Pirelli: Gab es in Spa doch mehr Reifenschäden?

Offenbar entdeckte Pirelli in Spa-Francorchamps bei mehreren Reifen Schäden durch äußere Einwirkungen - Der Platzer bei Vettel lag aber an Überbeanspruchung

(Motorsport-Total.com) - Der souveräne Sieg von Lewis Hamilton beim Grand Prix von Belgien rückte angesichts der Vorkommnisse in der Schlussphase in den Hintergrund. Der Reifenplatzer von Sebastian Vettel ließ die Wogen hochgehen. Der viermalige Weltmeister tat seinen Unmut anschließend gegenüber den Fernsehkameras kund: "Die Qualität der Reifen ist miserabel! Das kann nicht sein!" Schon am Freitag platzte Nico Rosberg der rechte Hinterreifen bei über 300 km/h. Mit Glück kam es bei beiden Zwischenfällen zu keinen schweren Unfällen.

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel

Seit Spa-Francorchamps steht Pirelli wieder im Kreuzfeuer der Kritik Zoom

Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery wies die Anschuldigungen zurück. Ferrari sei mit der Einstopp-Strategie ein zu großes Risiko gegangen. In der Nacht auf Montag verschickte Pirelli eine Pressemitteilung, in der es heißt, dass man mit der Medium-Mischung maximal 50 Prozent der Renndistanz hätte zurücklegen sollen. Auf Spa-Francorchamps umgemünzt wären das 22 Runden. Vettels Reifensatz war am Beginn seiner 28. Runde. Vettel meinte im Parc Ferme, dass die Reifen laut Pirelli 40 Runden hätten halten sollen.

Nun sind weitere widersprüchliche Berichte aufgetaucht. Laut Informationen von 'Motorsport.com' hat Pirelli bei den Untersuchungen auch Schäden bei weiteren Reifen festgestellt, obwohl offiziell dementiert wurde. Nach den Trainings sollen auch Schnitte in anderen Hinterreifen festgestellt worden sein. Der Grund für diese Beschädigungen konnte nicht ermittelt werden. Die Vermutungen legten nahe, dass sie extern verursacht wurden - also von Teilen auf der Rennstrecke oder den Randsteinen.

Strecke sollte gründlich gesäubert werden

Im Vorfeld des Rennens wandte sich Pirelli an die FIA und legte nahe, dass die Strecke und die asphaltierten Auslaufzonen gründlich gereinigt werden sollen. Auch die Teams sollen sich an die FIA gewendet haben, weil möglicherweise kleine Teile verstreut sein könnten. Im Rahmenprogramm der Formel 1 fuhren in Spa-Francorchamps auch die Nachwuchsserien GP2, GP3 und der Porsche Supercup.

Eine Theorie für die Schäden besagt, dass viele Fahrer hart über die Randsteine gefahren sind und dabei möglicherweise Kleinteile auf die Strecke befördert haben. Man sah das bei vielen Piloten in Raidillon oder auch in Les Combes und vor allem auch am Ausgang von Kurve neun. Vettel war an dieser Stelle häufig mit allen vier Rädern auf dem äußeren Randstein. Trotzdem ist Pirelli überzeugt, dass sein Reifenschaden durch zu starke Abnutzung entstanden ist.

Nico Rosberg

Hatten die Randsteine etwas mit den Schnitten in den Reifen zu tun? Zoom

Laut Hembery sind die Schäden von Rosberg und Vettel nicht miteinander vergleichbar: "Bei Rosberg war es ein Schnitt von einem Gegenstand, der andere Schaden lag am Verschleiß. Wenn man sich die Bilder ansieht, dann war die Karkasse noch intakt. Also war es ein Verschleißproblem. Der Schaden am Freitag wurde durch einen Schnitt verursacht." Zunächst wurde vermutet, dass der Schaden bei Rosberg durch eine Kante im Unterboden verursacht wurde. Mercedes untersuchte genau, fand aber nichts. Die Endplatte des Unterbodens vor dem Hinterreifen wurde sogar mit blauer Farbe eingestrichen.

Reifenplatzer ohne Vorwarnung

Trotzdem traten die Schäden bei Mercedes und Ferrari ohne Vorwarnung auf, obwohl die Reifen und deren Temperatur und Druck in Echtzeit per Sensoren überwacht wird. Übrigens ist seit 1. November 2014 dieses Kontrollsystem für den Reifendruck für jeden in der EU neu verkauften PKW vorgeschrieben. Damit soll jeder gewöhnliche Autofahrer bei Änderungen oder Problemen mit dem Reifendruck gewarnt werden, bevor es im schlimmsten Fall zu ähnlichen Bildern wie bei Vettels Reifenplatzer am vergangenen Sonntag kommt. Warum die Pneus ohne Vorwarnung explodierten, wird die Formel 1 noch länger beschäftigen.

Laut Pirelli zahlte Ferrari den Preis für die zu riskante Einstopp-Strategie. Man hatte den Teams im Vorfeld zu zwei oder sogar zu drei Boxenstopps geraten. Nur die beiden McLaren-Piloten und Max Verstappen im Toro Rosso stoppten dreimal. Der Rest des Feldes war mit Ausnahme von Vettel auf zwei Stopps programmiert. Für Ferrari war dieser Poker die einzige Chance auf den dritten Platz. Man riskierte und verlor.

Aber auch bei Mercedes stellte man sich die Frage nach einer Einstopp-Strategie. "Wir haben das lange diskutiert", meint Teamchef Toto Wolff bei 'Autosport'. Mit dem schnellsten Auto im Feld wählte man aber schließlich die theoretisch schnellste und sicherste Strategie. "Ich verstehe, warum Ferrari es versucht hat, denn es war ihre einzige Chance auf das Podest", so der Österreicher weiter. "Es hat uns etwas überrascht und wahrscheinlich auch alle anderen. Sie haben es versucht, aber es war eine riskante Strategie."