• 20.01.2009 09:57

  • von Dieter Rencken

Die große Renault-FAQ mit Flavio Briatore

Renault-Teamchef Flavio Briatore glaubt an die Chancen von Fernando Alonso, verteufelt BMW wegen KERS und zeigt Respekt vor Ron Dennis

(Motorsport-Total.com) - Der neue Renault mag vielleicht das hässlichste bisher vorgestellte 2009er-Auto sein, doch die Präsentation des Teams war mit Sicherheit die interessanteste in diesem Jahr. Denn erstens glänzt der R29 mit Mut zur Andersartigkeit und zweitens lieferten die Verantwortlichen bei den Interviewrunden am Montagabend einige knackige Aussagen. Als Flavio Briatore zum Plausch mit den Medien bat, saß auch 'Motorsport-Total.com' mit am Tisch.

Titel-Bild zur News: Flavio Briatore

Immer für einen flotten Spruch gut: Renault-Erfolgsteamchef Flavio Briatore

Frage: "Flavio, vor ein paar Wochen gab es in einer italienischen Zeitung einen Bericht, wonach du die Formel 1 verlassen könntest. Wie sehen deine Pläne aus?"
Flavio Briatore: "Das weiß ich nicht genau. Ich habe das nie zu der italienischen Zeitung gesagt. Ich glaube, die Formel 1 befindet sich gerade in einer sehr wichtigen Phase. Die Krise, in der wir stecken, stimmt alle nachdenklich. Ich möchte sicherstellen, dass wir Manager alles in unserer Macht stehende tun, damit die Formel 1 die Chance hat, diese Krise heil zu überstehen."#w1#

"Und wir müssen das Business grundlegend verändern. Statt eines Kostenpunkts sollte es ein Geschäftszweig sein, der Profit abwirft. Ich glaube, dass es unsere Verantwortung ist, den Mitarbeitern eine Zukunft zu geben. Ich sehe ein, dass das im Moment sehr schwierig ist - nicht nur für uns, sondern weltweit. So etwas hat es in der Geschichte noch nie gegeben, aber ich möchte Teil davon sein, die Formel 1 zu reformieren. Was immer dafür notwendig sein mag, werde ich tun - und danach sehen wir weiter."

Kein Rücktritt während der Krise

Frage: "Wirst du also noch jahrelang dabei sein?"
Briatore: "Das hoffe ich nicht. Wir arbeiten in der FOTA als Teams sehr gut zusammen, wir arbeiten gut mit Max (Mosley) zusammen und auch mit Bernie (Ecclestone; Anm. d. Red.). Wir reden schon lange über die Kosten, aber jetzt tut sich endlich was. Wir versuchen, die Formel 1 neu zu strukturieren. Da möchte ich dabei sein. Ich hoffe, dass wir dafür keine zehn Jahre brauchen. Es liegt in unserer Verantwortung, das so schnell wie möglich zu schaffen."

"Ich halte KERS für einen schrecklichen Fehler." Flavio Briatore

Frage: "Wie siehst du die Tatsache, dass KERS so schnell eingeführt wurde?"
Briatore: "Ich halte das für einen schrecklichen Fehler. Renault, Mercedes-Benz und Ferrari liefern Motoren an Kundenteams und verdienen kein Geld damit. Das kostet uns etwas, aber wir tun es im Interesse der Formel 1. Die Motorenkosten sind viel geringer geworden, aber gleichzeitig machen wir hier die Tür zu einem Raum auf, in dem wieder Geld verbrannt wird."

"Wir wissen nicht, wie hoch die Entwicklungskosten sein werden, und wir wissen nicht, ob es gefährlich ist oder nicht. Wahrscheinlich ist das Risiko nicht hundertprozentig unter Kontrolle. Und bringt uns das Ganze etwas? Nur Kosten, das steht fest. Wir sind nur in dieser Situation, weil ein Team an diesem Programm festhalten wollte. 2010 könnte ein Standard-KERS eingeführt werden. Was wir also dieses Jahr ausgeben, war nur für dieses eine Jahr. Das ist doch völlig unnötig."

