Formel-1-Countdown 2009: Force India

Vor dem Saisonauftakt nehmen wir alle Teams genau unter die Lupe - Force India macht den Auftakt zu unserem großen Formel-1-Countdown

(Motorsport-Total.com) - Neue Aerodynamik, Comeback der Slicks, Einführung der Hybridtechnologie KERS, neue Fahrer, ein neues Team: Nie zuvor hat sich in der jüngeren Vergangenheit von einer Formel-1-Saison auf die nächste so viel geändert wie im Winter 2008/09. 'Motorsport-Total.com' nimmt daher bis zum Eintreffen der Grand-Prix-Community im Albert Park am nächsten Donnerstag der Reihe nach alle zehn Teams genau unter die Lupe. Heute: Force India.

Titel-Bild zur News: Giancarlo Fisichella, Barcelona, Circuit de Catalunya

Force Indias erklärtes Saisonziel für 2009 ist, die "rote Laterne" loszuwerden

Die indisch-britische Truppe (indische Lizenz, Sitz in Silverstone) ist 2009 sehr deutsch angehaucht: Adrian Sutil blieb nach seinen starken Leistungen in der zweiten Saisonhälfte 2008 als Fahrer an Bord und Mercedes ist neuer Motorenhersteller. Ob das automatisch bedeutet, dass Force India diese Saison endlich die "rote Laterne" abgeben kann, sei dahingestellt, aber die Papierform sieht zumindest etwas besser aus als vor zwölf Monaten.#w1#

Mercedes statt Ferrari

Martin Whitmarsh und Vijay Mallya

McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh und Vijay Mallya sind ab sofort Partner Zoom

Denn der frühzeitig gekündigte Ferrari-Vertrag beinhaltete nur die V8-Motoren, während mit McLaren-Mercedes eine umfassende technische Kooperation vereinbart wurde - Getriebe und Hydraulik inklusive. Noch nicht in Australien, aber zu einem späteren Zeitpunkt in der Saison könnte auch das silberne KERS in den VJM02 eingebaut werden. Im Grunde genommen musste Force India nur noch das Chassis selbst entwickeln.

Der Einfluss von McLaren-Mercedes erstreckt sich aber über eine reine Anlieferung von Komponenten und Know-how hinaus, denn dass neuerdings Ex-McLaren-Mann Simon Roberts das Tagesgeschäft leitet, ist klarerweise kein Zufall. Zwar ist 50-Prozent-Eigentümer Vijay Mallya rein formell gesehen Teamchef, doch der Geschäftsmann kann sich in Zeiten der Weltwirtschaftskrise bestimmt nicht ausschließlich um die Formel 1 kümmern.

In den vergangenen vier Jahren hat Force India übrigens gleich dreimal den Eigentümer gewechselt: Im Januar 2005 von Eddie Jordan an Alexander Shnaiders Midland-Gruppe, im September 2006 für 77 Millionen Euro von Midland an die niederländische Sportwagenschmiede Spyker und zuletzt im Oktober 2007 von Spyker an die beiden Geschäftsleute Vijay Mallya und Michiel Mol - für die Kleinigkeit von 88 Millionen Euro.

Der indische Traum

Simon Roberts

Neuer Mann im Topmanagement des Force-India-Teams: Simon Roberts Zoom

Während sich Mol eher im Hintergrund hält, obwohl seine Familie 50 Prozent der Anteile besitzt, tritt Mallya in der Öffentlichkeit als Gesicht des Teams auf. Der stolze Inder will die Nationalflagge seines Landes in der Formel 1 hochhalten und träumt den ehrgeizigen Traum, beim ersten Indien-Grand-Prix mit einem indischen Fahrer auf das Podium zu kommen - Karun Chandhok, dessen Vater mit Mallya befreundet ist, steht in der GP2 schon in den Startlöchern.

Das letzte echte Urgestein aus Jordan-Zeiten, das heute noch in hochrangiger Position in Silverstone arbeitet, ist Ian Phillips. Der Ex-Journalist war nie ein Freund von Colin Kolles: "2004 war bei Eddie Jordan die Luft raus. Wir brauchten einen Wechsel. Am ersten Tag, als die neuen Leute kamen, herrschte helle Begeisterung, am zweiten Tag der totale Frust. Eddies Nachfolger hatten keine Ahnung von dem Geschäft", wird er von 'auto motor und sport' zitiert.

