• 09.06.2005 09:55

Das große Interview mit Jacques Villeneuve

Im Rahmen einer Pressekonferenz in seinem Gastronomiepalast 'Newtown' stellte sich Jacques Villeneuve verschiedensten Fragen

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Jacques, worin unterscheidet sich dieses Rennen für dich von anderen?"
Jacques Villeneuve: "Ich bin hier zu Hause. Aus dieser Gegend stamme ich ab, dadurch ist es ein spezielles Wochenende."

Titel-Bild zur News: Jacques Villeneuve

Jacques Villeneuve ist bislang eine der großen Enttäuschungen der Saison 2005

Frage: "Stehst du zu diesem Zeitpunkt der Saison dort, wo du es vor Saisonbeginn erwartet hattest?"
Villeneuve: "Definitiv nicht. Ich habe ja gesehen, wie konkurrenzfähig Sauber letztes Jahr war und welche Fortschritte sie während der Saison gemacht haben. Ich hatte eine gute Vorstellung vom Reifenunterschied und kann daher beurteilen, wo sie letztes Jahr gestanden wären, wenn sie schon dieselben Reifen wie jetzt gehabt hätten. Als wir dann die neuen Reifen auf das alte Auto montiert haben, war es eine große Verbesserung im Vergleich zu allem, was sie davor erlebt hatten."

"Daher waren wir überrascht und enttäuscht, als das neue Auto kam und nicht mehr so konkurrenzfähig war. Es fühlt sich beim Fahren nicht schlecht an, aber es ist einfach zu langsam. Es ist schwierig, das Problem festzumachen."#w1#

Villeneuve ist ein Fan des neuen Reifenreglements

Frage: "War das Reifenreglement von einem strategischen und sicherheitstechnischen Standpunkt aus betrachtet nicht vergangenes Jahr besser?"
Villeneuve: "Nein, definitiv nicht. Ich denke, wir haben dadurch dieses Jahr bessere Rennen gesehen. Und warum sollte es sicherheitstechnisch gefährlich sein? Der einzige Grund, weshalb es beim letzten Rennen ein Problem gegeben hat, war ein Bremsplatten, der Vibrationen verursacht hat, aber das hätte mit den letztjährigen Regeln genauso passieren können."

"Letztes Jahr wäre man auch nicht an die Box gekommen, um den Reifen zu wechseln, sondern man hätte in derselben Situation auch alles versucht, das Rennen irgendwie durchzustehen. Wenn man in Führung liegt, will man nicht an die Box fahren. Das ist eine Grundregel des Motorsports, die nichts mit den neuen Regeln zu tun hat. Wenn man sich den Frontflügel oder die Radaufhängung bei einer leichten Kollision anknackst, kommt man ja auch nicht gleich an die Box. Daher hat die Reifenregel auf die Sicherheit nur einen sehr minimalen Einfluss."

"War nicht happy über das Qualifying am Sonntag"

Frage: "Bist du glücklich, dass die Qualifikation jetzt wieder an nur einem Tag ausgetragen wird?"
Villeneuve: "Ich war nicht happy über das Qualifying am Sonntag, aber ich fand es toll, dass zumindest ein Qualifying mit wenig Benzin gefahren wurde. Jetzt fahren wir alle wieder mit viel Benzin, aber niemand weiß, wer wirklich wie schnell ist. Man bestimmt die Qualifikationsrunde schon durch die Benzinmenge, die man auftanken lässt, daher ist es kein echtes Qualifying mehr. Es gehört bereits zum Rennen, ist pure Strategie. Ich bin kein großer Fan davon."

Frage: "Wie groß ist der Unterschied in deiner Gefühlslage zwischen heute und deinem letzten Rennen hier vor zwei Jahren?"
Villeneuve: "Ich fühle mich viel besser als vor zwei Jahren. Die letzten zwei Jahre bei BAR waren die Hölle. Alles ist besser als das. Das hing nicht mit dem Auto oder den Leuten zusammen, nicht mit den Ingenieuren oder Mechanikern. Alles ging auf eine Person zurück, die auf einer Mission war, mich in Misskredit zu bringen. Das hat mir mein Leben schwer gemacht. Durch das freie Jahr konnte ich einmal durchatmen und entspannen. Dadurch war es mir möglich, mich bei meiner Rückkehr nicht mehr von solchen Dingen beeinträchtigen zu lassen."

