• 30.01.2015 18:42

  • von Craig Scarborough (Haymarket)

Technische Analyse: McLaren-Honda MP4-30

Rückbesinnung auf die Grundlagen: Diese Technik steckt im neuen McLaren, der nur zum Teil die Design-Handschrift von Ex-Red-Bull-Mann Peter Prodromou trägt

(Motorsport-Total.com) - Der McLaren-Honda MP4-30 war von allen Formel-1-Autos 2015 jenes, das mit am meisten Spannung erwartet wurde. Die Präsentation am Donnerstag wurde dem vollauf gerecht, denn das Design unterscheidet sich stark vom 2014er-McLaren und auch von allen anderen bisher gezeigten Boliden.

Der neue (und alte) Motorenpartner Honda hat eine brandneue Antriebseinheit speziell nach McLarens Bedürfnissen entwickelt, während die Aerodynamik vom ehemaligen Red-Bull-Chefaerodynamiker Peter Prodromou gestaltet wurde. Ergebnis ist eine besser aufgeräumte Heckpartie und eine (bislang) einzigartige lange Nase, um die Anforderungen des veränderten Reglements zu erfüllen.

Der MP4-29 aus der Formel-1-Saison 2014 war nicht so gut auf das Reglement und die neuen Antriebseinheiten abgestimmt wie die Designs anderer Teams. Trotz des leistungsstarken Mercedes-Motors fehlte es dem McLaren an Topspeed. Das lag teilweise an den radikalen Radaufhängungs-Verkleidungen, die so designt wurden, um Anpressdruck zurückzugewinnen, der durch das Verbot des mittleren "Beam-Wings" verloren gegangen war.

Pilz-Radaufhängungen sind Schnee von gestern

Die pilzförmigen Radaufhängungs-Verkleidungen generierten zwar zweifellos Anpressdruck, erhöhten aber auch den Luftwiderstand deutlich. Ein weiteres aerodynamisches Problem ergab sich daraus, dass im Windkanal entdeckter Anpressdruck nicht auf die Strecke übertragen werden konnte. Dadurch war das Auto für die Fahrer schwer berechenbar und inkonstant.

Ein Teil der Umstrukturierung im Winter bestand darin, Prodromou von Red Bull (als Chefingenieur) an Bord zu holen, um Design und Betrieb der Aerodynamikabteilung neu zu organisieren. Durch seine Ankunft erst im September konnte der Neuzugang aber nicht mit einem weißen Blatt Papier beginnen. Viele wichtige Strukturen waren da bereits durch Tim Goss (Technischer Direktor) und Matt Morris (Ingenieursdirektor) vorgegeben.

Vorderradaufhängung und Onboard-Kamera des McLaren-Honda MP4-30

Vorderradaufhängung und Onboard-Kamera des McLaren-Honda MP4-30 Zoom

Sofort ins Auge sticht die elegante Nase des MP4-30. McLaren hat sich für die längstmögliche Variante entschieden und zugunsten einer geschwungenen Spitze auf einen daumenartigen Fortsatz verzichtet. Die Unterseite der Nase steht über dem Frontflügel und funktioniert im Zusammenspiel mit eben diesem sowie den geschwungenen Frontflügelstreben. Dieses Zusammenspiel soll einen mächtigen Wirbel entlang der Y250-Achse (250 Millimeter von der Mittellinie des Fahrzeugs) erzeugen, um den Luftstrom über die Mitte hinweg sauber zu halten.

Prodromous Handschrift bei Frontflügel erkennbar

Der Frontflügel könnte für McLaren 2015 zum wichtigsten Entwicklungsbereich werden. Der neue Flügel, der in letzter Minute zum Grand Prix von Abu Dhabi gebracht wurde, nachdem Prodromou seine Arbeit aufgenommen hatte, bestätigte, dass eine neue Richtung notwendig war. Einige Konzepte, die aus diesem Update entstanden sind, werden während der Wintertests wahrscheinlich erneut auftauchen.

Neben der neuen Nasenspitze gibt es im Bereich der Front eine weitere technische Änderung, nämlich die insgesamt abgeschrägte Nase. Die hohe und flache Ebene unmittelbar vor dem Cockpit neigt sich über den Beinen des Fahrers zu einem starken Gefälle. McLaren deckt diesen Bereich mit einer einzelnen Montageblende ab, sodass ein harmonischer Übergang zwischen Chassis und Nase entsteht.

Nase des McLaren-Honda MP4-30

Schön zu erkennen: Die lange Nase des neuen McLaren-Honda MP4-30 Zoom

Ebenfalls in diesem Bereich befinden sich die Kameragehäuse, montiert nach dem Vorbild des 2014er-Mercedes, um aus der vorgeschriebenen Position aerodynamisch bestmöglichen Nutzen zu ziehen.

Mehr mechanischer Grip durch Radaufhängung?

Die Vorderradaufhängung des MP4-30 ist ein konventionelles Schubstangen-Design mit doppelten Querlenkern und einer hoch montierten Lenkung, auf einer Ebene mit dem oberen Querlenker. Die Querlenker sind, ähnlich wie beim Lotus, annähernd horizontal montiert, um eine konventionelle Geometrie für besseren mechanischen Grip zu erreichen. Laut McLaren werden dabei Drehstabfedern eingesetzt, doch die Teams experimentieren zunehmend mit einer hydraulischen Dämpfung. Diese darf freilich nicht mehr quervernetzt sein, seit das FRIC-System verboten wurde.

