionieren könnte, ob es uns einen Vorteil verschaffen könnte, ob es uns weiterbringen könnte. Und genau das ist die Natur der Formel 1, vom Anfang bis zum Ende der Boxengasse."

"Im IT-Bereich geht es daher auch darum, das intellektuelle Eigentum so gut wie möglich zu schützen." Michael Taylor

"Wir versuchen natürlich immer, unsere Innovationen geheim zu halten, so gut wir das können und so lange es nur möglich ist. Im IT-Bereich geht es daher auch darum, das intellektuelle Eigentum so gut wie möglich zu schützen, die Datensicherheit zu gewährleisten, ein sicheres Daten-Sharing zu gewährleisten - das ist für den Erfolg von allerhöchster Bedeutung."

"Denn sobald die Lösung am Auto ist, kommen die Fotografen, und sie werden ihre Fotos erhalten. McLaren ist ein gutes Beispiel dafür, dass du Innovationen auf der Strecke nicht lange geheim halten kannst. Und sobald du ein gutes Foto erhältst, bist du in der Lage, diese Ideen an deinem eigenen Fahrzeug weiterzuentwickeln."

Wie von der Konkurrenz kopiert wird

Frage: "Ja, denn ein simples Kopieren wird ja wohl nicht genügen - die Ideen müssen ja mit dem eigenen Fahrzeugkonzept harmonieren. Das heißt: Während wir hier sprechen, sitzen in Enstone ein paar Leute und arbeiten daran, diese Idee in Ihrem Fahrzeug zu integrieren?"
Taylor: "Das ist absolut richtig. Ein direktes Kopieren funktioniert natürlich nicht immer - auch wenn die Autos einander sehr ähnlich sind, so sind sie doch, im Detail, sehr unterschiedlich. Was bei einem Team funktioniert, funktioniert bei anderen Teams vielleicht überhaupt nicht."

"Und es geht auch immer um die Balance zwischen der Front und dem Heck des Fahrzeugs - wenn du an der Front etwas änderst, wirkt sich das auf das Heck aus. Und umgekehrt ist es natürlich das Gleiche. Es ist also nicht notwendigerweise so, dass diese Lösung definitiv an unserem Fahrzeug funktioniert oder dass wir daraus irgendeinen Vorteil erlangen könnten, aber wir werden diese Lösung natürlich im Detail analysieren."

"Ein direktes Kopieren funktioniert natürlich nicht immer." Simon Taylor

Frage: "Renault hatte bei den Tests Probleme mit der Hardware, Red Bull kommt nicht vom Fleck. Stellen diese Probleme für Ihr Team einen Grund zur Besorgnis dar?"
Taylor: "Ich kann diese Frage nur für mich persönlich beantworten und nicht für das gesamte Team: Die Regeländerungen für 2014 sind dermaßen umfangreich - diese Art von Kinderkrankheiten, die wir derzeit sehen, die haben wir doch erwartet. Das ist doch immer so."

"Man wird immer beim Design an die Grenzen des Machbaren gehen, man verschiebt die Limits so weit raus, wie nur möglich. Letztendlich gibt es von Fall zu Fall Probleme - aber all diese Probleme werden gelöst werden. Man wird es lösen und man wird in der Lage sein, weiterzugehen. Das ist wirklich nur meine persönliche Perspektive, aber ich sage: Diese Probleme wurden erwartet, sie werden gelöst und wir werden dann in die neue Saison starten."

Formel 1 für Hacker attraktives Ziel

Frage: "Sie haben auch gesagt, dass Sie Ihr intellektuelles Eigentum schützen müssen. Versuchen die Teams an der Rennstrecke, aktiv in die Systeme ihrer Mitbewerber zu gelangen?"
Taylor: "Nicht so sehr unsere Mitbewerber - aber die Formel 1 ist ja doch ein Hochleistungs-Sport, und da sind potenzielle Angriffe auf unsere Systeme natürlich möglich. Das ist ein großer Unterschied zu Organisationen, die nicht vor einem so großen Publikum arbeiten. Wir haben hier natürlich ausreichend Ressourcen, um die Lage zu analysieren und einschätzen zu können. Aber das ist nicht etwas, das wir allgemein als gegeben betrachten - schon gar nicht an der Rennstrecke."

"Es gibt sicherlich ein paar Organisationen da draußen, die versuchen, den Sport zu stören." Michael Taylor

"Du bist in der Formel 1 dermaßen damit beschäftigt, was du selbst zu tun hast, dass du gar keine Zeit dafür hast, die Systeme deiner Rivalen zu hacken. Doch es gibt sicherlich ein paar Organisationen da draußen, die versuchen, den Sport zu stören. Auf eine bestimmte Art und Weise, anonym. Vor zwei Jahren, als wir in Bahrain waren, wurde die offizielle Website der Formel 1 gehackt - mit der Absicht, einige der Teams zu stören. Wir sind uns dieser Problematik also durchaus bewusst, unser Sport hat eben eine sehr große Öffentlichkeit. Wir sind uns darüber im Klaren, dass mit der großen Öffentlichkeit auch ein paar negative Aspekte dazukommen."

Frage: "Aber die oft und gern transportierte Philosophie der Formel 1 ist es doch, dass man immer alles versuchen muss. Von dieser Logik ausgehend bleibt mir doch gar nichts anderes übrig: Ich muss die anderen Teams hacken!"
Taylor: "(lacht) Es stimmt absolut: Du musst in der Formel 1 wirklich immer alles probieren! Aber die Formel 1 ist immer noch ein Gentlemen?s Sport. Da gibt es einen sehr großen Respekt, welchen die Teams voreinander haben. Wir alle lieben es, unsere Rivalen zu ärgern, aber wir respektieren einander."

"Was Red Bull in den vergangenen vier Jahren erreicht hat, ist signifikant. Da darf man sich keiner Täuschung hingeben: Sie waren das beste Team, und sie haben das beste Auto produziert, und sie haben die beste Performance an den Tag gelegt. Wir haben großen Respekt vor dieser Leistung. Aber natürlich: Unser Ziel ist es klar und eindeutig, sie zu schlagen."

"Aber letztendlich sind wir immer noch ein Gentlemen's Sport, da gibt es immer noch einige Gentlemen's Agreements. Wir gehen ans Limit, wir nehmen jeden nur möglichen Weg - aber wir tun es mit Menschlichkeit und dem nötigen Respekt voreinander."

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