"Die Performance kann sowieso niemand einschätzen. Ist es besser mit oder ohne KERS? Das ist ein großes Fragezeichen. BMW wollte es aber durchziehen, also müssen wir da mit. Es ist schwierig, einem Gegner dabei zuzuschauen, wir er ein Programm entwickelt, aber selbst nichts zu tun. Die Performance ist wichtig, daher bringt dieses Programm niemandem etwas. Wir geben viel Geld für nichts aus."

Frage: "Wird Renault ab Australien KERS einsetzen?"
Briatore: "Absolut. Wir können mit oder ohne KERS fahren, aber wir werden mit fahren."

Frage: "Fernando Alonso und Renault haben die vergangene Saison sehr stark beendet. Könnten all die Regeländerungen den Schwung des Teams unterbrechen?"
Briatore: "Das glaube ich nicht. Im Vorjahr haben wir das Auto während der Saison enorm weiterentwickelt. Da haben wir wieder zu unserer Normalform gefunden. 2006 und 2007 hatten wir wegen des Wechsels von Michelin zu Bridgestone schreckliche Jahre. Damals verstanden wir nicht, warum es in die falsche Richtung ging."

Die Sandschlösser der Formel 1

"Erst nach sechs oder sieben Monaten wurde uns klar, dass wir von der falschen Basis ausgegangen waren. Es war wie ein Sandschloss: Von außen sieht es gut aus, aber irgendwann klappt es zusammen. Im Vorjahr verstanden wir dann, was los war, und wir konnten das Auto dramatisch verbessern. Alles, was wir getestet haben, war richtig. Wir haben dieses Auto nach der gleichen Philosophie gebaut, daher sind wir ziemlich sicher, dass wir gute Arbeit geleistet haben. Ich sehe keinen Grund, warum wir nicht konkurrenzfähig sein sollten."

"Alle wollten, dass 'Schumi' noch einmal Weltmeister wird." Flavio Briatore

Frage: "Machst du dir keine Sorgen, dass andere Teams besser abschneiden könnten, weil sie sich früher auf 2009 konzentriert haben?"
Briatore: "Schaut euch einfach unsere Geschichte von 2004 und 2005 an. Vergesst das Michelin-Drama, denn wir wurden sehr spät informiert und kämpften gerade mit Ferrari um den WM-Titel. Alle wollten, dass 'Schumi' noch einmal Weltmeister wird, also kämpften wir nicht nur gegen Ferrari, sondern gegen alle. Damals konnten wir uns über die Reifen keine Gedanken machen."

"Die Reifen von Bridgestone bekamen wir sehr spät - es war eine Katastrophe, eine echte Katastrophe. Es hat 18 Monate gedauert, bis wir alles im Griff hatten und bis wir wieder richtige Messwerte hatten. Jetzt sind wir über den Berg, wie wir im Vorjahr bewiesen haben. Wir lagen am Saisonbeginn 1,5 Sekunden zurück und am Saisonende waren es nur noch zwei bis drei Zehntel. Wir waren stärker als BMW und kämpften gegen Ferrari. Wir waren so schnell wie alle anderen auch."

Frage: "Ihr habt am Saisonende mehr Punkte gesammelt als alle anderen. Aber was stimmt dich so sicher, dass ihr 2009 genauso weitermachen werdet?"
Briatore: "Ich bin mir nur sicher, dass das Wetter heute schlecht war (lacht; Anm. d. Red.)! Ich weiß nicht, wie es in zwei Monaten aussehen wird, aber wir arbeiten hart. Wir wollen unser Ziel erreichen, auch wenn ich natürlich nicht weiß, was McLaren und Ferrari gemacht haben."

"Ich weiß aber, dass wir auch den Motor ein bisschen verbessert haben, denn wir hatten weniger Leistung als die anderen. Jetzt macht unser Paket einen ehrlichen und korrekten Eindruck. Sollte das der Fall sein, dann werden wir am Saisonende unter den besten Sechs liegen. Aber natürlich sind Prognosen eine schwierige Sache, weil man nie sicher sagen kann, wer konkurrenzfähig sein wird."

Fünf potenzielle Weltmeister?

Frage: "Erwartest du eine spannendere Weltmeisterschaft als sonst?"
Briatore: "Ich denke, dass es drei oder vier, vielleicht sogar fünf Fahrer gibt, die Weltmeister werden können. Davon bin ich überzeugt."