Dass der Honda-Motor besonders niedrig sitzt und schmal ist, beweist der Bereich rund um das Cockpit. Die Cockpit-Seitenwände erfüllen die durch die Regeln vorgegebene Höhe, rundherum wird aber Platz gespart, um den Luftstrom zum Heck hin zu verbessern. Über dem Cockpit ist der Airbox-Lufteinlass durch eine feste Führung horizontal zweigeteilt. Unmittelbar darunter befinden sich zwei weitere (kleinere) Lufteinlässen.

Einer der beiden größeren Luftkanäle versorgt die Airbox mit Kühlung, der andere vermutlich die Getriebeölkühlung hinter dem Motor. Folgerichtig müssten die beiden kleineren Lufteinlässe dann dazu dienen, die Elektronik rund um den Motor zu kühlen.

Honda-Motor gleich stark wie Mercedes?

Trotz der fast peinlich anmutenden Defektserie beim ersten McLaren-Honda-Test im November 2014 in Abu Dhabi gibt es Gerüchte, wonach der Honda-Motor dem 2014er-Mercedes-Antrieb in Sachen Leistung um wenig bis nichts nachstehen soll. Honda folgt der von Mercedes eingeschlagenen Richtung mit einem zweigeteilten Turbo, geringer Wärmeabgabe und einem kompakten Auspuffsystem, was es McLaren erlaubt hat, im Heck ein besonders kompaktes Bodywork zu bauen.

McLaren hat die Motoren-, Ladeluft- und Ölkühler in den Seitenkästen so weit wie möglich nach vorne verlegt, sodass die abgegebene Hitze durch eine enge Cola-Flaschen-Form im Heck und relativ kleine Luftauslässe unterhalb der Hinterradaufhängung und oberhalb des Auspuffs nach außen entweichen müssen.

Kurze Seitenkästen und schmales Heck des McLaren-Honda MP4-30

Kurze Seitenkästen und schmales Heck des neuen McLaren-Honda MP4-30 Zoom

Von oben betrachtet sind die kleinen Seitenkästen und der freie Raum vor dem Diffusor gut zu erkennen. Doch weil McLaren bereits beim Test in Abu Dhabi zusätzliche Öffnungen in den Seitenkisten benötigt hat, hängt ein großes Fragezeichen darüber, ob die aktuelle Kühlung für den Honda-Motor ausreichend ist.

Hauseigenes Getriebe aus Kohlefaser

An den Motor geflanscht ist McLarens hauseigenes Kohlefaser-Getriebe. Dieses unterstützt die Hinterradaufhängung, was schon 2014 ein einzigartiges Feature des Autos war. Prodromou war angeblich kein Fan des pilzförmigen Radaufhängungs-Konzepts, aber Querlenker und Spurstangen sind immer noch so platziert, dass sie über die Hinterkante des Diffusors ragen. Zumindest am gestern gezeigten Auto finden sich keine radikalen Radaufhängungs-Verkleidungen mehr, diese könnten aber bei den Wintertests durchaus wieder auftauchen.

Die Konfiguration der Radaufhängung ist vermutlich bereits vor Prodromous Ankunft entstanden und stellt einen integralen Bestandteil der Getriebe- und hinteren Crashstruktur dar, weswegen es zu spät gewesen sein könnte, um noch zu einem konventionellen Design zu wechseln. Dass die pilzförmigen Radaufhängungs-Verkleidungen funktionieren würden, ist unwahrscheinlich. Denn die niedrigeren Luftauslässe hinter den Seitenkästen würden den Luftstrom über den Querlenkern ersticken.


Technik-Experte Craig Scarborough über den MP4-30

Zurück zu den Wurzeln: Richtiger Schritt?

Im Heckbereich fehlen noch einige Schlüsselelemente, was bei einer Fahrzeug-Präsentation jedoch keineswegs ungewöhnlich ist. So waren beispielsweise der sogenannte "Monkey-Seat", ein zentrales Flügelprofil unter dem eigentlichen Heckflügel, und die Heckflügel-Unterstützung auf den Studiofotos nicht zu sehen, sehr wohl aber in der 3D-Animation, die gleichzeitig veröffentlicht wurde. Zu sehen war auch eine Heckflügel-Ebene mit einer gezackten Kante, erstmals aufgetaucht (nur bei manchen Rennen) Mitte 2014. Dies soll vermutlich den Luftstrom unterstützen, wenn DRS geschlossen ist.

Insgesamt erscheint der MP4-30 für McLaren in Sachen Design als Schritt in die richtige Richtung, durch eine Rückkehr zu konventionelleren Lösungen - die lange Nase einmal ausgenommen. Aber auf die Performance des Teams könnte die interne Umstrukturierung weit größeren Einfluss haben. Denn Management-Entscheidungen im Entwicklungsbereich während der Saison sind wesentlich wichtiger für die Gesamtleistung als die Form der Nase.

Doppelter Airbox-Lufteinlass des McLaren-Honda MP4-30

Doppelter Airbox-Lufteinlass des neuen McLaren-Honda MP4-30 für 2015 Zoom

Hondas Lernkurve dürfte ein weiterer Schlüsselfaktor sein. Dass während der Saison zumindest in begrenztem Ausmaß weiterentwickelt werden darf, ist hilfreich, wenn es darum geht, Entwicklungsprobleme mit einer brandneuen und sehr komplexen Antriebseinheit auszubügeln. Sein wahres Potenzial wird McLaren möglicherweise noch nicht am Saisonbeginn entfalten, sondern erst im Laufe und gegen Ende der Saison.