• 07.10.2012 17:09

  • von Dieter Rencken & Stefan Ziegler

Alonso & Vettel: Wird die WM jetzt zum Zweikampf?

Fernando Alonso hat seinen Vorsprung eingebüßt, Sebastian Vettel ist wieder dran: Wer fünf Rennen vor Schluss die besseren Karten im Titelkampf hat

(Motorsport-Total.com) - Was mag Fernando Alonso wohl gedacht haben, als sich der Staub gelegt hatte? Der spanische Ferrari-Pilot musste beim Großen Preis von Japan mitansehen, wie Sebastian Vettel (Red Bull) zu einem souveränen Sieg fuhr, während er selbst bereits in der ersten Kurve gestrandet war. Der ganze Vorsprung futsch, lediglich vier Punkte blieben übrig. Und das bei nur fünf ausstehenden Rennen.

Titel-Bild zur News: Fernando Alonso, Sebastian Vettel

Sebastian Vettel und Fernando Alonso: Fünf Rennen vor Schluss fast punktgleich

Es hat schon wesentlich besser ausgesehen für Alonso, der zwar die WM-Führung mit auf die Reise nach Südkorea nimmt, aber auch große Sorgen. Denn Vettel ist ihm auf den Fersen - und das mehr als je zuvor in dieser Saison. Und dabei hatte Alonso seinen deutschen Rivalen vor der Formel-1-Sommerpause bereits um 44 Punkte distanziert. Das Blatt hat sich jedoch dramatisch gewendet.

Während Alonso seit der Sommerpause zwei dritte Plätze einfuhr und zwei Ausfälle hinnehmen musste, holte Vettel gleich zwei Siege, einen zweiten Rang und punktete nur einmal nicht. Und ist jetzt wieder auf Tuchfühlung und hat nach den Erfolgen in Singapur und Suzuka sehr viel Rückenwind. Ganz im Gegenteil zu Alonso, der nach einem schwierigen Japan-Wochenende unter Druck steht.


Fotos: Großer Preis von Japan


Von einer Vorentscheidung im WM-Titelduell spricht im Fahrerlager zwar noch niemand, doch die Mehrheit der Beobachter attestiert Vettel nun die besseren Karten. Und Ferrari ein Problem. Niki Lauda bringt es auf den Punkt: "Alonso ist frustriert. Seit sechs Rennen ist nichts weitergegangen. Jetzt zum Schluss muss etwas nachkommen", sagt der dreimalige Formel-1-Weltmeister bei 'RTL'.

Das Blatt kann sich rasch wenden ...

In der Tat: Die jüngsten Ergebnisse - vor allem die souveräne Vorstellung von Red Bull in Suzuka - sprechen eine deutliche Sprache, die Alonso sicher zum Nachdenken anregt. Vor allem nach einem so bitteren Erstrunden-Aus. "Er ist aber lange genug dabei und wird schon damit umgehen können", meint Ex-Formel-1-Pilot Adrian Sutil bei 'Sky'. "Es ist nur ärgerlich, wenn man nichts dafür kann."

Fernando Alonso

Am Haken: So endete das Japan-Rennen von Fernando Alonso in der ersten Kurve Zoom

Alonso war nach dem Start zum Großen Preis von Japan mit Kimi Räikkönen (Lotus) aneinander geraten, was noch auf der Fahrt zur ersten Kurve in einer kleinen Berührung mündete. Diese reichte aber aus, um Alonso einen Reifenschaden zu bescheren und den Ferrari in einen Dreher zu zwingen. Keine Chance für den WM-Spitzenreiter, das waidwunde Auto noch zurück an die Box zu bringen.

"So schnell kann es gehen", sagt Sutil und trifft damit vollkommen ins Schwarze. Dem Nervenkostüm der spanisch-italienischen Allianz bei Ferrari dürfte dies sicherlich nicht besonders gut getan haben. Denn Ferrari ist nun in Zugzwang, weil Red Bull im Aufwind ist. "Ferrari muss nachlegen", meint auch Sutil und fügt hinzu: "Es sind nur noch vier Punkte Abstand und sie können sich nicht ausruhen."

Red Bull macht Druck, Ferrari ist gefordert

Das hat Rot sicher auch nicht vor. Vielmehr hat man sich in Maranello zum Ziel gesetzt, den F2012 schnellstmöglich entscheidend zu verbessern. Für den Endspurt der Saison wird Ferrari also noch einmal alles in die Waagschale werfen. Die Frage ist nur: Ist das genug? Lauda zeigt sich recht skeptisch: "Sebastian ist im Moment auf dem besten Weg, die Weltmeisterschaft zu gewinnen."