Fotos: Präsentation des Renault R29


Frage: "Die FIA hat euch Verbesserungen des homologierten Motors zugestanden. Musstet ihr dafür die Motorenabteilung vorübergehend aufstocken?"
Briatore: "Wir haben den Motor ja nicht verändert. Wir durften ein bisschen weiterentwickeln, aber nichts Dramatisches. Es war genug, um den Abstand zur Spitze zu schließen. McLaren-Mercedes und Ferrari sind vielleicht ein bisschen besser dran, aber wir haben den Abstand verkürzt. Jetzt sind wir immerhin konkurrenzfähig."

"Wenn du in der Fabrik eine gute Basis hast, der Windkanal positive Daten ausspuckt und du gut ausgestattet bist, dann weißt du, dass die Basis stimmen muss. Der Windkanal sagt dir die Wahrheit. Also gehst du auf die Strecke und fährst die Ergebnisse ein. Die Regeländerungen gelten ja für alle, nicht nur für uns. Im Vorjahr war es schwierig, unsere Designziele zu erreichen, aber mit dem 2009er-Auto ist uns das genau gelungen."

Frage: "Du sagst, dass mehrere Fahrer Weltmeister werden können. Gehört Fernando Alonso auch dazu?"
Briatore: "Am Ende der vergangenen Saison war er ja auch schon einer der Topfahrer im Feld. Ich sehe keinen Grund, warum sich daran etwas ändern sollte."

Frage: "Aber er kämpfte nicht wirklich um die Weltmeisterschaft..."
Briatore: "Wenn die Weltmeisterschaft im Juni statt im März begonnen hätte, dann wären wir da gewesen. Leider hat sie im März begonnen, wie auch dieses Jahr. Aber jetzt wissen alle, dass das erste Rennen schon im März ist!"

Frage: "Renault hat man in den vergangenen Jahren immer wieder nachgesagt, besonders auf den Return of Investment aus der Formel 1 zu achten. Setzt das das Team in der aktuellen Weltwirtschaftskrise besonders unter Druck?"
Briatore: "Ich finde das lustig, denn alle haben immer von Renault geredet, aber ausgestiegen ist Honda! Vielleicht wird noch jemand vor uns aufhören. Renault hatte nie ein Budgetproblem, aber ich will das Geld nicht unnötig ausgeben. So einfach ist das."

Wer ist noch ausstiegsgefährdet?

"Ich kämpfe immer um mein Budget, aber was ich gebraucht habe, habe ich immer bekommen. Ich sage das auch zu Carlos Ghosn (Renault-Konzernchef; Anm. d. Red.): Ich hatte noch nie ein Problem. Honda ist ausgestiegen, nicht wir - also warum stellt ihr diese Frage nicht Honda? Die werden nie nach dem Geld gefragt, aber sie sind nicht mehr dabei. Fragt doch die anderen! Ich verspreche euch, dass noch jemand größere Schwierigkeiten hat als wir."

"2006 habe ich gar nichts ausgegeben, denn ich wusste, dass das neue Auto nichts taugt." Flavio Briatore

"Ich habe immer getan, was ich für richtig und angemessen hielt. 2006 habe ich gar nichts ausgegeben, denn ich wusste, dass das neue Auto nichts taugt. Warum also Geld ausgeben? Ich habe versucht, für dieses Jahr Geld auszugeben, denn jetzt geht die Entwicklung wieder in die richtige Richtung. Ich will nicht nur Geld ausgeben, weil wir in der Formel 1 sind. Das ist nicht meine Art."

"Ich habe mich immer für eine Kostenreduktion stark gemacht - und jetzt sehen das alle genau wie ich. Wenn sie fünf Jahre früher auf mich gehört hätten, wäre Honda vielleicht noch da. Ich wollte die Kostenreduktion nicht meinetwegen, sondern für das Umfeld der Formel 1. Jetzt laufen wir Gefahr, dass überreagiert wird. Fünf oder sechs Jahre lang habe ich immer wieder gesagt, dass die Präsentationen zu viel Geld kosten, dass es keinen Sinn macht, 1.000 Mitarbeiter für zwei Autos zu haben oder Dinge wie KERS zu entwickeln. Wozu? Und jetzt denken auf einmal alle wie ich."

