• 14.04.2010 13:46

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Die KERS-Frage: Nicht ob, sondern wann...

KERS wird wohl in die Formel 1 zurückkehren, aber wann? Die Teamchefs sind sich diesbezüglich noch alles andere als einig...

(Motorsport-Total.com) - Praktisch alle Formel-1-Teams sind sich einig, dass das Energierückgewinnungssystem KERS wieder eingeführt werden sollte. Am Rande des Grand Prix von Malaysia fanden dazu Gespräche statt, doch Beschlüsse wurden noch keine gefasst. In Barcelona wird auf FOTA-Ebene weiterdiskutiert. Klar ist aber jetzt schon: Es geht in der KERS-Frage nicht um das Ob, sondern um das Wann.

Titel-Bild zur News: KERS-Warnlicht

Das KER-System ist in der Formel 1 ein heiß diskutiertes Thema...

"Wir alle sind uns einig, dass KERS als Zukunftstechnologie eine Rolle spielen wird", erklärt Mercedes-Teamchef Ross Brawn. "Die Vorteile, die man im Vorjahr durch KERS hatte, waren aber nicht signifikant genug." Zur Erinnerung: KERS durfte in der ersten Zulassungsstufe, also in der vergangenen Saison, 400 Kilojoule Energie speichern und bei einer Entladung maximal 60 Kilowatt (82 PS) freisetzen - für einen Zeitraum von 6,6 Sekunden.#w1#

Alle wollen mehr KERS-Leistung

"So wie im Vorjahr", bemängelt Renault-Teamchef Eric Boullier, "wollen wir KERS nicht zurück. Wir brauchen ein System, das mehr Energie rückgewinnen darf - mehr als die 400 Kilojoule, denn dann kann es auch zu einer besseren Show beitragen." Christian Horner von Red Bull nickt zustimmend: "Wir müssen uns überlegen, wie wir KERS mit einem Push-to-Pass-Knopf als forcierenden Faktor für Überholmanöver ins Reglement einbinden können."

Frank Williams

Frank Williams findet, dass KERS für alle Teams verpflichtend sein sollte Zoom

"KERS", wirft Frank Williams ein, "ist eine wichtige Sache für die Emissionskontrolle." Der Brite findet aber, dass die Hybridtechnologie nur unter einer Voraussetzung zurückkehren sollte: "Wenn drei Teams KERS haben und sieben nicht, dann kannst du als Nicht-KERS-Team keine Rennen mehr gewinnen, weil die Systeme immer besser werden. Daher glaube ich, dass es entweder verpflichtend sein sollte - oder eben gar nicht erlaubt."

Seit 2009 ist KERS nach oben beschriebenen Vorgaben laut FIA-Reglement zugelassen, die Teamvereinigung FOTA hat sich jedoch darauf verständigt, 2010 aus Kostengründen freiwillig auf das System zu verzichten. Das lag auch daran, dass im Vorjahr nur zwei Teams (McLaren und Ferrari) KERS wirklich intensiv genutzt haben. Renault und BMW gaben das Experiment früh auf, weil die Nachteile (schlechtere Balance und mehr Gewicht) die Vorteile überwogen.

"Uns wäre ein System am liebsten, das in den neuen Antriebsstrang integriert ist", argumentiert Brawn. "Der kommt 2013. Natürlich können wir KERS auch vorziehen, aber der Wettbewerbsvorteil der Systeme, die es jetzt gibt, ist nicht groß genug. KERS muss sportlich eine Hilfe sein, damit es zu rechtfertigen ist. Ich glaube, dass KERS Zukunft hat. Nur dürfen wir nicht hastig zum Stand des Vorjahres zurückkehren, von dem alle gesagt haben, dass es kein großer Erfolg war."

Kosten das entscheidende Thema

Mercedes-Sportchef Norbert Haug fügt an: "Wir sollten eigentlich pro KERS sein, denn wir waren die KERS-Pioniere, aber wie Ross richtig sagt, ist die Frage, was man sich derzeit leisten kann und will. Es geht in der Formel 1 auch um die Kosten. Wir sollten nicht zulassen, dass die Formel 1 ein teures Entwicklungsrennen für neue Technologien wird, auch wenn wir da sehr kompetent sind. Aber es muss Grenzen geben."

"Es macht Sinn, 2013 alles zusammenlegen und dann ein stärkeres KERS zu haben." Norbert Haug

"Es macht Sinn, 2013 alles zusammenlegen und dann ein stärkeres KERS zu haben - und ein Limit, damit nicht zu viel Geld ausgegeben wird. Es ist eine schwierige Aufgabe, das zu erreichen, aber das müssen unsere wichtigsten Ziele sein", so Haug. Damit stößt er dem Vernehmen nach vor allem bei den kleinen Teams auf Gehör, die offenbar dafür sind, die Formel 1 in ihrem Status quo zu konsolidieren und 2013 ein komplett neues Reglement einzuführen.

Das neue Motorenformat, womöglich auf Basis eines Weltmotors, dessen Grundkonzept in mehreren Rennserien verwendet werden könnte, soll 2013 kommen. Im Gespräch ist dafür schon seit längerer Zeit eine Rückkehr zu 1,5-Liter-Turboladern. Auch Ideen wie die 18-Zoll-Räder möchten einige Teams am liebsten auf 2013 verschieben, doch da wird sich die Formel 1 nach dem Ausstieg von Bridgestone wohl nach den neuen Reifenlieferanten richten müssen.