"JV" nicht angetan über die Kritik von Peter Sauber

Frage: "Peter Sauber hat gesagt, dass du langsamer als erwartet bist. Wie reagierst du darauf?"
Villeneuve: "Ich will darauf nicht reagieren. Das ist die Art von Kommentar, die einen wirklich wütend machen kann, aber Wut hat eine negative Auswirkung darauf, wie man fährt, daher beachte ich diese Aussage gar nicht und verstehe sie als Scherz. Am besten ist es, wenn so wenig wie möglich an die Öffentlichkeit dringt. Wenn so etwas in die Öffentlichkeit kommt, zeigt das eine Schwäche eines Teams auf, und das macht auch den Rest des Teams schwächer. Für die Leistung ist so etwas jedenfalls nicht förderlich."

Frage: "Was ging dir während des letztjährigen Rennens in Montréal durch den Kopf?"
Villeneuve: "Dass ich für die Party nach dem Rennen nicht hier war! Es war schon gut, eine Weile vom Rennsport weg zu sein, aber hier nicht zu fahren, das hat mir schon gefehlt. Wegen der Atmosphäre, den Leuten und den Fans ist es immer ein spezielles Wochenende. Es war nicht nett, hier nicht dabei sein zu können."

Frage: "Dein Auftakt mit deinem neuen Team war nicht gerade gut. Läuft es inzwischen besser oder stehst du noch immer unter Druck?"
Villeneuve: "Natürlich bin ich nicht zufrieden. Imola war gut und in Monaco waren wir auch konkurrenzfähig, aber in den anderen Rennen waren wir das langsamste Michelin-Auto, was sicher keine Position ist, in der man unbedingt sein möchte. Vom Wechseln von Federn und Dämpfern mal abgesehen können wir am Auto im Moment recht wenig tun. Das Arbeiten ist unter solchen Umständen natürlich nicht sehr befriedigend, aber so ist es nun mal. Ich muss das Beste daraus machen."

"Jedes Jahr mehr bedeutet mehr Erfahrung"

Frage: "Du wirst nicht jünger. Wie viele Jahre kannst du dir vorstellen, das noch zu machen?"
Villeneuve: "Jedes Jahr mehr bedeutet mehr Erfahrung, daher sehe ich das positiv. Man sollte solange weitermachen, wie man hungrig ist, man die Arbeit genießt, kämpft, ans Limit geht und es mag, Probleme zu lösen. Bei der Arbeit mit einem Rennauto geht es schließlich nicht nur darum, es zu fahren, sondern man muss sich auch Gedanken machen, was man alles ändern kann, um es schneller zu machen. Das macht Spaß, aber man braucht das Budget und das Team, um verschiedene Aspekte auszuprobieren. Momentan haben wir kein großes Budget, daher können wir diese Dinge nicht tun."

Frage: "Natürlich würdest du gerne wieder ein Rennen gewinnen, aber mit welchem realistischen Resultat wärst du am kommenden Wochenende zufrieden?"
Villeneuve: "Ich werde erst am Freitag wissen, was möglich ist. Ohne Punkte zu bleiben, wäre definitiv eine Enttäuschung. Auch Platz sieben und acht sind Punkte, aber wirklich wie Punkte fühlt sich erst der sechste Platz oder besser an. So waren die Regeln nämlich früher. Ein siebenter oder achter Platz bringt auch Punkte, fühlt sich aber nicht so befriedigend an."

Villeneuve relativiert die Leistung von Danica Patrick

Frage: "Hast du das Indy 500 gesehen und was hältst du von Danica Patrick?"
Villeneuve: "Sie hat einen sehr guten Job gemacht. Das Witzige ist, dass sie durch ihren Fehler indirekt später in Führung gegangen ist, daher wäre es ein bisschen unfair gewesen, wenn sie wirklich gewonnen hätte. Sie hat aber das ganze Wochenende über einen guten Job gemacht und ist sicher eine gute Rennfahrerin."

