• 19.11.2007 18:27

  • von David Pergler

Hamilton: Der Weg an die Spitze der Formel 1

Hintergrund: Zehn Jahre dauerte es, bis Ron Dennis' Saat aufging - Lewis Hamiltons akribisch vorbereiteter Weg aus der GP2 in die Formel 1

(Motorsport-Total.com) - Wie war es möglich, dass aus dem neuen Fast-Weltmeister Lewis Hamilton ein Fahrer wurde, der auf Anhieb um die WM-Krone mitfährt? Was ist das Erfolgsrezept des britischen Wunderkindes? Wie wurde aus einem Nachwuchsfahrer der Superstar, der er heute ist? Um diesen Fragen auf die Spur zu kommen, lohnt es sich, ein Licht auf die intensive Ausbildung und Vorbereitung auf die Saison 2007 des smarten Briten zu werfen.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

Der neue Superstar der Formel 1, aber noch nicht Weltmeister: Lewis Hamilton

Hamilton hat gezeigt, dass es mit genügend Talent und einer guten Vorbereitung für einen Rookie absolut möglich ist, sich in einen Formel-1-Boliden zu setzen und sofort an der Spitze des Feldes zu fahren. Zwei Schlüsselbegriffe markieren dabei diesen Erfolg: Talent und Vorbereitung. Ersteres ist eine Hamilton in die Wiege gelegte, natürliche Gabe, das andere ist mehr als eine Dekade voller harter Arbeit, welche von Mclaren und dem Jugendförderungsprogramm von Mercedes-Benz unterstützt wurde.#w1#

"Lewis hat sich selbst zu dem Fahrer gewandelt, der er heute ist." Martin Whitmarsh

"Wir müssen an dieser Stelle unsere Rolle verdeutlichen", sagt McLaren-Geschäftsführer Martin Whitmarsh. "Lewis hat sich selbst zu dem Fahrer gewandelt, der er heute ist. Er hat all die harte Arbeit auf sich genommen. Wir stellten ihm nur unsere Unterstützung und unsere Einrichtungen zur Verfügung, wo er seine Fähigkeiten schleifen konnte. Vom ersten Tag an hat uns Lewis mit seinem Einsatz und seiner Hingabe überzeugt. Wenn das nicht der Fall wäre, hätten wir nicht einen müden Penny in ihn investiert."

Der schwierige Schritt aus der GP2 in die Formel 1

Hamilton begann wie alle Formel-1-Stars im Kart und arbeitete sich in den einzelnen Junior-Formelklassen hoch bis zur GP2, welche er als Sieger quasi mit Note eins absolvierte. Selbstverständlich führen auch andere Wege in die Formel 1, wie Sebastian Vettel zeigt, der nie in der GP2 fuhr, Hamiltons Pfad aber gilt als der anerkannt optimalste.

In der GP2 haben die Fahrer in recht kraftvollen Autos die Möglichkeit, an ihren Fähigkeiten zu arbeiten und sich an viele Pferdestärken unterm Hintern zu gewöhnen, aber die Lücke zum Grand-Prix-Sport ist nach wie vor riesig. Die Autos beschleunigen wesentlich besser, durch die hohen Kurvengeschwindigkeiten bekommen die Piloten das Gefühl eines Kampfjets, die Bremsleistung ist immens, ganz zu schweigen von der gigantischen medialen Aufmerksamkeit, der die Piloten ausgesetzt sind. Selbst die GP2 kann in keinem dieser Belange annähernd mit der Formel 1 mithalten, doch wie schaffte Hamilton diesen Sprung?

"Ich sollte Lewis soweit vorbereiten, dass er in der Lage wäre, in Melbourne aufs Podium zu fahren." Phil Prew

"Im November 2006 wussten wir, dass Lewis 2007 für uns fahren wird", so Phil Prew, seines Zeichens Renningenieur von Hamilton. "Ron (Dennis; Anm. d. Red.) und Martin übertrugen mir die Aufgabe, ihn von einem GP2-Fahrer in einen Formel-1-Fahrer zu verwandeln. Um ehrlich zu sein, war der Auftrag mehr als nur das: Ich sollte ihn soweit vorbereiten, dass er in der Lage sein würde, in Melbourne aufs Podium zu fahren."

Natürlich musste Prew seinem Schützling nicht erklären, wie er zu fahren hätte, das habe sich der 22-Jährige in all den Formelklassen bereits angeeignet. Prews Jobs bestand vielmehr darin, Hamilton darin zu helfen, sein volles Potential zu entfalten und ihn in nur fünf Monaten all das wissen zu lassen, wofür andere Fahrer zwei Jahre zum Verstehen brauchen. Hamilton absolvierte mit seinem Team wöchentliche, aufeinander aufbauende Programme, welche dafür sorgen sollten, dass mit Hamilton der am besten vorbereitete und ausgebildete Rookie der Geschichte der Formel 1 ihre große Bühne betrat.