Renault ist jedoch dafür, KERS schon nächstes Jahr wieder einzuführen: "Wir wollen KERS 2011 zurück haben, denn dafür sprechen unsere Interessen", begründet Teamchef Boullier. "Zum Beispiel haben wir schon ein System herumliegen. Wir haben das Geld für die Entwicklung ausgegeben, daher wäre es jetzt eine Verschwendung, KERS nicht zu nutzen. Wir sehen das wie Ferrari: Wir wollen KERS haben, aber die Leistungskriterien sollten gelockert werden."

Sogar McLaren plädiert für 2013

McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh meldet Bedenken an: "Wir haben KERS im Vorjahr erfolgreich eingesetzt. Wir unterstützten die Idee von KERS in der Formel 1. Wichtig ist aber, das Gesamtbild im Auge zu halten, und momentan muss die Formel 1 für mindestens zehn und hoffentlich 13 Teams leistbar sein. Wenn wir KERS wieder einführen, müssen wir einen Zeitpunkt dafür festlegen und schauen, was wir uns leisten können."

"Die Mehrheit der Teams kann sich KERS für nächstes Jahr nicht leisten. Darum müssen wir uns etwas einfallen lassen, was für den Sport gut ist", argumentiert der Brite. Williams-Technikchef Sam Michael findet es indes "sehr wahrscheinlich", dass KERS wieder kommen wird: "Ferrari und Renault haben innerhalb der FOTA einen entsprechenden Antrag gestellt. Wenn der durchgeht, werden wir KERS wohl wieder sehen." Nachsatz: "Wir sind dafür."

¿pbvin|512|1419||0|1pb¿"Wir haben ein Schwungrad- und ein Batteriesystem", erklärt der Australier. "Es ist also nicht gesagt, dass wir zwingend das Schwungrad verwenden würden. Das hängt auch vom Reglement ab. Es gibt keinen Vorschlag, den Leistungsoutput zu erhöhen, sondern nur die Speicherkapazität. Das befürworten wir nicht, sondern wir möchten, dass die Regeln so bleiben, wie sie jetzt sind. Aber das muss halt diskutiert werden."

"Es wäre eine Veränderung des Systems. Viel von dem investierten Geld und der investierten Zeit wäre nutzlos. Wenn es nach uns ginge, würde man das KERS-Reglement so belassen, wie es jetzt ist, und Leistungsoutput und Energiespeicher ab 2013 erhöhen, wenn das neue Motorenformat kommt. Dann geht es in einem Rutsch", sagt Michael. Sein Chef Patrick Head ergänzt: "KERS verursacht zusätzliche Kosten. Die Technologie ist aber sehr interessant."

"Wenn wir KERS wieder einführen, dann werden wir möglicherweise ein Williams-System verwenden", sagt Head. "Wir waren immer für KERS, aber im Moment kämpfen wir gegen Teams mit viel größeren Budgets. Ron Dennis und Martin Whitmarsh haben zugegeben, dass McLaren und Mercedes 70 Millionen Euro für KERS ausgegeben haben - wir vielleicht eineinhalb Millionen. Man kann sich fragen: Warum in eine Technologie eintauchen, in der andere viel schlagkräftiger sind?"

Akkus oder Schwungrad?

2009 gab es zwei verschiedene KERS-Konzepte: Die meisten Teams speicherten die Energie in Lithium/Ionen-Akkus, Williams hingegen mit einem sich drehenden Schwungrad. Letzteres System kam in der Formel 1 nie zum Einsatz, wurde aber von Porsche für die Langstrecke adaptiert. Frank Williams glaubt, dass es für die Formel 1 nicht mehr praktikabel ist: "Die Tanks sind größer geworden. Mit einem Schwungrad-KERS wäre unser Auto länger als ein Londoner Doppeldecker!"

"Vielleicht werden es ja gar keine Batterien sein!" Patrick Head

"Wenn der Generator vorne am Motor angeflanscht wird", meint Head, "kostet das zwei oder drei Liter Tankkapazität. Diese Tankkapazität muss man dann woanders finden." Allerdings widerspricht er seinem Partner Williams, indem er eine Schwungrad-Variante nicht für ausgeschlossen hält: "Vielleicht werden es ja gar keine Batterien sein!" Oder spricht der Williams-Teilhaber gar von einer dritten Variante, an die noch niemand gedacht hat?

Die Einführung von 18-Zoll-Rädern und breiteren Reifen, wie sie von Michelin angedacht wird, käme KERS jedenfalls entgegen: "Mit den neuen Reifen würde die Balance von Anfang an stimmen, was 2009 nicht der Fall war", gibt Head zu Protokoll und ergänzt: "Bis zur ersten Kurve war KERS ja schon immer eine Hilfe. Und wenn KERS erlaubt ist, dann musst du es wahrscheinlich haben, um konkurrenzfähig zu sein."

Immerhin hätte Williams ein eigenes KERS. Sebastian Vettels Red-Bull-Team hat zwar 2009 mit einem Magneti-Marelli-System experimentiert, dieses aber nie eingesetzt. Die Entwicklung eines eigenen KERS ist für Teamchef Horner jedoch kein Thema: "Das ist nicht unsere Kernkompetenz", winkt er ab. "Wir würden uns da auf einen Motorenhersteller verlassen, dem wir ein solches System abkaufen würden."