• 17.09.2015 08:05

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Frag Gary Anderson: Ist Haas cleverer als frühere Teams?

Haas arbeitet eng mit Ferrari zusammen: Ex-Formel-1-Designer Gary Anderson erklärt den Ansatz und beantwortet Fragen zu Cockpitkuppeln, Dieselmotoren und mehr

(Motorsport-Total.com) - Ist Haas cleverer als frühere Formel-1-Teams? Ist ein Comeback von Cosworth realistisch? Ist Bernie Ecclestone mutig genug, um Monza aus dem Kalender zu streichen? Welchen aerodynamischen Vorteil hätten Cockpitkuppeln? Sind Dieselmotoren in der Formel 1 denkbar? Der ehemalige Formel-1-Designer Gary Anderson beantwortet diese und andere Fragen interessierter Leser.

Titel-Bild zur News: Gary Anderson

Ex-Designer Gary Anderson nimmt Stellung zu aktuellen Fragen rund um die Formel 1 Zoom

Metin Mete (Twitter): "Wie beurteilst du die Weiterentwicklung bei Ferrari auf den Gebieten Aerodynamik und Antrieb im Hinblick auf die Saison 2016?"
Gary Anderson: "Metin, zunächst einmal finde ich nicht, dass Ferrari die seit Saisonbeginn bestehende Lücke zu Mercedes geschlossen hat. Wenn man von streckenspezifischen Abweichungen einmal absieht, beträgt der Rückstand immer noch rund 0,7 Sekunden pro Runde. Zu Saisonbeginn war Ferrari in den Rennen näher dran, doch zuletzt scheinen sie in dieser Disziplin etwas zurückgefallen zu sein. Im Hinblick auf 2016 braucht es bei Ferrari einen neuen Ansatz. Die Weiterentwicklung eines Autos und auch einer Antriebseinheit kann nur um das erste Konzept herum vorgenommen werden. Was Ferrari braucht, ist ein besseres Grundkonzept. Dann werden auch die Entwicklungsschritte besser einschlagen."

Liam O'Rourke (Facebook): "Das Haas-Team ist offenbar sehr clever vorgegangen und hat sich so viel wie erlaubt von Ferrari gegriffen. Warum waren andere Teams in der Vergangenheit, wie etwa Caterham, nicht auch so clever?"
Anderson: "Liam, bis zu einem gewissen Grad haben die Teams immer so agiert. Doch die meisten Teams kommen eben aus europäischen Nachwuchsformeln. Sie sind ein bisschen naiv und glauben, beim ersten Grand Prix in der ersten Startreihe stehen zu können."

"Bei Haas ist das anders. Dort bringt man jede Menge Rennsporterfahrung mit, wenngleich diese auf einer komplett anderen Bühne gesammelt wurde. Man hat früh verstanden, dass man für das Überleben in den ersten Jahren so viel Hilfe in Anspruch nehmen muss, wie man nur kriegen kann. Während dieser Phase können die Strukturen des Unternehmens so aufgebaut werden, dass sie den Prioritäten entsprechen."

Gene Haas

Gene Haas wird die Formel 1 ab 2016 mit einem eigenen Team bereichern Zoom

Erico Calixto (Twitter): "Wie kann Red Bull die Hoffnung hegen, einen neuen Motorenpartner zu gewinnen, wenn man sich Renault gegenüber derart undankbar und feindselig präsentiert?"
Anderson: "Enrico, das ist eine Frage, die man sich bei Red Bull in der Tat stellen muss. Die Antwort kann nur aus den eigenen Reihen kommen. Als Red Bull dominierte, hatte man das Gefühl, dass das Team der Grund dafür sei. Renault wurde keine Beachtung geschenkt. Jetzt, da Red Bull nicht mehr gewinnt, soll es die Schuld von Renault sein. Ein Team besteht aber aus allen Partnern. Man gewinnt zusammen und man verliert zusammen. Was hinter geschlossenen Türen passiert oder gesagt wird, ist natürlich ein anderes Thema."

"Es stimmt, dass Renault unter den Gegebenheiten des neuen Antriebsreglements keinen so guten Job gemacht hat wie Mercedes oder Ferrari. Doch ihnen sind die Hände gebunden, weil das Reglement eine Befreiung aus einer solchen Lage nur sehr eingeschränkt zulässt. Wir haben Red Bull jahrelang als ein Team erlebt, das weiß, wie man gewinnt. Wie man verliert, weiß dieses Team offensichtlich nicht. Bei Red Bull sollte man sich an das alte Sprichwort erinnern, das da heißt: "Es gibt kein I in 'Team' (I im doppelten Sinne - als Buchstabe und für das englische Ich; Anm. d. Red.)."

Cosworth-Comeback oder Dieselmotoren realistisch?

