Formel 1 Sound 2016: Warum es doch nicht lauter geworden ist

Viel Hoffnung wurde in die Maßnahmen zur Verbesserung des Sounds gelegt, doch wirklichen Fortschritt gibt es nicht - Das zentrale Problem besteht nämlich weiter

(Motorsport-Total.com) - Das Wirrwarr um das Qualifying-Format beim Formel-1-Saisonauftakt 2016 in Melbourne mag die Diskussion um den Sound kurzfristig in den Hintergrund gedrängt haben, trotzdem gingen viele Zuschauer im Albert Park enttäuscht nach Hause: Vom versprochenen viel besseren Sound war nämlich nicht viel zu hören. "Es gibt null Unterschied", bemerkt Lewis Hamilton nüchtern. "Ich habe ein gutes Gehör - und ich denke nicht, dass sich irgendwas geändert hätte."

Titel-Bild zur News: Auspuff, Exhaust

Trotz Dreifachrohr: Wo ist der bessere Sound geblieben? Zoom

Williams-Technikchef Pat Symonds sieht es ähnlich: "Beim ersten Test war es sehr interessant, weil wir einen 2015er Sauber dabei hatten. Aber ich konnte keinen großen Unterschied ausmachen. Ich war die ganze Zeit in der Boxengasse und nicht an der Strecke, aber ich dachte da auch nicht: 'Ah, das ist der Sauber, der ist ja viel leiser'. Ich könnte nicht sagen, dass ich es wahrgenommen hätte." Sauber war in Barcelona auch noch mit dem 2015er-Auspuffsystem unterwegs - im Gegensatz zu Toro Rosso, die zwar die 2015er-Antriebseinheit von Ferrari einsetzen, aber auch über den neuen Auspuff verfügen.

Red-Bull-Motorsportberater Dr. Helmut Marko geht hart mit dem Formel-1-Sound ins Gericht: "Da muss man schon sehr viel guten Willen zeigen, um eine Veränderung feststellen zu können. Wir sind meilenweit von dem entfernt, was einen Formel-1-Sound ausmachen sollte. Da ist nichts Kreischendes, nichts Brachiales." Einzig der Honda-Motor höre sich ganz gut an, was aber wahrscheinlich daran liege, dass er einfach nicht so rund laufe wie die anderen, ätzt er hinterher. (Gary Anderson hatte bereits prognostiziert, dass sich nichts ändern werde.)

Noch weit hinter V8-Sound zurück

Warum ist also nichts geschehen? Mercedes-Motorenchef Andy Cowell versprach noch im Winter, dass man um vier Dezibel lauter sei als noch 2015. Bereits drei Dezibel entsprechen in diesen Regionen einer Verdopplung des Schalldruckpegels. Man würde nur noch 1,5 Dezibel hinter den V8-Motoren liegen, verkündete Cowell stolz. Und nannte auch Zahlen: 128 Dezibel sollen es nun sein, die V8 hätten damit bei deren 129,5 gelegen, die 2015er-Motoren bei 124.


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'Motorsport-Total.com' ging auf Ursachenforschung. Zunächst einmal muss angemerkt werden, dass die V8-Motoren mit ihrem Lärmpegel weit über 130 Dezibel gelegen haben, manche Quellen sprechen gar von bis zu 145 Dezibel. Die Wahrheit liegt also irgendwo zwischen 129,5 und 145. Auch die 2016er-Generation der V6-Turbomotoren ist noch deutlich leiser als die V8-Motoren der Vergangenheit. Doch zumindest gegenüber den Vorjahresmotoren sollte eigentlich eine große Verbesserung her, die jedoch nicht ausgemacht werden kann. Warum schlägt sich das nicht durch?

Exkurs: Turbo und Wastegate

Zunächst ein kleiner Turbo-Exkurs: Die Gase, die aus den Zylindern strömen, werden in der Regel in den Turbolader geleitet und dann durch das bei Formel-1-Boliden gut sichtbare Endrohr ausgestoßen. Außerdem gibt es das sogenannte Wastegate: Dies ist ein Bypass-Kanal, der den Turbolader umschifft. Dieser Kanal wird immer dann geöffnet, wenn Abgase nicht in den Turbo einfließen sollen. Natürlich gehen nicht alle Abgase durch das geöffnete Wastegate, da die Turboröhre ebenfalls weiter geöffnet ist.


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Das Öffnen des Wastegates geschah früher, weil die Turbolader nur eine gewisse Abgasmenge verkraften konnten und diese reguliert werden musste. Heute greift allerdings die MGU-H ebenfalls über den Turbo Abgasenergie ab und verwandelt sie in Strom für den Hybridboost. Ist das Wastegate offen, wird also weniger Energie über die MGU-H zurückgewonnen. Es ist somit fast überflüssig geworden, wird aber noch genutzt, wenn der Abgasgegendruck verringert werden soll. Wann dies geschieht, dazu später mehr.

Cowells Versprechen: Ungewollter Schalldämpfer beseitigt

Die Krux an den Regeln, so Cowell, war fest im Reglement verankert: Die Regelmacher wollten beim seit 2014 gültigen Reglement um jeden Preis verhindern, dass der Auspuff wie in den Jahren 2011 bis 2013 als aerodynamisches Hilfsmittel eingesetzt wird. Nach angeblasenen Diffusoren und Coanda-Auspuffsystemen sollte aerodynamischen Spielereien mit Auspuffabgasen ein für alle Male ein Riegel vorgeschoben werden. Daher wurde festgelegt, dass die Wastegateröhre direkt hinter dem Turbo ins Auspuffrohr münden musste.

