Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Formel 1 vom Truck-Grand-Prix in den Schatten gestellt: Hockenheimring-Geschäftsführer Georg Seiler muss eigentlich eine unruhige Nacht gehabt haben

Titel-Bild zur News: Fans protestieren gegen den V6-Turbo

Die (verbliebenen) Fans sind von der modernen Formel 1 nicht begeistert Zoom

Liebe Leser,

wenn zum Grand Prix von Deutschland gerade mal 52.000 Zuschauer kommen, dann kann es nur einen Verlierer des Wochenendes geben: nicht etwa Pechvogel Felipe Massa, der seinen Salto zumindest unverletzt überstanden hat, nicht etwa Adrian Sutil, der wieder einmal von seinem Sauber im Stich gelassen wurde, sondern die Formel-1-Nation Deutschland. Aber weil die schlecht schlecht geschlafen haben kann und somit nicht als "Opfer" für unsere montägliche Kolumne in Frage kommt, vergeben wir diese fragwürdige Ehre diesmal an Hockenheimring-Geschäftsführer Georg Seiler.

Im Jahr 2000, am Höhepunkt der Schumacher-Mania, war das Motodrom in Hockenheim (noch vor dem angeblich zuschauerfreundlichen Umbau) mit 120.000 Besuchern ausverkauft - und zwar obwohl zwei Monate zuvor 142.000 Fans an den Nürburgring gepilgert waren. Zwei deutsche Grands Prix in einer Saison, das klingt inzwischen wie ein schöner Traum, der eigentlich nie stattgefunden haben kann - nicht auszudenken, wie leer die Tribünen gestern gewesen wären, wenn sich die deutsche Formel-1-Nation auch noch auf zwei Termine aufgeteilt hätte.

Schumacher-Boom wurde nicht nachhaltig genutzt

Das Argument, dass viele lieber nach Österreich gefahren sind, um sich dort das Formel-1-Comeback anzuschauen, zieht nicht, schließlich gab es das Rennen in Spielberg auch im Jahr 2000 schon (damals immerhin vor 85.000 Zuschauern). Übrigens zwei Wochen vor Hockenheim. Also kann man nur den Schluss daraus ziehen: Der deutsche Formel-1-Boom während der Schumacher-Mania war - zumindest was das Vor-Ort-Publikum angeht - nicht nachhaltig.

Das mag auch ein bisschen daran liegen, dass sich das Free-TV als wichtigstes Mobilisierungsinstrument jahrelang fast ausschließlich an Michael Schumacher als Zugpferd geklammert hat. Jetzt ist "Schumi" aber weg - und dass Deutschland mit Sebastian Vettel einen viermaligen Weltmeister hat, mit Nico Rosberg den aktuellen WM-Leader, zwei weitere talentierte Piloten und mit Mercedes einen der traditionsreichsten Hersteller, das reißt hierzulande anscheinend niemanden vom Hocker. "Schumi" fehlt halt.

Florian König, Michael Schumacher und Niki Lauda

Jahrelang gab es in Deutschland nur ein Formel-1-Thema: Michael Schumacher Zoom

Aber warum eigentlich? Hat von den oftmals als "Rotkäppchen" kritisierten Schumacher-Fans wirklich niemand Interesse am Motorsport, ja zumindest an der Formel 1 insgesamt? Tatsache ist: Während gestern gerade mal 52.000 Zuschauer nach Hockenheim kamen, war der Nürburgring mit 170.000 Zuschauern zum Bersten voll. Das Interesse am Motorsport ist also da. Und in der Eifel fuhren nicht etwa internationale Superstars, sondern es war "nur" der Truck-Grand-Prix zu Gast. Auch wenn das nicht jedermanns Sache sein mag, wird dort wenigstens noch echter Motorsport geboten.

Fans sollten wieder begeistert werden

Die Medienlandschaft hätte gut daran getan, nicht nur auf Schumacher zu setzen, sondern sich frühzeitig mehr echte Motorsportfans heranzuzüchten. Dann wären zumindest die noch da, die vor Schumacher auf den Tribünen saßen. Nun hat man sowohl die Schumacher-Fans als auch einen Teil der Vor-Schumacher-Fans verloren, weil die Formel 1 anno 2014 mit der Formel 1 anno 1990 (im letzten Jahr vor Schumacher) nicht mehr viel zu tun hat.