Training, Technik und Tabellen

Unter der Anleitung von seines Renningenieurs entdeckte und erfuhr Hamilton alles, was er über den Sport wissen musste, sowohl innerhalb, als auch außerhalb seines Boliden. Er lernte, wie man das Auto abstimmt, nach welchen Kriterien man die richtige Reifenwahl trifft, er übte Boxenstopps und Safety-Car-Phasen und setzte sich mit den komplizierten technischen Systemen des MP4-22 auseinander.

Außerhalb des Wagens arbeitete Hamilton mit den Ingenieuren in McLaren-Mercedes' Technikpalast Paragon in Woking. Er verbrachte viel Zeit bei den Technikern, welche die einzelnen Bauteile von McLaren-Mercedes' silbernem Renner fertigten, schaute in den Designbüros den Konstrukteuren über die Schulter, um zu lernen, was den Silberpfeil im Innersten zusammenhält, und besuchte die Aerodynamiker im Windkanal, um die Entwicklung seines Fahrzeugs von Grund auf zu verstehen.

Er half sogar, ein Chassis zu montieren. Natürlich sorgte das alles nicht dafür, noch schneller auf der Strecke zu werden, doch es vermittelte ihm einen guten Überblick über die Größe und Struktur eines Formel-1-Teams. Daheim wälzte er das FIA-Regelbuch. Ja, auch Formel-1-Piloten bekommen Hausaufgaben auf.

Fitness ist die halbe Miete

"Das Tolle an Lewis ist, dass man genau weiß, was er zu leisten vermag", lobt Teamboss Ron Dennis seinen Star. "Er ist wohl einer der wenigen Formel-1-Piloten, welche dir ganze Absätze aus dem FIA-Regelwerk zitieren können. Er möchte einfach alles verstehen, der beste Fahrer sein und in jeder Hinsicht ein Teammitglied sein. Er ist absolut konzentriert darauf, der beste Fahrer der Formel 1 zu sein."

Als ob dieses Arbeitspensum nicht genug wäre, absolvierte Hamilton ebenfalls ein intensives Fitnessprogramm über den Winter, um bereit für die physischen Anstrengungen und hohen G-Kräfte des schnellsten Sports zu sein. Im November zog der 22-Jährige in ein Apartment in der Nähe seines persönlichen Trainers Adam Costanzo, mit ihm arbeitete Hamilton im Winter jeden Tag.

"In Sachen Fitness haben wir ihm am Meisten geholfen." Adam Costanzo

"Schon als Lewis anfing, war er sehr fit", schwärmt Costanzo. "Die Autos der GP2 sind sehr schnell und sie haben keine Servolenkung. Er war also bereits von Anfang an sehr stark. Aber in seinem Trainingsprogramm gab es keine rechte Struktur, kein System. Das war eines der Gebiete, wo wir ihm wohl am meisten geholfen haben."

Mit Hilfe von Aki Hintsa, Sportmediziner bei Mclaren und dem Kuortane-Sports-Institut in Finnland, gelang es Costanzo, einen umfassenden Fitnessplan auszuarbeiten und Hamiltons Fitness zu verbessern. Er konzentrierte sich dabei darauf, den Halsmuskelbereich und Rücken zu stärken. Zum Einsatz kam dabei die Formel-1-Trainingsmaschine von Technogym; Medizinbälle und andere Gewichte rundeten das Trainingsprogramm ab. Hinzu kam noch Konditionstraining durch Laufen, Radfahren und Schwimmen. Zusätzlich spielte Hamilton Golf, was gut für die Konzentration sowie Beweglichkeit des Rückens und des Nackens ist.

Am Kuortane-Institut entwickelte Hintsa ein Trainingsprogramm von mehr als 150 verschiedenen Tests für Hamiltons Körper, dazu bekam der neue Star biodynamische und biomechanische Daten seiner Bewegungen und Analysen zu seinem Sauerstoffhaushalt. Jedes Mal, wenn Hamilton körperliche Probleme bekommt, erscheint er dort. So auch nach dem Großen Preis von Europa, wo er nach seinem Unfall im Qualifying Probleme durch verstopfe Nebenhöhlen hatte.

"Lewis lernt aus jeder Erfahrung", lobt Whitmarsch seinen Schützling. "Das Erlebnis am Nürburgring war für ihn ein Schock, er hatte dort einen Unfall und fühlte sich danach nicht mehr wohl. Er machte sich also in der folgenden Woche auf den Weg nach Finnland, kurierte sich dort aus und kehrte noch stärker am Hungaroring wieder zurück.

