• 08.10.2014 21:18

  • von Bernd Mayländer

Bernd-Mayländer-Kolumne: Es war eine schreckliche Situation

Wie Bernd Mayländer im Safety-Car das Drama um Jules Bianchi erlebt hat - Ausblick auf das Rennwochenende in Sotschi rückt diesmal in den Hintergrund

Titel-Bild zur News: Bernd Mayländer

Sorge um Jules Bianchi: Das Drama von Suzuka hat Spuren hinterlassen Zoom

Hallo, liebe Leser,

nach einem Wochenende wie dem in Suzuka weiß ich nicht, wie ich diese Kolumne beginnen soll. Eins ist klar: Ein "großer Grand-Prix-Check", wie sonst immer, kann es diesmal nicht sein. Ich bin aus Osaka über Amsterdam nach Hause geflogen und habe mich im Flieger mit dem Live-Ticker von Motorsport-Total.com informiert. Am Montagabend war ich zu Hause. Eine lange Reise also, während der ich viel Zeit zum Nachdenken hatte. Und mir ging das Rennen nicht mehr aus dem Kopf, vor allem die Bilder zum Schluss.

Leider ist was ganz Schlimmes passiert. Das zeigt: Motorsport kann gefährlich sein. Wissen wir im Grunde alle, aber man vergisst es manchmal, weil Formel-1-Fahrer in den vergangenen 20 Jahren so gut wie nicht verletzt wurden. Da schleicht sich bei vielen automatisch ein gewisses Selbstverständnis der absoluten Sicherheit ein. Die kann und wird es aber nie geben, wenn Rennautos mit mehr als 300 km/h über eine Grand-Prix-Strecke bewegt werden.

Mir geht Jules' Schicksal besonders nahe, weil ich mich kurz vor dem Start noch auf dem Grid mit ihm unterhalten habe: "Wie schätzt du die Wetterbedingungen ein?" Gerade vor Regenrennen laufe ich immer die Startaufstellung runter und höre mich sowohl bei ein paar vorderen als auch ein paar hinteren Fahrern um, um deren Einschätzung der Situation zu verstehen. Diesmal war ich auch bei Jules - denn gerade die hinteren Fahrer bekommen bei Regenrennen die meiste Gischt ab und haben die schlechteste Sicht.

Start erschien den Fahrern nicht zu gefährlich

Jules hatte überhaupt keine Bedenken, das Rennen zu starten, war nicht im Geringsten beunruhigt oder nervös. Es war alles wie immer. Rund 15 Minuten vor dem Start waren die Bedingungen gar nicht so schlecht, wir wussten aber vom offiziellen Wetterbeobachter UbiMet, dass der Regen nochmal stärker werden soll. Ein paar Stunden später lag er im Krankenhaus und kämpfte um sein Leben. Jetzt ist das Allerwichtigste, ihm und seinem Umfeld für diesen schwierigen Kampf alle Kraft der Welt zu wünschen.

Der Tag hatte schon merkwürdig begonnen. Wir wurden von diesem Taifun alle nervös gemacht, dabei haben die Meteorologen von UbiMet immer korrekt vorausgesagt, dass er erst von Sonntag auf Montag Suzuka streifen wird. Eigentlich gab es keinen Grund zur Beunruhigung, aber durch die intensive Medienberichterstattung und die ständige Fragerei danach hat man das Thema nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Letztendlich war die ganze Aufregung um den Taifun eh Nebensache.

Jules Bianchi

Der außergewöhnliche Unfall von Jules Bianchi sorgt für Diskussionen Zoom

Die Bedingungen am Start waren schwierig, daher auch der Start hinter dem Safety-Car. Eine aus meiner Sicht richtige Entscheidung. Die ersten zwei Runden waren sicher am Limit, deshalb wurde das Rennen auch erst mal unterbrochen. Aber alle wussten, dass es gleich weitergehen würde. UbiMet hatte vorausgesagt, dass der Regen später nachlassen würde, und nach dem zwischenzeitlichen Abbruch kam es dann auch so. Als wir aus der Boxengasse wieder rausfuhren, war mir sehr schnell klar, dass die Streckenverhältnisse sich sehr schnell verbessern werden und das Rennen wieder ganz normal weitergehen würde.