Sicher mag man sich an den Sound der aktuellen Autos ebenso gewöhnen wie an die grauenhaften Nasen, die mich persönlich ja eher an ein Phallussymbol erinnern - fast so, als würden die Boliden unter einem Freud'schen Komplex leiden. Aber kann das wirklich die Antwort auf alles sein, dass sich der Fan "schon daran gewöhnen" wird? Sollte es nicht vielmehr so sein, dass man ihn (oder sie) begeistern sollte? Jedes Mal, wenn in den 1990ern die neuen Autos vorgestellt wurden, dachte ich mir: "Wow, geil!" Heute lauten die Reaktionen meistens irgendwo zwischen "Hauptsache schnell, damit mein Lieblingsfahrer gewinnt" bis "Das kann nicht euer Ernst sein".


Nico Rosberg nach seinem Hockenheim-Sieg

Der Mercedes-Fahrer grüßt seine Fans nach dem Triumph von Hockenheim Weitere Formel-1-Videos

Social Media: Daran liegt's sicher nicht!

Das Ganze darauf zu schieben, dass die Formel 1 zu wenig in den sozialen Medien macht, ist eine der unsinnigsten Theorien, die in den vergangenen Jahren zum Thema Zuschauerschwund ausgeheckt wurde. Die Formel 1 ist im Online-Bereich eine der am stärksten präsenten Sportarten, auch wenn es zugegeben noch Verbesserungspotenzial gibt. Aber Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass die 170.000 Fans beim Truck-Grand-Prix alle ihre Smartphones in der Hand haben und verzweifelt nach Informationen googeln, wenn sie auf der Tribüne sitzen und sich einfach nur ein Rennen anschauen wollen?

Also, es muss wieder echtes Racing geben, dann kommen auch die Fans zurück. Die Schumacher-Fans waren toll - sie haben dazu beigetragen, dass in Deutschland eine Motorsportindustrie entstanden ist, der letztendlich auch ich meinen Job zu verdanken habe. Aber sie waren nicht nachhaltig. Dass die Rennkommissare nicht mehr jede noch so kleine Berührung bestrafen, ist ein erster richtiger Schritt. Weniger technologisch hochgestochene Autos, die dafür umso eindrucksvoller aussehen und klingen, wäre ein zweiter.

Fans Hockenheim

Die Fans, die gestern da waren, sorgten wenigstens für eine gute Stimmung Zoom

Jacques Villeneuve hat 1997 gesagt, er ist froh, jetzt noch Weltmeister geworden zu sein, denn alles danach sei keine richtige Formel 1 mehr. Die Autos wurden damals um 20 Zentimeter verschmälert und mit den unsäglichen Rillenreifen ausgestattet. Im Nachhinein betrachtet war das wohl der Anfang einer Fehlentwicklung, die Georg Seiler gestern zehntausende zahlende Zuschauer gekostet hat. Man sollte sich zurückbeamen ins Jahr 1997 und alle Fehler, die seither begangen wurden, eliminieren.

Lieber zum Truck-Grand-Prix oder nach Le Mans

Das heißt nicht, dass man das Rad der Zeit zurückdrehen muss. Ich bin keiner, der sagt: Früher war alles besser. Die Formel 1 muss modern sein; selbst der Hybridantrieb mit seinem langweiligen Sound ist wahrscheinlich unausweichlich. Aber braucht die Königsklasse des Motorsports wirklich Phallus-Nasen, künstliche Überholhilfen und ermüdende Diskussionen über Regeln und Kosten? Das alles kann doch in Wahrheit von den echten Racing-Fans niemand mehr hören.

Denn die sogenannten echten Fans, die gibt's noch - nur eben nicht mehr bei der Formel 1, sondern eben beim Truck-Grand-Prix oder in Le Mans. Beim 24-Stunden-Rennen hatten wir dieses Jahr ein Vielfaches des Traffics der besten je gemessenen Formel-1-Wochenenden. Und, was zum Nachdenken: Die Rennen waren im Jahr 1997 in vielen Fällen stinklangweilig (definitiv langweiliger als heute), die Tribünen aber trotzdem rappelvoll. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Georg Seiler kann für diese Fehlentwicklungen am allerwenigsten. Gut geschlafen haben kann er trotzdem nicht...


Großer Preis von Deutschland

Ihr

Christian Nimmervoll

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