Hamiltons Werkzeug: der McLaren-Mercedes MP4-22

Hamiltons Entwicklung von einem GP2-Fahrer zu einem Formel-1-Piloten ging mit der Entwicklung des MP4-22 einher. Nachdem er sich genug Wissen über die Formel 1 angeeignet hatte, wurde das neue Auto just fertig gestellt. Beide Projekte waren also auf "first race sign-off" gestellt, was in McLarens internem Terminus soviel heißt wie rennbereit.

Der MP-22 musste in der Testphase nur noch Renndistanzen absolvieren und Hamilton konnte so nebenbei das Gelernte umsetzen und lernen, mit dem Wagen zu arbeiten. Nach dem finalen Shakedown in Silverstone brach das Team nach Australien auf - in der Gewissheit, dass Auto und Fahrer wirklich rennbereit waren.

"Lewis hat jede Aufgabe nicht nur erfüllt, sondern oft sogar übererfüllt." Martin Whitmarsh

"Lewis hat jede Aufgabe, die wir ihm gestellt haben, nicht nur erfüllt, sondern oft sogar übererfüllt", frohlockt Whitmarsh. "Es gibt in jeder Sportart Leute, welche die natürliche Fähigkeit haben, zu Siegern zu werden, viele haben aber nicht die nötige Disziplin, um das zu erreichen. Darüber gab es bei Lewis nie einen Zweifel - er wurde über den Winter stärker und immer stärker. Wir haben gesagt, dass wir ihn besser vorbereiten würden als jeden Rookie in der Geschichte der Formel 1. Wir glauben, wir haben unser Ziel erreicht."

Seitdem Hamilton Rennen für McLaren-Mercedes fährt, hat Hamiltons Renningenieur Prew eine Art onkelhafte Rolle eingenommen. Für Hamilton ist er nun mehr als nur ein gewöhnlicher Renningenieur. Er hilft seinem Fahrer, sich auf die Rennen vorzubereiten, indem er ihn mit unzähligen Informationen über die Strecken versorgt und ihm DVDs der vergangenen Rennen zeigt sowie Daten der McLarenfahrer in den vergangenen Jahren.

Die Früchte der harten Arbeit

Oft erkannte Prew, wie sehr sich die harte Arbeit über den Winter auszahlte: "Nach jedem Rennen gab es etwas, wo ich mir dachte: 'Das war gut, wie er das gemacht hat.' Zum Beispiel in Melbourne sagte ich zu Lewis, dass ich über die Reifentemperaturen am Start besorgt bin. Er setzte also alles daran, seine Reifen in der Einführungsrunde richtig aufzuwärmen und kassierte zwei Autos in der ersten Kurve", erklärt Prew. "In Kanada hat sich unser ganzes Training mit dem Safety-Car ausgezahlt und in Monaco war ich glücklich, dass er mit dem Rückwärtsgang vertraut war, weil er im Training einmal in Kurve eins geradeaus schoss. So konnte er problemlos zurückkehren und weiterfahren."

Auch auf Unfälle versuchte das Team Hamilton vorzubereiten, so gut es ging: "Lewis' Wintertestunfall in Valencia war Teil des Plans", meint Prew mit einem breiten Grinsen. "Während kein Fahrer das Auto beschädigen will, half ihm dieses Ereignis, in Zukunft besser darauf vorbereitet zu sein. Er wusste, dass er schon zuvor Unfälle hatte, die ihn nicht vom Fahren abhielten. Er kam jedes Mal noch stärker zurück."

Dennoch geht Hamiltons Lernkurve unvermindert weiter und man fragt sich, was da noch kommen mag. Sein wissbegieriger Verstand saugt alle Informationen, die er kriegen kann, auf wie ein Schwamm. Jede Erfahrung ist wertvoll für ihn, doch sein Wissen hat nun ein massives Fundament. Er mag noch nicht der komplette Rennfahrer sein wie sein ehemaliger Teamkollege, der zweifache Weltmeister Fernando Alonso, aber er kommt diesem Ziel immer näher.

"Er ist selbstsicher, er hat aber dazu auch jedes Recht." Ron Dennis

"Er wird immer besser und besser, da habe ich keine Zweifel", meint dazu Ron Dennis. "Er hat nichts Arrogantes an sich, das wird ihm noch zusätzlich helfen, sich als Fahrer zu entwickeln. Er ist selbstsicher, aber er hat dazu auch jedes Recht."

Die Formel 1 hat wieder einen Superstar.

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