• 06.07.2007 14:35

Hoffen und Bangen im britischen Motorsport

Lewis Hamilton lässt den Union Jack zwar flattern wie lange nicht, dennoch herrscht weiterhin Unruhe im britischen Rennsport

(Motorsport-Total.com) - Lewis Hamilton lässt den Union Jack zwar flattern wie lange nicht. Dennoch herrscht weiterhin Unruhe im britischen Rennsport, wie unsere Kollegen vom emagazine der Credit Suisse recherchiert haben. Auf dem Spiel steht nicht weniger als der Grand Prix in Silverstone. Wie groß Great Britain im Motorsport (wieder) ist, soll sich am Wochenende beim Großen Preis von Großbritannien zeigen. Lewis Hamilton und McLaren lassen den Union Jack zwar flattern wie lange nicht, aber ganz ist die britische Rennsportwelt damit noch nicht in Ordnung. Bernie Ecclestone und die Veranstalter in Silverstone setzen ihren Streit um die Zukunft des Rennens fort.

Titel-Bild zur News: Fans in Silverstone

Die britischen Fans sind so fachkundig und interessiert wie nirgendwo sonst

Für die Formel 1 beginnt in Silverstone nur die zweite Saisonhälfte, für eine ganze Insel aber der Ausnahmezustand. Silverstone weckt im Motorsport Emotionen wie sonst nur Monza - freilich auf die feine englische Art. Das war zwar auch schon vor Lewis Hamilton so, aber elf Jahre ohne einen Weltmeister mit britischem Pass haben zumindest den Hunger auf einen ernsthaften Titelanwärter wachsen lassen. Immerhin kamen bisher zwölf Formel-1-Champions aus dem Vereinten Königreich, das ist immer noch Länderrekord. Jenson Button, der als letzter Hoffnungsträger vorgesehen war, ist fast an diesem Anspruch zerbrochen.#w1#

Aus Jagdbombern entstehen Boliden

In der Mitte zwischen London und Birmingham liegt der Nabel der Formel-1-Welt: Wo sich im Zweiten Weltkrieg die Jagdbomber gegen Deutschland formierten, begann 1950 unter den Augen von Georg VI. die Neuzeit des Grand-Prix-Sports. Das lindert sogar den Schmerz, ausnahmsweise einmal nicht Mutterland einer Sportart zu sein, dieses Prädikat gebührt seit 1895 Frankreich. In Silverstone drehten die durch das Kriegsende arbeitslos gewordenen Flugzeugmechaniker zwischen Strohballen und mit Rennvehikeln, die sie aus Armeehinterlassenschaften gebastelt hatten, erste fliegende Runden auf der Piste. Offenbar eine ideale Grundausbildung - und der Beginn eines Booms, der viel mit Besessenheit zu tun hat.

Eine Industrie mit 50.000 Jobs

Stolz steht über der Zufahrt zu der Rennstrecke rund um den alten Flugplatz von Silverstone "Heimat des Motorsports". Nicht ganz zu Unrecht: Immerhin haben acht der elf Formel-1-Rennställe ihren Teamsitz in der Gegend, neben den britischen Traditionsrennställen McLaren und Williams auch Renault, Honda, Super Aguri, Red Bull Racing, Toro Rosso und Spyker. Und auch Prodrive, das 2008 das Zwölferfeld komplettieren wird, kommt vom Territorium der Queen. Wenig verwunderlich, dass jeweils 29 Fahrer- und Konstrukteursweltmeisterschaften mit Rennwagen made in Britain gewonnen wurden. Direkt oder indirekt hängen 50.000 Jobs vom Motorsport ab.

Eine Region feiert ihre Ingenieure

Die Rennställe haben qualifizierte Zulieferer und Dienstleister angezogen. 2.400 Firmen sind es insgesamt, die sich in dieser Motorsportebene angesiedelt haben: "Nirgendwo sonst auf der Welt ist die Ingenieursdichte so hoch wie hier", behauptet Richard Phillips, Geschäftsführer der Rennstrecke von Silverstone. Ein wichtiger Standortvorteil: Die Arbeitszeit wird vom Ziel diktiert, nicht von der 37,5-Stunden-Regelung. Auch die Mechaniker sehen ihr Tun sportlich. Generell gilt - abseits vom Hype um Hamilton - der Grundsatz: "Nicht Supersportler sollen herangezogen werden, sondern Supertechniker." Das ist Balsam für die einheimische Automobilindustrie, die eine Talfahrt ohne Gleichen hinter sich hat. Die Traditionsmarken wie Jaguar, Rolls-Royce oder Mini sind längst in ausländischen Händen.