Fernando Alonso

Muss sich Fernando Alonso von nun an warm anziehen? Red Bull macht Druck Zoom

Bei Ferrari zeige man sich zwar zuversichtlich, doch das müsse nichts heißen. "Italiener sind immer sehr optimistisch", sagt Lauda. "Ich glaube nicht, dass es reichen wird." Alexander Wurz, ehemaliger Formel-1-Fahrer, widerspricht seinem österreichischen Landsmann jedoch beim 'ORF': "Alonso ist noch immer voll im Titelrennen. Er führt in der WM. Nur der Vorsprung ist etwas geschmolzen."

Erschwerend hinzu komme allerdings, dass Alonso nun das schwächere Auto habe. Wurz weiter: "In dieser Situation war er aber schon ein paar Mal. Er kann mit dem Druck umgehen. Ferrari dürfen wir nie unterschätzen, auch wenn sie ein schwächeres Auto haben." Mit dem sich Alonso in dieser Saison bereits mehrfach gut in Szene gesetzt hat. Nur so etablierte er sich überhaupt an die WM-Spitze.

Vorteil Vettel oder alles völlig offen?

Deshalb rechnet Wurz nicht mit einem Durchmarsch von Vettel und Red Bull, sondern mit einem engen Duell bis auf die letzten Meter. "Für beide ist es total offen. Es hat sich schlagartig gedreht. Und jetzt geht es ans Eingemachte", meint Wurz. Und Sutil betont: "Mit einem Ausfall ist wieder alles ganz anders." Schon in einer Woche könnte sich in der WM-Wertung wieder ein anderes Bild bieten.

Erst einmal wittert Red Bull aber gewaltig Morgenluft: "Ich glaube, man kann wieder mit uns rechnen", sagt Helmut Marko gegenüber 'RTL', während sich Teamchef Christian Horner noch ein bisschen in Zurückhaltung übt: "Wir haben starke Gegner und können uns nicht zurücklehnen. Es wird ein echter Thriller in den letzten fünf Rennen. Wir haben ja gesehen: Das Kräfteverhältnis variiert ständig."

Und bisher gab es eigentlich nur eine Konstante - und die hörte auf den Namen Alonso. Bis auf seine zwei Ausfälle in Belgien und Japan war der Spanier in diesem Jahr ein Muster an Zuverlässigkeit. Doch wie Horner bei 'Sky Sports F1' erklärt, habe jeder mal das Nachsehen. "Fernando hatte in Suzuka Pech, aber über 20 Rennen hinweg gleicht sich das aus", meint der Red-Bull-Teamchef.

Alonso und Vettel fast auf Augenhöhe

Sein Team habe ebenfalls schon einige Rückschläge - vor allem technischer Natur - einstecken müssen. Man denke zum Beispiel an Valencia, als Vettel in Führung liegend ausschied und 25 scheinbar sichere Punkte verlor. Es profitierte Alonso. In Japan profitierte Vettel. "Und von ihm geht nun eine ernsthafte Gefahr aus", sagt McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh anerkennend.

Sebastian Vettel

Jubel beim Sieger: Sebastian Vettel weiß um die Bedeutung des Suzuka-Erfolgs Zoom

Zunächst aber reisen die beiden großen Titelrivalen (fast) auf Augenhöhe nach Südkorea. Ein Blick in die bisherigen Saisonstatistiken zeigt nämlich: Die Zwischenbilanz von Alonso und Vettel ähnelt sich nicht nur beim Punktestand. Beide haben in 15 Rennen je dreimal gewonnen, standen bei rund der Hälfte ihrer Zielankünfte auf dem Treppchen und führten jeweils über 1.100 Kilometer das Feld an.

Interessant ist: Die Ausbeute an Führungsrunden scheint den Zwischenstand in der WM-Tabelle widerzuspiegeln, denn dort steht es 216:212 - Vorteil Alonso. Er stand auch öfter auf dem Podest als Vettel (8:6), hat dafür weniger Pole-Positions (2:4) und startet im Schnitt etwas weiter hinten als Vettel (6,2:4,6), machte im laufenden Rennjahr aber schon 35 Positionen gut, Vettel büßte dagegen drei ein.