Frage: "Hältst du dich selbst noch für einen der schnellsten Fahrer der Welt, wenn man dir das richtige Material geben würde?"
Villeneuve: "Definitiv. Wenn ich das nicht glauben würde, wäre ich nicht mehr in den Rennsport zurückgekehrt."

Frage: "In der Formel 1 dominiert momentan Fernando Alonso, Michael Schumacher ist weg vom Fenster. Was hat dich bisher in diesem Jahr am meisten überrascht?"
Villeneuve: "Schon vor den ersten Wintertests habe ich gesagt, dass unser konkurrierender Reifenhersteller den Abstand zu Michelin nicht schließen wird können, aber damals war ich der Einzige mit dieser Meinung. Seit Saisonbeginn ist es genau so, aber mich überrascht das wie gesagt nicht."

"Kimi hat das schnellere Auto", glaubt Villeneuve

"Ich hätte eher damit gerechnet, dass McLaren die Weltmeisterschaft anführt, nicht Renault. Kimi (Räikkönen; Anm. d. Red.) hat das schnellere Auto, aber irgendwie haben sie es noch nicht in Punkte umsetzen können. Jetzt fährt Alonso in einer eigenen Liga. Wenn man sich in so einer Position wie er befindet, kann man sich das Ding kaum noch entgehen lassen. Sie können bei Renault den Titel nur noch verlieren, wenn sie etwas Dummes machen."

Frage: "Hast du die Hoffnung, dass dein Team eines Tages zu den Großen aufschließen wird, schon aufgegeben?"
Villeneuve: "Mit dem bisherigen Saisonverlauf wird es definitiv schwierig, bei Verhandlungen am längeren Ast zu sitzen und bei einem Siegerteam zu landen. Aber ich genieße die Arbeit mit meinem Team auch so, wenn wir nicht an der Spitze sind - es muss sich nur immer etwas nach vorne bewegen. Alles hängt vom Plan für nächstes Jahr ab. Wenn sich das Team verbessern will und große Fortschritte absehbar sind, dann wäre ich sehr froh, an einem solchen Projekt mitzuarbeiten."

Frage: "Ferrari und der Name Villeneuve sind untrennbar miteinander verbunden. Besteht eine Chance für dich, dort zu landen, wenn Michael Schumacher aufhört?"
Villeneuve: "Bisher hat sich nicht gezeigt, dass sich da etwas ergeben könnte, daher kann ich dazu nichts sagen."

Villeneuve fühlt sich "wie ein Teil" von Kanada

Frage: "Wie wirst du von den Fans empfangen, wenn du nach Kanada kommst?"
Villeneuve: "Wenn man die Menschen trifft, fühlt man sich wie ein Teil dieses Landes. Dieses Gefühl wurde in den letzten Jahren immer stärker. Ich bin ja in Europa aufgewachsen. Die Leute haben eine Weile gebraucht, um das zu akzeptieren, aber im Laufe der Jahre haben sie mich immer mehr und mehr anerkannt."

Frage: "Es gibt Spekulationen, wonach Andrew Ranger eher früher als später in die Formel 1 wechseln könnte. Welchen Ratschlag gibst du ihm mit auf den Weg?"
Villeneuve: "Er soll keine Brücken überspringen. Er ist noch sehr jung und muss viel lernen. Definitiv ist er sehr talentiert, aber vorherzusagen, wie es für ihn in Europa laufen würde, ist nicht einfach. Einem Rennfahrer können psychologisch viele Dinge passieren - und manchmal hat das einen größeren Einfluss auf eine Karriere als schieres Talent. Siege und Unfälle können die Fahrweise beeinflussen. Ich halte es für wichtig, nicht zu früh in die Formel 1 einzusteigen, obwohl man eine Chance natürlich annimmt, sobald sie sich bietet."

