• 09.07.2017 19:00

  • von S. Haidinger, C. Nimmervoll & D. Rencken

Trotz Vettel-Zweifel: Warum Bottas' Wunder-Start legal war

Sebastian Vettel wirft Valtteri Bottas vor, in Spielberg einen Frühstart hingelegt zu haben: Wieso der Triumphator keine Strafe erhielt und wie die FIA-Messungen laufen

(Motorsport-Total.com) - "Ich glaube, das war der Start meines Lebens", frohlockt Valtteri Bottas nach seinem zweiten Grand-Prix-Sieg. Weil er weiß: Auf den ersten Metern hinauf zur ersten Kurve schuf er die Grundlage für seinen Triumph in Spielberg. Doch bei der Konkurrenz rümpft man die Nase. "Das war 100-prozentig ein Frühstart", wiederholt der zweitplatzierte Sebastian Vettel sein Urteil, das er während des Rennens bereits via Boxenfunk kundgetan hatte.

Titel-Bild zur News: Valtteri Bottas

Valtteri Bottas kam in Spielberg deutlich besser weg als seine Gegner Zoom

Tatsächlich wurde der Start des Finnen von den Rennkommissaren untersucht, doch die gaben bald Entwarnung: No further action! Die TV-Inserts geben dem Pole-Setter recht. Demnach betrug Bottas' Reaktionszeit 0,2 Sekunden, während es bei Vettel 0,369 Sekunden dauerte, ehe er seinen Ferrari-Boliden in Gang brachte.

Sollte damit nicht alles klar sein? Nicht für Vettel. Der viermalige Weltmeister kann sich nicht vorstellen, dass der Wert von 0,2 Sekunden der Realität entspricht. "Das glaube ich nicht", sagt er. Warum er so misstrauisch ist? "Normalerweise bewegt sich die Reaktionszeit bei allen im Bereich von 0,2", erklärt Vettel. "Ich glaube nicht, dass alle heute langsamer waren. Eine Reaktionszeit von 0,2 Sekunden wäre normal, aber aus meiner Sicht war seine Reaktion heute übermenschlich."

Auch Ricciardo glaubt: Bottas hat nicht auf Ampel reagiert

Der Ferrari-Pilot zweifelt also daran, dass Bottas wirklich auf das Ampelsignal reagiert hat: "Ich glaube, es gibt eine Grenze, wie schnell ein Mensch reagieren kann. Und da hat er einfach Glück gehabt." Er wolle Bottas zwar nichts wegnehmen, "aber beim Start hat er meines Erachtens einen Fehler gemacht". Er habe "zu früh gezuckt".

Vettel fühlt sich außerdem von seinen Kollegen bestärkt: "Ich glaube, wir alle dahinter waren überzeugt, dass das nicht richtig war." Tatsächlich funkte laut Red-Bull-Teamchef Christian Horner auch Daniel Ricciardo, dass Bottas seiner Ansicht nach zu früh losgefahren sei. Auch er glaube nicht, dass so ein Traumstart ausschließlich mit einem guten Reaktionsvermögen möglich ist. "Die Lichter blieben diesmal länger an als normal", fällt dem Australier auf. "Ich glaube aber nicht, dass er auf die Lichter reagiert hat."

Sebastian Vettel, Valtteri Bottas

Vettel zweifelte nach dem Rennen an, dass Bottas' Start legal war Zoom

Laut dem Red-Bull-Piloten muss Bottas auf gut Glück aufs Gas gestiegen sein. "Ich habe das einmal in der Formel 3 gemacht", erinnert er sich. "Und das war auch an der Kippe. Wenn es im Rahmen ist, dann ist er aber auf der sicheren Seite."

Lauda: Die FIA-Sensoren dienen als Beweis

Kein Wunder, dass das Startvideo aus der Onboard-Perspektive nach dem Rennen ganz genau studiert wurde. Experte Marc Surer ortet dabei, dass sich "das Rad bewegt und die Ampel noch nicht aus ist", meint er gegenüber 'Sky'. "Er hat also die Kupplung um einen Bruchteil zu früh losgelassen. Aber wahrscheinlich war es innerhalb der Toleranz. Nach dem Messinstrument der FIA - und sie haben da etwas in den Boden eingelassen - muss es okay gewesen sein, sonst hätten sie reagiert."