Jay Menon (E-Mail): "Glaubst du, dass wir jemals wieder einen unabhängigen Motorenhersteller wie Cosworth in der Formel 1 sehen werden? Wäre es denkbar, dass ein Unternehmen wie Red Bull die Entwicklung eines Cosworth-Antriebs für die aktuelle Motorenformel finanziert?"
Anderson: "Jay, das wäre grundsätzlich schon möglich, müsste aber eine langfristig ausgelegte Vereinbarung sein. Die Antriebseinheit besteht aus unglaublich vielen, verschiedenartigen Teilen. Um das alles im Detail zu verstehen, braucht es eine Verbindung mit einer Laufzeit von fünf Jahren - bevor die Antriebseinheit zum ersten Mal öffentlich auf einer Strecke eingesetzt wird. Das Problem ist, dass keine fünf Jahre mehr Zeit blieben, bis ein neues Reglement in Kraft tritt. Also kann es nur so funktionieren, dass jemand eine große Menge Geld in die Hand nimmt, um ein eigenes Antriebsunternehmen aufzubauen. Dort müssten Leute arbeiten, die sich in sämtlichen Bereichen des Motorsports auskennen und dort auch forschen und entwickeln können. Nur dann wäre man in einer Position, um zeitnah auf Reglementänderungen reagieren zu können."

Cosworth-Logo

Cosworth-Comeback in der Formel 1? Gary Anderson sieht es nicht kommen Zoom

f1lover75 (Twitter): "Ist Bernie Ecclestone mutig genug, um Monza aus dem Formel-1-Kalender zu streichen?"
Anderson: "Bernies Mut sollte man niemals unterschätzen. Er leitet die Formel 1 seit langer Zeit und er selbst hat viele Leute sehr reich gemacht. Wenn eine andere Strecke daherkommt, die dahingehend ein besseres Angebot macht, dass er und die Teams mehr Geld eintreiben können, dann ist Monza weg. Die Hälfte der Teams spricht sich für eine Budgetobergrenze aus. Es spielt keine Rolle, wie groß dein Budget ist, es wird ausgegeben. Somit könnten alle Teams eine zusätzliche Finanzspritze gut gebrauchen. Die Formel 1 ist ein Geschäft, nichts anderes. Keiner, schon gar nicht die Teams, sind aus Gründen des Sports involviert. Sie alle müssen Geld verdienen. Wenn es von einer Rennstrecke in Timbuktu ein besseres Angebot gibt, dann werden alle schreien, wie fantastisch es ist, neue Rennstrecken zu befahren."

Mitch Scott (E-Mail): "Stichwort Cockpitkuppeln: Inwiefern hätten diese einen aerodynamischen Vorteil? Könnten die Teams das Design des Autos auf irgendeine Art verändern, um den Luftstrom über einem geschlossenen Cockpit besser zu nutzen?"
Anderson: "Mitch, ein offenes Cockpit wirkt sich sonderbar auf die Aerodynamik eines Autos aus. Der Luftstrom über dem Cockpit erzeugt einen Unterdruck, der Luft aus dem Cockpit saugt. Wenn sich die Fahrer über einen heißen Sitz beklagen, dann liegt das an Kabeln und Schläuchen, die durch die Cockpitöffnung beeinflusst werden. Die meisten Teams verwenden beim Verlegen ihrer Kabel und Schläuche speziell geformte Gummipfropfen, die in gewisser Weise an einen Stöpsel erinnern. Damit werden Öffnungen abgedichtet. Wenn diese Gummipfropfen nicht korrekt sitzen, wird das Cockpit von heißer Luft durchströmt. Wenn ich von heißer Luft spreche, dann von Temperaturen im Bereich von 100 Grad Celsius. Ohne entsprechende Forschung im Bereich Aerodynamik, ist es schwer vorherzusagen, welche Auswirkungen eine Cockpitkuppel haben würde. Ich glaube aber, dass der Luftwiderstand etwas geringer wäre und somit die Effizienz des Heckflügels erhöht würde."

Cockpithaube

In der Formel 1 wird wieder über das Thema Cockpitkuppeln diskutiert Zoom

Nick Hipkin (Twitter): "Könnten in der Formel 1 im Sinne einer besseren Effizienz jemals Dieselmotoren eingesetzt werden?"
Anderson: "Nick, grundsätzlich kann sich das Reglement in jede denkbare Richtung entwickeln. Um ehrlich zu sein, sehe ich keinen Grund, weshalb die Formel 1 das Thema Effizienz priorisieren sollte. Das sollte meiner Ansicht nach dem Langstreckensport vorbehalten bleiben."

Michael Schumacher in Spa-Francorchamps 1991

Der Jordan 191 war das erste Formel-1-Auto aus Gary Andersons Feder Zoom

Marcus Smith (E-Mail):b "Wenn du auf deine Schaffensperiode in der Formel 1 zurückblickst, gab es da ein Reglement, das du besonders mochtest. Wenn ja, was kann man daraus für die Zukunft lernen?"
Anderson: "Marcus, so wie ich das sehe, stellst du zwei Fragen. Ich glaube, die 1990er-Jahre waren die Zeit, in der es vom guten Rennsport zu dem abdriftete, was wir heute sehen. Gleichzeitig war es das Jahrzehnt, in dem ich am stärksten ins Design der Autos involviert war. Aus diesem Grund würde ich die 1990er-Jahre als meine Lieblingsära bezeichnen. Wenn man aber die Autos der frühen 1990er-Jahre mit ihrer breiten Spur, ihren breiten Reifen und ihrer einfachen Aerodynamik vergleicht mit den Autos der späten 1990er-Jahre mit ihrer schmalen Spur, ihren albernen Rillenreifen und einer zunehmend komplizierter werdenden Aerodynamik, dann dürfte klar sein, worin der Lerneffekt besteht."