Frage: "Wie schwierig ist es generell für Automobilhersteller, ein Formel-1-Programm zu rechtfertigen? Werden die Autoverkäufe noch weiter einbrechen?"
Briatore: "Es ist genau wie das Verkaufen von Äpfeln oder T-Shirts, wenn dein Laden nicht gut genug geht. Genau deswegen sage ich, dass die Formel 1 Gewinn statt Kosten verursachen sollte. Nur wenn wir Gewinn abschöpfen, ist es den Konzernen egal. Dann überleben wir. Wenn wir Geld verlieren, wird es schwierig. Das muss aufhören - so eine Situation darf nie wieder vorkommen. Für die Hersteller hängt es davon ab, wie viel die Formel 1 kostet. Es geht um die Summen, denn die Marketingvorteile der Formel 1 liegen auf der Hand."

Frage: "Der Gewinn hängt nicht nur von den Kosten, sondern auch von den Einnahmen ab. Muss es darüber auch Gespräche mit Bernie Ecclestone geben?"
Briatore: "Sicher. Wenn etwas geregelt werden muss, müssen zuerst die Kosten gesenkt werden. Es sind die Regeln, die bei uns die Kosten bestimmen. Ohne Regeln verbrennen die Ingenieure das ganze Budget in zwei Wochen! Die Regeln müssen also gut formuliert sein. Danach kommt es zu dem Punkt, an dem wir darüber reden sollten, ob wir genug bezahlt bekommen, um zu überleben."

Fundament für eine Zukunft aufbauen

"Wir brauchen kein zusätzliches Geld von den Teameigentümern, sondern wir müssen aufgrund unseres Produkts überleben können. Wir brauchen genug Geld von der FOA, von den Sponsoren. Es sollte nicht so sein, dass wir von Jahr zu Jahr mehr Geld brauchen, denn dann platzt die Blase mit der nächsten Krise, wie wir bei Honda gesehen haben. Honda hat immens viel Geld reingesteckt, aber das hatte keine Zukunft. Wenn die Hersteller in drei Jahren erkennen, dass wir unsere Aufgabe gut gelöst haben, dass die Formel 1 nicht mehr so viel kostet, aber eine gute Show bietet, dann werden alle bleiben. Vielleicht kommen dann sogar manche in die Formel 1 zurück."

"Wir waren in Indianapolis, aber das war nicht gerade toll." Flavio Briatore

Frage: "Wie stehst du dazu, dass dieses Jahr keine Nordamerikarennen gefahren werden?"
Briatore: "Das sind Rennen, die wir haben wollen, aber nur unter den richtigen Umständen. Wir waren in Indianapolis, aber das war nicht gerade toll. Ich weiß, dass Bernie an dem Thema arbeitet. Es ist aber nicht so einfach, ein Rennen in Amerika auszuverhandeln, denn für die Amerikaner ist die Show am wichtigsten - und die ist bei uns im Moment nicht so prickelnd. Bernie weiß, dass wir Rennen in Nordamerika wollen. Er konzentriert sich auch darauf. Es muss aber unter den richtigen Umständen in der richtigen Stadt passieren."

Frage: "Was sagst du zum Rücktritt von Ron Dennis?"
Briatore: "Ich habe größten Respekt vor dem, was Ron Dennis in der Formel 1 geleistet hat, ganz ehrlich. 90 Prozent der Zeit waren wir uns nicht einig. Wir sehen die Formel 1 aus unterschiedlichen Blickwinkeln, aber ich respektiere, was er in den vergangenen 20 Jahren erreicht hat. Er war einer der schillernden Teameigentümer. Er hat eine unglaubliche Firma aufgebaut und ich habe viel Respekt dafür, vor allem für seine Arbeit in den vergangenen Monaten."

"McLaren ist innerhalb der FOTA von vielen Standpunkten abgewichen. Ich finde, es gibt einige Teams, die einen unglaublichen Job machen, und Ron Dennis war ein großer Unterstützer der FOTA. McLaren hat die eigene Politik komplett über den Haufen geworfen. Ferrari hat auch viel aufgegeben, Renault auch ein paar Dinge und andere gar nichts. Manche haben sich selbst zurückgenommen, um die Interessen der Formel 1 zu wahren, und das trifft vor allem auf Ron Dennis zu. Andere Teams haben stattdessen alles unternommen, um KERS um jeden Preis durchzudrücken..."