• 24.11.2012 00:58

Haug: "60? Die Zahl kommt mir spanisch vor"

Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug feiert heute seinen 60. Geburtstag - Im Interview blickt er auf die bewegte Zeit der vergangenen Jahre zurück

(Motorsport-Total.com/SID) - Seit 22 Jahren ist Norbert Haug Mercedes-Sportchef. Am Samstag feiert er seinen 60. Geburtstag. Eine andere Aufgabe kann sich Haug durchaus noch einmal vorstellen, dennoch denkt er im Moment noch nicht ans Aufhören, wie er im Interview verrät.

Titel-Bild zur News: Norbert Haug (Mercedes-Motorsportchef)

In Schanghai feierte Norbert Haug ausgelassen den Formel-1-Sieg

Frage: "Der Volksmund sagt 60 ist das neue 50. Ist die 60 auch für dich nur eine Zahl?"
Norbert Haug: "Die Zahl kommt mir schon ein bisschen spanisch vor. Und das ist auch gut so."

Frage: "Wie wirst du deinen Ehrentag verbringen?"
Haug: "Als es noch 16 Rennen gab, lag mein Geburtstag immer außerhalb der Saison. Jetzt, mit 20 Rennen, ist es diesmal ausgerechnet der Samstag beim Finale in Brasilien. Also wird es statt Fest Arbeit geben."

Frage: "Was treibt dich an?"
Haug: "Ich bin so fit, motiviert und engagiert wie eh und je. Eher noch mehr. Mit meiner Aufgabe wurde es seit 1990 nie wirklich langweilig. Da gibt es viele Reisekilometer und in diesem Jahr Termine an 38 aufeinanderfolgenden Wochenenden. Man muss diese Herausforderung mögen und eine Berufung in den Aufgabenstellungen sehen. Und man muss Menschen um sich haben, die das akzeptieren und unterstützen."

Frage: "Hält der Motorsport jung?"
Haug: "Unbedingt. Die Arbeit mit jungen Menschen und die stete Anforderung, schnell und präzise entscheiden zu müssen, sind echtes Fitnesstraining, und sich körperlich fit zu halten, gehört dazu. Man kann und muss sicherlich zwischendurch mal abrocken, aber ich versuche schon seit langer Zeit, so oft wie möglich so früh wie möglich ins Bett zu gehen und zu schlafen. Speziell unter der Woche. Um neun Uhr werktags ins Bett - das habe ich in den letzten zehn Jahren ganz freiwillig ganz oft gemacht. Das klingt vielleicht etwas unracerhaft - aber ich kann das jedem nur empfehlen."

Frage: "War der Journalist Norbert Haug noch wilder?"
Haug: "Als ich noch Journalist war, war ich öfter um 2 Uhr nachts noch unterwegs und konnte nicht verstehen, dass schon Schluss sein sollte. Und morgens um 10, 11 habe ich mich dann gefragt, was ich heute schreiben werde. Das war schon angenehmer, wenn auch bei 'auto, motor und sport' mit sehr hohem Anspruch und sehr großem Erfolg des Blattes. Jetzt bin ich mehr durchgetaktet. Man muss dabei Treiber sein, kein Getriebener. Treiber heißt allerdings nicht, die Peitsche rauszuholen, sondern beständig Gas zu geben: Go, go, go. Man muss nicht hetzen, aber sei dir sicher, dass du immer und stetig gehst und dich voranbewegst, Schritt für Schritt, keine zwei auf einmal."


Fotos: Mercedes, Großer Preis von Brasilien


Frage: "Du warst in der DTM, der Formel 1 und vielen Rennserien immer dabei, bei vielen Hundert Rennen seit 1990. Ist es dir nie zu viel geworden?"
Haug: "Es wird mir nur zu viel, wenn wir nicht gewinnen. Der schönste Lohn ist der Erfolg. Aber Stärke zeigt sich gerade auch in einem Tal."

Frage: "War 2012 so ein Tal mit der schwachen zweiten Saisonhälfte in der Formel 1 und dem denkbar knapp verpassten DTM-Titel?"
Haug: "In 22 Jahren waren bei den zahlreichen Erfolgen und Gipfelstürmen notgedrungen auch immer wieder Täler zwischen den Gipfeln. In der DTM zum Beispiel, haben wir seit 1991 bisher 145 Rennen gewonnen - mehr, als wir verloren haben. Aktuell ist das in der Formel 1 für unser Team vielleicht ein ziemlich verschlungenes und hartes Tal. Aber durch Härte lernt man auch Stärke. Wir sind eine tolle und fleißige Mannschaft, deren Teil ich bin. Alle Teammitglieder leiden bei Niederlagen genauso wie ich, aber sie sind keine Heulsusen, sondern starke und engagierte Männer und ganz tolle und starke Damen. Da ist immer Drive, Feuer und Spaß dabei, und wir werden aus dem Tal wieder auf den Berg kommen, ganz, ganz sicher."

Frage: "Siehst du dich auch mit 70 noch am Kommandostand an der Rennstrecke?"
Haug: "Ich möchte zur Verfügung stehen, solange mich das begeistert und solange man der Meinung ist, wir brauchen ihn, und mit ihm klappt es besser als ohne ihn. Ich habe auch durchaus sehr viele Gedanken an Soziales, an Gerechtigkeit und daran, wie die Welt mit ihren Bewohnern tickt. Da kann ich mir schon irgendwann noch eine neue Herausforderung vorstellen. Zuvor aber weiß ich, wie gut sich Hochs im Sport anfühlen, und das Gefühl werden wir uns wieder erarbeiten."

Frage: "Kann man sich auch an Niederlagen gewöhnen?"
Haug: "Man kann nach außen eine Niederlage erklären und vertreten. Aber ich bin ganz sicher ein schrecklich schlechter Verlierer, und am Wettbewerb des guten Verlierers möchte ich niemals teilnehmen: Ich bin viel lieber ein guter Gewinner als ein schlechter Verlierer."

Frage: "Um häufiger zu gewinnen, hat Mercedes Niki Lauda für die kommende Saison als Aufsichtsratschef des Teams berufen. Fühlen du dich zurückgesetzt?"
Haug: "Bei uns gibt es keine Personality-Show. Wenn wir uns stärken können mit Kompetenz, dann ist das wunderbar und vollkommen richtig. Ich muss nicht auf dem Siegerpodium stehen. Ich kann mir auch mit einer Tasse Tee die Siegerliste ansehen, und wenn der richtige Name oben steht, dann habe ich ganz viel Freude."

Frage: "Was schätzt du besonders an deiner Aufgabe?"
Haug: "Die 360-Grad-Anforderung in allen Bereichen, Menschen, Technik, Budget oder Kommunikation. Wo gibt es diese Rundumherausforderung? Man wird hoch gepriesen im Erfolg und muss den Kopf hinhalten bei Misserfolg. Und das ist richtig so: Wer mit der Niederlage nichts zu tun hat, hat auch mit dem Erfolg nichts zu tun."

Frage: "Du gehst mit der Zeit, bedienst dich stets neuer Techniken, aber bist sicher auch ein Traditionalist. Wäre es für dich vorstellbar, nicht für eine Marke wie Mercedes, sondern auch für ein Team wie Red Bull zu arbeiten?"
Haug: "Die Frage hat sich für mich nie gestellt. Aber natürlich kann man vor dem, was dort aufgebaut und an Erfolg eingefahren wurde, nur den Hut ziehen."