Der Mercedes-Aufsichtsratsvorsitzende Niki Lauda hält beim Videostudium dagegen. "Das Licht geht aus, und er fährt los - also was ist da falsch?", wundert sich der Österreicher gegenüber 'RTL'. "Sebastians Jammerei verstehe ich nicht, denn das war eindeutig. Und wenn er nicht bestraft wird, dann muss er wissen, dass es korrekt war."

Wie die FIA den Bottas-Start erklärt

Für Lauda, der laut eigenen Angaben "überhaupt noch nie" so einen fantastischen Start gesehen hat, sind die Sensordaten der letzte Beweis: "Gibt es Sensoren in der Straße, die das messen? Eben, was gibt es da also zu diskutieren? Sebastians Eindruck war falsch, weil der Sensor bei Charlie Whiting rot aufblinkt, wenn er um eine Tausendstel zu früh losfährt."

Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff schlägt in die selbe Kerbe: "Das war einfach perfekt getimt." Und er gibt zu bedenken: "Man muss vorsichtig sein, wenn man Dinge aus dem Auto beurteilt. Man muss auch vorsichtig sein, wenn man sein Urteil auf Basis der TV-Bilder trifft. Da stimmt die Synchronisation nicht immer."

"Gibt es Sensoren in der Straße, die das messen? Eben, was gibt es da also zu diskutieren?" Niki Lauda

Dem scheint sich auch Ferrari zu beugen, denn laut Vettel werde das Team keinen Protest einlegen. Zumal auch ein FIA-Sprecher noch einmal klarstellt, dass sich Bottas innerhalb der Regularieren bewegt hat: "Bottas landete einen außergewöhnlich genauen und zufälligen Treffer, da er mit großartiger Präzision den Moment antizipierte, in dem die Lichter ausgingen."

Warum eine Toleranz beim Start-System nötig ist

Außerdem erklärt er, welche Toleranzen es beim Messsystem der FIA gibt: "Das Frühstart-System überprüft, ob sich das Auto ab dem Moment, in dem das letzte rote Licht aufleuchtet und die Lichter ausgehen, um einen festgelegten, sehr kleinen Bereich bewegt."

Diese sehr geringe Bewegung müsse man erlauben, da die Piloten ihre Kupplung vor dem Start einstellen. Das aktuelle System habe sich in den vergangenen 20 Jahren als "extrem zuverlässig" herausgestellt. Bottas habe in Spielberg die "sehr geringe" Toleranz nicht überschritten. Eine Erklärung dafür, dass Piloten auch bei minimalen Bewegungen vor dem Ausgehen der roten Lichter nicht unbedingt eine Strafe erhalten.


Fotostrecke: GP Österreich, Highlights 2017

FIA-Messung: Bottas bewegte sich 0,06 Sekunden vor dem Erlöschen

Und genau das scheint im Fall Bottas passiert zu sein. Laut den Kollegen von 'auto motor und sport', die sich auf die FIA-Messung berufen, bewegte sich Bottas exakt 0,06 Sekunden vor dem Erlöschen der Ampel. Und das ist offenbar innerhalb der FIA-Toleranz.

Doch wie reagiert Bottas eigentlich selbst auf die Debatte? Mit der gewohnten finnischen Coolness. "Als das Auto sich bewegte, waren die Lichter aus. Das ist die Hauptsache", sagt er trocken. "Das war wirklich ein perfekter Start." Wie ihm das Kunststück gelang? "Man muss sich einfach voll auf den Moment des Losfahrens konzentrieren. Man weiß ja ungefähr, wann die Lichter ausgehen werden." Daran habe er bei zahlreichen Startübungen gearbeitet. Er wisse zwar nicht genau, wie es zum Wert von 0,2 Sekunden Reaktionszeit gekommen ist, "aber wir machen viele Startübungen, bei denen wir oft viel bessere Zeiten erreichen".