• 21.07.2016 19:35

  • von Dieter Rencken & Dominik Sharaf

Nico Rosberg räumt ein: "Auch ich habe Selbstzweifel"

Psychoduell mit Hamilton spitzt sich zu: Rosberg bricht mit Daueroptimismus und misst dem "Momentum" Bedeutung bei, der Brite mimt den coolen Surferboy

(Motorsport-Total.com) - Das Titelduell zwischen Lewis Hamilton und Nico Rosberg spielt sich immer mehr nicht nur auf sportlicher, sondern auch auf psychologischer Ebene ab. In Anbetracht seines auf einen einzigen WM-Punkt zusammengeschmolzenen Vorsprungs zeigen sich auf der Stirn des Deutschen einige Sorgenfalten, wenn er im Gespräch mit dem 'Guardian' schwache Momente einräumt: "Ich werde auch nervös, bezeichne das Glas als halbleer und habe Selbstzweifel in schwierigsten Situationen."

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg

WM-Vorsprung schmilzt: Nico Rosberg hat das Grübeln noch lange nicht verlernt Zoom

Die Gunst der Stunde spricht gegen Rosberg. Vier der jüngsten fünf Rennen gewann Hamilton und ein 43-Zähler-Polster in der Gesamtwertung ist beinahe perdu. Genug, um den gebetsmühlenartig vorgetragenen Daueroptimismus der Vergangenheit über Bord zu werfen und Schwächen in den dunkelsten Stunden des Rennfahrer-Lebens zu gestehen: "Ich bin ein Mensch wie jeder andere", sagt er. "Das vergessen die Leute manchmal, wenn sie im Fernsehen schnelle Autos sehen."

Rosberg nennt den US-Grand-Prix 2015, als er den Titel an Hamilton verlor, als Beispiel. Oder die Teamkollision von Spielberg vor drei Wochen. Er bläst die Backen auf: "Es hat länger gedauert, über Österreich hinwegzukommen, weil das Thema weiter in den Medien war." Schlussendlich hätte es ihm aber geholfen, die abgedroschen wirkende Rennen-für-Rennen-Mentalität beherzigt zu haben. "Hätte ich mich auf die Punkte und auf den Gesamtstand konzentriert", so Rosberg, "wäre ich massiv enttäuscht gewesen." Denn längst ist das viel beschworene Momentum umgeschwenkt.

Qualifying spricht für Hamilton, Starts für Rosberg

"Die Gunst der Stunde spielt schon eine Rolle", bestätigt er, spricht jedoch von Schwankungen in den Leistungen der beiden Mercedes-Piloten und rechnet damit, dass Hamiltons Lauf bald ein Ende findet: "Seine Welle muss jetzt enden, dafür wird es Zeit." Naturgemäß sieht der Brite das anders und bedient sich eines ähnlichen Sprachbildes. "Ich surfe", lächelt der Champion wie der geborene Sunnyboy. "Manchmal muss man auf die Wellen warten. Manchmal kommen sie, manchmal nicht. Manchmal fällt man vom Brett, aber wenn man sie erwischt, dann ist es ein tolles Gefühl."

Nach seinem Stotterstart in die Saison muss sich Hamilton auf der Rennstrecke mittlerweile fühlen wie in Malibu am Strand. "Es ist wahnsinnig ermutigend und spendet viel Kraft", bestätigt er und meint, dass er sich von Technikpannen und eigenen Fehlern nicht hätte verunsichern lassen. Dem Qualifying sei Dank: "Ich habe sechs von zehn möglichen Pole-Positions geholt, obwohl ich zweimal keine gute Arbeit gemacht habe. Gut zu wissen, dass es in diesem Bereich nicht hapert."

Hamilton betont, sich unter allen Renn- und Wetterbedingungen im Auto pudelwohl zu fühlen und auch an seinen Starts zu arbeiten. Denn in diesem Bereich hat Rosberg laut der Datenblätter die Nase noch immer vorne - und auch sein Ego wiederentdeckt, wenn er auf die WM-Tabelle pocht. "Bis jetzt hatte ich die beste Saison aller Fahrer und darauf konzentriere ich mich", erklärt Rosberg und spricht von einer unveränderten Drucksituation im Fight um die WM-Krone.


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Hamilton überrascht die Aussage seines Kontrahenten nicht. Und er nutzt die Steilvorlage prompt für eine Kampfansage an seinen Freund aus Jugendtagen, mit dem ihm so gar nichts mehr zu verbinden scheint: "Es war ein Jahr für ihn, in dem alles glatt gelaufen ist. Ich hätte auch erwartet, dass er das sagt, denn er hat die komplette Saison über geführt. Das würde jeder sagen. Aber die Zeiten ändern sich." Die nächste Spitze lässt nicht auf sich warten, wenn Hamilton zwischen den Zeilen gerade rücken will, wer Herr im Hause Silber ist: "Wir müssen alle etwas Positives finden."