Aquaplaning weniger Problem als Gischt

Was ich natürlich nicht beurteilen kann, weil ja niemand vor mir fährt, ist die Beeinträchtigung der Sicht durch die Gischt. Ein Formel-1-Fahrzeug hat viel mehr Abtrieb als das Safety-Car, also wirkt mehr Druck auf die Straße und es wird viel mehr Wasser aufgewirbelt. Das haben die Jungs hinter mir zu spüren bekommen - und je weiter hinten im Feld, desto schlechter wird die Sicht. Aber Grip, Aquaplaning, das war alles kein Problem. Trotzdem sind wir zur Vorsicht länger draußen geblieben. Danach war es ein tolles und spektakuläres Rennen. Bis natürlich der Unfall alles überschattet hat.

Wir haben im Safety-Car zwar einen Monitor, aber ich hatte noch keine Bilder vom Unfall gesehen, als wir rausgeschickt wurden. Als ich zum ersten Mal an der Stelle vorbeikam, war mir sofort klar, dass das ein heftiger Einschlag gewesen sein muss. Es war eine sehr angespannte Situation, aber genau darauf wurde ich über die Jahre trainiert und eingestellt - um in solch einem extremen Moment alles hundertprozentig richtig zu machen.


Fotostrecke: Unfall von Jules Bianchi

Ungutes Gefühl vom ersten Moment an

Das volle Ausmaß des Unfalls habe ich erst dann erfasst, als das Rennen schon unterbrochen war und ich noch meine abschließende Inspektionsrunde gefahren bin. Der Marussia war geborgen, ich konnte ihn sehen, und da ahnte ich, dass etwas ganz, ganz Schlimmes passiert sein könnte. Dies bestätigte sich dann auch leider. Abends bin ich länger als sonst im Fahrerlager geblieben, weil ich wissen wollte, wie es um ihn steht.

Zur Reaktion der Sicherheitskräfte auf den Unfall kann ich nur sagen: Ich sehe keinen Ansatzpunkt, irgendjemandem eine Schuld zuzuschieben. Was Alexander Wurz gesagt hat, kann ich auch nur unterschreiben. Es sind extrem unglückliche Umstände zusammengekommen, dass so etwas passieren konnte. Umso mehr ärgere ich mich über ahnungslose und voreilige Medienkommentare, die offenbar der Meinung sind, dass es bei so einer Tragödie zwangsläufig einen Schuldigen braucht.

"Ich sehe keinen Ansatzpunkt, irgendjemandem eine Schuld zuzuschieben." Bernd Mayländer

Ich bin inzwischen in Sotschi angekommen. Die Stimmung ist wegen der Ungewissheit um Jules gedrückt, viele sind müde von ihren langen Flügen und dem Jetlag. Einfach zur Tagesordnung überzugehen und auf das bevorstehende Rennen zu blicken, fällt unter diesen Umständen schwer. Mein erster Eindruck ist, dass hier eine tolle Anlage auf die Beine gestellt wurde. Vielleicht nicht mit der spannendsten Streckenführung aller Zeiten, aber doch in Summe gelungen.

Einmal um die Strecke gejoggt

Heute bin ich mit Chefredakteur Christian Nimmervoll über die Strecke gejoggt, um mir einen ersten Eindruck zu verschaffen. Mehr darüber könnt ihr morgen Früh nachlesen.

Am Donnerstag steht das übliche Prozedere, mit den Tracktest-Runden im Safety-Car. Dabei präge ich mir die Strecke ein, schaue mir die für mich wichtigen Elemente wie Position in der Boxengasse, Safety-Car-Linien und so weiter genau an. Wenn mir entlang der Strecke noch ein Sicherheitsproblem auffällt, melde ich es. Und dann bin ich auch immer bei den Fahrerbriefings dabei. Da wird diesmal sicher auch länger über Suzuka gesprochen.

Ansonsten wünsche ich mir für dieses Wochenende vor allem eines: gute Nachrichten aus Yokkaichi, wo Jules Bianchi um sein Leben kämpft. Ich kenne Jules schon ein paar Jahre, habe seinen Werdegang durch die ganzen Nachwuchsklassen verfolgt. Er hat da fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. Jetzt wünsche ich ihm, dass er auch dieses Rennen - sein schwierigstes - gewinnt, und zwar in möglichst kurzer Zeit...

Euer

Bernd Mayländer