Kolles, das ist ein deutscher Zahnarzt mit rumänischen Wurzeln, der mit Shnaider in die Formel 1 kam und von da an für Midland, Spyker und zuletzt Mallya das Team führte. Der exzentrische Vollblutracer mit eigenen Teams in hochklassigen Serien wie der DTM und der LMS kam nicht bei allen im Fahrerlager gut an, hielt Force India aber mit einem bescheidenen Budget von 80 Millionen Euro gut zusammen. Ende 2008 wurde er von Mallya ebenso gefeuert wie Technikchef Mike Gascoyne.

Kolles-Rauswurf eine Fehlentscheidung?

Force-India-Fabrik in Silverstone

Diese Fabrik hat noch Eddie Jordan aufgebaut: Sitz des Teams in Silverstone Zoom

"Gascoyne und Kolles haben offensichtlich nicht miteinander gekonnt, deshalb hat Mallya beide rausgeworfen", analysiert 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer. "Ob das richtig war, ist eine andere Frage. Vielleicht war es richtig, Gascoyne wegzuschicken, aber Kolles hat das Team in den vergangenen Jahren unter den verschiedensten Eigentümern immer zusammengehalten. Das kann man ihm nicht in Abrede stellen."

Hinzu kommt, dass es dem Team nun an operativen Führungskräften mangelt. Surer: "Ich frage mich, ob Mallya genug Zeit hat, um auch das Tagesgeschäft zu schaukeln. Mir fehlt bei Force India ein bisschen der Mann für den gewöhnlichen Teamchefjob, auch wenn Simon Roberts sicher einer ist, der seine Sache gut machen wird." Zumindest angedacht ist für administrative Aufgaben Robert Fernley, den Mallya höchstpersönlich zu seinem Stellvertreter ernannt hat.

Die Technikabteilung wird nach dem Weggang von Gascoyne nun wieder von James Key geleitet. Ihm zur Seite stehen Chefdesigner Mark Smith, der 2007 von Red Bull verpflichtet wurde, und Ex-Toyota-Mann und Projektleiter für das 2009er-Auto Ian Hall. Smith und Hall kennen sich übrigens gut aus den goldenen Jordan-Jahren in den späten 1990ern. Doch so eingespielt dieses Team auch sein mag, so schwer war die Aufgabe, die es zu lösen hatte.

Acht Testtage mit dem neuen Auto

Force-India-Logo

Neues Logo: Auf Wunsch des FOM musste das große I einem kleinen i weichen... Zoom

Denn nach dem kurzfristigen Wechsel des Motorenlieferanten dauerte es bis 11. November, ehe die ersten Zeichnungen aus Stuttgart in Silverstone eintrafen. Trotzdem gelang es, den VJM02 noch für immerhin acht Testtage rechtzeitig fertig zu bekommen. Sutil und Fisichella wären naturgemäß gerne mehr in ihrem neuen Arbeitsgerät gesessen, gaben aber recht positives Feedback und zeigten sich auch mit der Performance im Rahmen der Erwartungen zufrieden.

Doch während teamintern aufgrund des Wechsels des technischen Partners so etwas wie Aufbruchstimmung herrscht, glaubt Experte Surer nicht an ein silbernes Wunder: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mercedes im Vergleich zu Ferrari in Sachen Antriebsstrang einen riesengroßen Unterschied machen wird." Auch sieht er durch den Mercedes-Deal keine größeren Chancen für Sutil auf einen baldigen Wechsel in den Silberpfeil.

Vielmehr muss es Force India schon selbst richten - und die Voraussetzungen dafür sind nicht schlecht: Zwar ist unklar, ob Mallya angesichts der Weltwirtschaftskrise wieder 80 Millionen Euro Budget zur Verfügung stellen wird, doch der Fahrwerksprüfstand in Silverstone ist dank seiner Investitionen nun ebenso auf dem neuesten Stand der Technik wie der Windkanal. Außerdem kann man zusätzlich auf den angemieteten Aerolab-Windkanal zurückgreifen.