Erinnerungen an 2010 werden wach

Was sich zum Teil nicht allzu sehr von den Statistiken der Saison 2010 unterscheidet. Und angesichts der jüngsten Ereignisse fühlen sich viele Beobachter an eben dieses Jahr erinnert. Selbst Alonso kommt nicht umhin, einen Vergleich zu ziehen: "2010 waren sie (Red Bull; Anm. d. Red.) mehr als eine Sekunde schneller als wird. Dennoch haben wir damals die WM bis Abu Dhabi angeführt."

Sebastian Vettel, Fernando Alonso

Sebastian Vettel hat Fernando Alonso in der WM-Wertung beinahe eingeholt Zoom

"Jetzt liegen sie ungefähr 0,8 Sekunden vor uns. Wir führen aber wieder vor ihnen in der WM. Wir kennen eine solche Situation. Wir wissen, wie es ist, wenn man eine Sekunde langsamer ist als die Konkurrenz, aber trotzdem um den Titel kämpft. So läuft es eben", meint der Ferrari-Pilot, der den WM-Titel 2010 auf den letzten Metern des Jahres noch an seinen Red-Bull-Rivalen verloren hat.

Damals hatte Vettel ebenfalls in der Schlussphase des Jahres noch mächtig aufgeholt und sich schließlich im letzten Grand Prix nach vorn geschoben. Was also ist nun zu tun? Sutil weiß Rat: "Derjenige, der bei den nächsten fünf Rennen am konstantesten ist und Ausfälle vermeidet, wird am Ende vorn sein." Was - siehe Alonso in Suzuka - auch von anderen Faktoren abhängen kann.

Pirelli will beim Endspurt nur Statist sein

Zumindest Pirelli will jedenfalls nicht das Zünglein an der Waage sein. Man habe die Reifenwahl für die Schlussrennen bereits getroffen und sehe "keinen Grund, an der Wahl etwas zu verändern", sagt Paul Hembery, Motorsport-Direktor des Formel-1-Lieferanten. "Die Teams kennen unsere Wahl noch nicht. Das richtet sich aber eh nicht nach dem WM-Stand, sondern nach den Kurs-Charakteristiken."

An den Reifen soll es also nicht liegen. Vielleicht aber am Verhalten auf der Strecke? Vettel hat in Japan schließlich bereits seine zweite "gelbe Karte" kassiert - eine Verwarnung durch die Formel-1-Rennleitung. Bei der dritten wird er im darauf folgenden Grand Prix in der Startaufstellung um zehn Positionen nach hinten versetzt. Und das könnte sich als entscheidendes Handicap erweisen.

Rein technisch dürfte der Titelverteidiger aber gut gerüstet sein. "Suzuka ist eine Auto-Strecke. Wenn das Auto dort passt, dann hat man eigentlich auf allen anderen Strecken kaum Probleme und sollte wenig Sorgen haben", erklärt Sutil. "Wenn es so weitergeht, hat Sebastian sicherlich die größten WM-Chancen. Es ist jetzt wieder ausgeglichen, allerdings kann es sich auch schnell wieder drehen."

Nur ein Zweikampf? Von wegen!

Und vielleicht kommt am Ende alles ganz anders, als viele glauben - wie schon 2010, als Vettel nach dem letzten Rennen erstmals die WM anführte und sich damit zum Weltmeister machte. Denn wer sagt eigentlich, dass es ab sofort nur ein Zweikampf ist? "Auch die dahinterliegenden Fahrer haben durchaus noch Chancen", meint Sutil und betont: "Es geht nicht nur um Alonso und Vettel."


Fotos: Red-Bull-Showrun in Seoul


Ein Blick auf den WM-Stand zeigt: Vor dem fünftletzten Rennen des Jahres reden rein rechnerisch noch neun Piloten ein Wörtchen um die Titelvergabe mit. Felipe Massa (69 Punkte), Romain Grosjean (82), Nico Rosberg (93), aber wahrscheinlich auch Jenson Button (131) und Mark Webber (134) sind schon zu weit weg. Lewis Hamilton (152) und Kimi Räikkönen (157) sind eher noch in Schlagdistanz.

Und bei maximal noch zu ergatternden 125 Zählern ist ohnehin alles drin. Speziell in einer so wechselhaften Saison, in der Vorhersagen von einem Wochenende auf das andere so gut wie unmöglich sind. "Dafür braucht man dieses Jahr eine Kristallkugel", meint Wurz. Wer keine hat, muss wohl oder übel abwarten. Denn wie sagt Lauda so treffend: "Weltmeister bist du erst, wenn alles vorbei ist."