Ecclestone lästert über Silverstone

Am Grand-Prix-Wochenende ist Silverstone der größte Zeltplatz der Welt mit eigener Rennstrecke. Ein echtes Spektakel, das Zauberwort "Racing" elektrisiert die Massen mehr noch als "Royalty". Trotzdem droht Formel-1-Boss Bernie Ecclestone, das Heimspiel in der Grafschaft Northamptonshire zu kippen, falls nicht mit dem längst fälligen Ausbau der Strecke begonnen wird. Der Vertrag, angeblich mit 20 Millionen Dollar Startgeld plus zehnprozentiger Steigerung pro Jahr dotiert, läuft noch bis 2009.

Ecclestone hat sich auf Silverstone eingeschossen, bescheinigt der traditionellen, aber stets finanziell klammen Anlage gallig einen "Dritte-Welt-Standard". Eine Zeit lang hatte er damit gedroht, die französische und die britische Traditionsveranstaltung nur noch alternierend auszurichten. Ein Aufschrei ging durch die patriotischen Reihen, aber inzwischen dürfte Magny-Cours - aus vergleichbaren Gründen - ganz vom Rennkalender verschwunden sein.

Ein Technologiepark als Finanzquelle

Der Druck auf Silverstone wächst mit jedem Hamilton-Erfolg, ein Aus für den britischen Grand Prix würde gerade jetzt niemand verstehen. Dennoch warnte auch Max Mosley, Präsident des Automobilweltverbandes FIA: "Entweder eine Firma oder die Regierung müssen investieren, sonst verliert Silverstone den Grand Prix." Aber öffentliche Gelder, das hat die Regierung immer wieder beschieden, wird es für die Privatanlage nicht geben. Nun soll ein Technologiepark unmittelbar neben der Piste die nötigen finanziellen Mittel für den Ausbau der Infrastruktur einspielen. Mosley verrät, worum es hinter den Kulissen wirklich geht - einen mit aller Schärfe geführten Machtkampf: "Dass alte Gentlemen den Grand Prix veranstalten, ist eine nette Idee, aber die funktioniert nicht."

Der Altherrenklub gerät unter Druck

Denn betrieben wird die Anlage, deren Immobilienwert auf fast 75 Millionen Euro taxiert wird, vom British Racing Drivers Club. Dessen Vorsitzender ist Damon Hill, zu den Vizepräsidenten zählen Sir Jack Brabham, Martin Brundle, Ron Dennis, Sir Stirling Moss, John Surtees, Sir Jackie Stewart oder Sir Frank Williams. Hill, der etwas frischen Wind ins verstaubte Clubzimmer brachte, hat gelernt, mit Intrigen zu leben, aber er weiß: "Wir müssen die Bedrohungen ernst nehmen." Eine Komplettrenovierung sieht er als nicht notwendig an: "Wir sind nicht weit entfernt von den Forderungen des Formula One Managements. Wir dürfen uns aber finanziell auch nicht übernehmen." Zwei Wochen nach dem Großen Preis von Großbritannien wird über die Zukunft entschieden. Zur Debatte steht ein Investitionsplan von 45 Millionen Euro für Silverstone - neben neuen Boxengaragen und Tribünen soll auch ein Hightechpark und ein Fahrsicherheitszentrum entstehen. Noch weigern sich die verdienten Sportler beharrlich, die Veranstalterrechte an einen kommerziellen Anbieter abzugeben.

Hamiltons Großvater wird eingeflogen

Ein richtig großes Geschäft war der Große Preis von Großbritannien in den letzten Jahren nicht. Hill: "Unser Spielraum ist hauchdünn wie eine Waffel." Weshalb sich Silverstone um zusätzliche Zugpferde gekümmert hat, um die letzten Tickets, die zwischen 70 und 500 Euro fürs Wochenende kosten, an den Mann zu bringen: Ein ehemaliges Model wurde zum offiziellen Gesicht des Grand Prix gewählt, und sogar Davidson Hamilton, der Großvater von Lewis, wurde zur Werbefigur gemacht: Der ältere Herr aus der Karibik wird seinen Enkel erstmals in einem Formel-1-Rennen sehen - und das als WM-Tabellenführer. Very british, diese Attraktionen...