Mallya und sein Reichtum

Vijay Mallya

Lebemensch, der seinen Reichtum nicht versteckt: Teamchef Vijay Mallya Zoom

Die Weltwirtschaftskrise sollte Force India als nicht von einem Automobilhersteller subventioniertes Team eigentlich nicht mit voller Härte treffen, doch Mallyas Imperium dürfte von der Rezession nicht ganz verschont bleiben. Der Geschäftsmann hat sein Vermögen unter anderem mit der Kingfisher-Gruppe (Airline und Brauerei) und mit dem weltberühmten Whiskyunternehmen Whyte & Mackay gescheffelt, das er 2007 für damals 780 Millionen Euro übernommen hat.

Unabhängig von den technischen Voraussetzungen scheiden sich die Geister an der Fahrerwahl des Inders: Zwar gilt Sutil - spätestens seit seiner Galavorstellung in Monaco 2008 als Regenspezialist anerkannt - als Versprechen für die Zukunft, aber Fisichella befindet sich mit 36 Jahren bestenfalls im Spätherbst seiner Karriere. Der Italiener wird oft als ewiges Talent bezeichnet. Um nicht als eben solches zu enden, muss ihn Sutil 2009 schlagen.

2008 ging das Qualifyingduell knapp mit 10:8 für Fisichella aus, doch Sutil hatte speziell in der zweiten Saisonhälfte meistens die Oberhand. Genau so sollte es auch in der kommenden Saison laufen: "Wenn er sich für ein besseres Team empfehlen will, dann muss er das interne Stallduell gewinnen", meint Surer, früher selbst Formel-1-Pilot. Zieht Sutil gegen den routinierten Italiener jedoch den Kürzeren, dann könnte die Luft in der Formel 1 für ihn dünn werden.

Sutil hofft auf die Slicks

Giancarlo Fisichella, Adrian Sutil und ein Force-India-Girl

Suchbild zum Force-India-Fahrerkader: Finden Sie die überflüssige Person! Zoom

Zuversicht schöpft Sutil aus dem Comeback der Slicks, die seinem Fahrstil entgegenkommen könnten: "Wir haben viel mehr Grip an der Vorderachse, was mich sehr freut. Es gibt viel weniger Untersteuern als im vergangenen Jahr, was fast die ganze Zeit mein Hauptproblem war. Deswegen hatte ich beim ersten Test gleich ein gutes Gefühl. Das war eines der Themen, wo ich mir für dieses Jahr eine Lösung erhofft hatte - und so ist es gekommen!"

Der Wahlschweizer weiß, dass er diese Chance am Schopf packen muss: "Jedes Jahr ist wichtig, aber jetzt habe ich vielleicht die Chance auf gute Ergebnisse. Es wird eines der wichtigsten Jahre meiner Karriere, weil ich was zeigen will und bestens vorbereitet bin", so Sutil. Und was für ein Ergebnis erhoffst du dir vom ersten Rennen, Adrian? "Alles ist möglich. Ich weiß nur, dass das Feld eng beisammen liegt - enger als im vergangenen Jahr."

"Alles ist möglich" ist natürlich relativ, wenn man in einem Force-India-Mercedes sitzt. Denn auch wenn die Vorzeichen besser stehen als 2008 - damals gelang dem Team in 18 Rennen kein einziger WM-Punkt -, so ist es angesichts der starken Konkurrenz doch eine sehr schwierige Aufgabe, das Abo auf die letzte Startreihe endlich zu kündigen. Nur hat Brawn mit den gleichen Motoren schon bewiesen: Wunder sind auch in der Formel 1 möglich...


Fotos: Force India, Testfahrten in Barcelona


Saisonstatistik 2008:

Team:

Konstrukteurswertung: 10. (0 Punkte)
Siege: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Podestplätze: 0
Ausfallsrate: 50,0 Prozent (11.)
Durchschnittlicher Startplatz: 18,8 (10.)
Bisherige Testkilometer 2009 mit dem neuen Auto: 3.095

Adrian Sutil (Startnummer 20):

Fahrerwertung: 20. (0 Punkte)
Siege: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 19,2
Bestes Ergebnis Qualifying: 16.
Bestes Ergebnis Rennen: 13.
Ausfallsrate: 61,1 Prozent (22.)
Bisherige Testkilometer 2009: 1.611 (18.)

Giancarlo Fisichella (Startnummer 21):

Fahrerwertung: 19. (0 Punkte)
Siege: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 18,3
Bestes Ergebnis Qualifying: 12.
Bestes Ergebnis Rennen: 10.
Ausfallsrate: 38,9 Prozent (19.)
Bisherige Testkilometer 2009: 1.484 (19.)