"Talent kommt nicht mehr so sehr zum Tragen"

Frage: "Wenn man sich deine Konkurrenten anschaut, sind die meisten davon junge Kids. In den vergangenen Jahren haben mehr und mehr Charaktere den Sport verlassen. Siehst du die Jungen auch als talentierte Roboter?"
Villeneuve: "Es ist heutzutage schwieriger, einen guten Fahrer einzuschätzen, weil so viele Fahrhilfen im Auto sind, dass das Talent gar nicht mehr so sehr zum Tragen kommt. Jeder gute Fahrer kann mit so etwas fahren. Man bremst so hart wie möglich, wirft das Auto in die Kurven, steigt auf das Gaspedal - und das Auto kümmert sich um den Rest. Es ist heute für einen Neuling einfacher geworden, sich an die Formel 1 zu gewöhnen. Wenn ein Fahrer ohne Erfahrung in die Formel 1 kommt, ist es aber ziemlich schwierig, einen guten Eindruck zu hinterlassen."

"Die Jungs sind 19 oder 20 Jahre alt und meistens schon glücklich darüber, es überhaupt in die Formel 1 geschafft zu haben. Meistens haben sie einen großen Sponsor oder einen großen Teameigentümer im Rücken, der selbst der Star sein möchte. Der Fahrer fährt nur noch das Auto, sonst nichts. So hat sich das entwickelt. Die Art und Weise, wie Aussagen manchmal aus dem Zusammenhang gerissen werden, nur um der Marketingabteilung zu entsprechen, ist bedenklich. Jeder hat daran Schuld. Die Medien machen und zerstören Helden, aber wenn sie charakterlose Helden aufbauen, dann darf man sich nicht wundern, wenn diese immer mehr werden."

Frage: "Hast du dir schon Gedanken darüber gemacht, was du nach 2006 machen wirst?"
Villeneuve: "Keine Ahnung. Wenn es so weitergeht wie dieses Jahr, werde ich es mir nicht aussuchen können."

"Wenn ich früher nicht gewonnen hätte, gäbe es keine Kritik"

Frage: "Findest du, dass die Medien zu hart mit dir ins Gericht gehen?"
Villeneuve: "Nein, das ist schon okay. Damit kann ich umgehen. Die Medien sind ja nur so kritisch, weil man sich mehr erwartet hätte. Wenn ich früher nicht gewonnen hätte, gäbe es heute keine Kritik. Wenn ich nur deswegen kritisiert werde, weil ich früher einmal Rennen gewonnen habe, dann nehme ich diese Kritik gerne an. Man bekommt nichts umsonst, man hat immer einen Preis zu zahlen."

Frage: "Wie kommst du mit Felipe Massa aus?"
Villeneuve: "Überraschenderweise sehr gut. Als er zum ersten Mal in die Formel 1 kam, war er nicht allzu gut, denn er war jung und hatte keine Erfahrung. Dadurch hat er Fehler gemacht. Seither hat er sich aber stark verbessert, vor allem ist er reifer geworden. Er hat ein Jahr als Testfahrer bei Ferrari verbracht und ist jetzt ein sehr starker Rennfahrer. Er ist ruhiger als früher, hat sein lateinamerikanisches Blut besser im Griff und dadurch ist er insgesamt besser geworden. Wir respektieren uns gegenseitig und kommen gut miteinander aus. Wir ziehen am selben Strang. Das macht es einfacher."

Keine Lust auf lästige Autogrammstunden

Frage: "Nach dieser Pressekonferenz musst du in ein Kaufhaus zu einer Autogrammstunde. Macht dir so etwas Spaß?"
Villeneuve: "Nein. In einem Kaufhaus sitzen ist sicher nicht das Lustigste, was man machen kann. Es gehört aber alles zu diesem verrückten Wochenende dazu."

Frage: "Diese Strecke ist sehr schnell, aber mit vielen langsamen Kurven. Wie siehst du die Rolle der Reifen in Montréal?"
Villeneuve: "Durch die schnellen Geraden werden die Reifen stark belastet, daher müssen sie eher hart sein. Abhängig davon, wie gut die Radaufhängung funktioniert, kann es zu Blasenbildung kommen. Gleichzeitig würde man für die langsamen Kurven lieber einen weichen Reifen haben, weil nicht genug Anpressdruck vorhanden ist, der die Bodenhaftung herstellen würde. Das ist der Kompromiss, den man eingehen muss."