"Wir sind meilenweit von dem entfernt, was einen Formel-1-Sound ausmachen sollte." Dr. Helmut Marko

Dies hatte jedoch einen unangenehmen Nebeneffekt - bei geschlossenem Wastegate entstand so ungewollt ein Schalldämpfer: Da bei geschlossenem Wastegate die Auspuffabgase rückwärts in den Kanal strömten, entstand eine stehende Welle, die einen schalldämpfenden Effekt hatte. "Die ursprüngliche Idee war natürlich nicht, einen Schalldämpfer zu bauen, sondern wir wollten verhindern, dass Extrarohre verlegt werden, die einen aerodynamischen Vorteil gebracht hätten", sagt der Mercedes-Motorenboss. Auf der Suche nach mehr Sound wurde der Bypass-Kanal nun bis zum Heck verlängert und geht als eigenständiges Rohr ins Freie.

Warum die Sound-Verbesserung trotzdem ausblieb

Die Maßnahme wurde in monatelanger Zusammenarbeit zwischen der FIA, den Herstellern und Spezialisten auf dem Prüfstand evaluiert. Die Zahlen waren vielversprechend. Magnetti-Marelli feierte die Lösung, das Bypassrohr nach hinten zu verlängern, schon im Winter als richtige Maßnahme. Doch Cowell mahnte gleichzeitig an: "Wie das aber vom Ohr wahrgenommen wird, steht auf einem anderen Blatt. Das ist auch etwas, was mit der Architektur der Tribünen zu tun hat. Vier Dezibel lassen sich schlecht in etwas übersetzen, was wir kennen."


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Und tatsächlich war ein Unterschied nicht auszumachen. Das liegt aber nicht nur daran, dass die subjektive Wahrnehmung nur wenig Wert auf Prüfstandergebnisse legt, sondern ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Cowell lediglich einen Nebenkriegsschauplatz angesprochen hat. Der größte Soundkiller ist nämlich noch immer der Turbolader selbst. Die Turbine filtert insbesondere die für den subjektiv wahrgenommenen Sound so wichtigen hohen Frequenzen heraus.

Nur selten ändert sich das, und zwar dann, wenn das Wastegate geöffnet wird. Dann strömen Abgase ungehindert in die Umgebung. Allerdings geschieht dies nur den Bruchteil einer Runde lang: Am Kurvenausgang wird kurzzeitig auf die Energierückgewinnung verzichtet und stattdessen der Vorteil des geringeren Abgasgegendrucks ausgespielt. Wie lange das Wastegate beim Beschleunigen offen bleibt, ist eines der geheimsten Betriebsgeheimnisse, die die Motorenhersteller hüten.

Was ist machbar?

Die einzige Möglichkeit wäre, komplett mit offenem Wastegate zu fahren. Tatsächlich tun die Formel-1-Boliden das auch im Qualifying, wenn sie im sogenannten "Freeload"-Modus unterwegs sind. Weil Qualifying-Runden mit randvollem Energiespeicher in Angriff genommen werden, kann auf die Rückgewinnung durch die MGU-H verzichtet werden. Stattdessen nehmen die Teams den Vorteil des geringeren Abgasgegendrucks über die ganze Runde mit. Das geschieht allerdings auch bereits seit Einführung des Turboreglements zur Saison 2014. Und es ist nicht davon auszugehen, dass die Hersteller sich Effizienz bei der MGU-H nehmen lassen, da sie serienrelevant ist.

Max Verstappen

Alter Motor, neuer Auspuff: Auch Toro Rosso hat das dreifache Rohr Zoom

Doch selbst im Qualifying kommt der Sound der Boliden bei weitem nicht in die Regionen, die zuvor die V8-Motoren erreicht haben. Deshalb geht die Forschung unvermindert weiter und es wird an weiteren Lösungen für die Saison 2017 gearbeitet. Nachdem die Maßnahmen für 2016 aber einfach verpufften, wird sich die Arbeitsgruppe womöglich von reinen Zahlen verabschieden müssen und mehr Wert auf die subjektive Wahrnehmung legen, was nur schwer zu simulieren ist.

Eine ernüchternde Erkenntnis ist, dass die subjektiv wahrgenommene Laustärke mit den aktuellen Motoren voraussichtlich nicht auf das Niveau der V8-Motoren zu bringen ist. Alleine das Klangbild des V6 mit den niedrigeren Drehzahlen ist gänzlich anders als der Kreischsound, mit dem die Formel 1 zuvor ein Vierteljahrhundert lang zu identifizieren war. Schon bei gleichem Schalldruck wirkten dessen höhere Frequenzen lauter. Abhilfe könnte nach wie vor ein Biturbo schaffen, weil zwei kleine Turbinen weniger hohe Frequenzen filtern als eine große. Doch die Hersteller wollen ihre aktuellen Antriebseinheiten nicht aufgeben. Richtig lauter Sound lässt sich vermutlich nur mit Saugmotoren erzielen, den die Hersteller erst recht nicht wollen.