• 11.02.2013 19:00

  • von Dieter Rencken & Dominik Sharaf

Nach Flugzeugbränden: Muss die Formel 1 KERS verbannen?

Ein Luftfracht-Verbot von Lithium-Polymer-Akkus würde nicht nur die Energierückgewinnung, sondern auch die V6-Turbomotoren infrage stellen

(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 will mit der Erweiterung der Energierückgewinnung ab 2014 "grüner" werden. Aber wird die Königsklasse auch sicherer? Daran bestehen erhebliche Zweifel, die eine hybride Zukunft in absehbarer Zeit mehr als fraglich erscheinen lassen. Offenbar sind die verwendeten Lithium-Polymer-Akkus derzeit keine einhundertprozentig sichere Technologie, wie diverse Zwischenfälle in der Luftfahrt verdeutlichen. Auch die Einführung der V6-Turbomotoren könnte deshalb am seidenen Faden hängen.

Titel-Bild zur News: Warnung vor KERS

Achtung, KERS! Wie gefährlich ist die neue Technik wirklich? Zoom

Anlass zu dieser These gibt die Pannenserie um Boeings Vorzeigeflugzeug Dreamliner. Ein Modell der unter der Nummer 787 bekannten Maschine fing im Januar in Diensten von Japan Airlines auf dem Bostoner Flughafen Feuer, den Ergebnissen der Untersuchungskommission zufolge ausgelöst durch einen Kurzschluss in Einzelzellen eines Akkus. Der Defekt war nicht auf mechanische Einflüsse zurückzuführen und bliebt zunächst mysteriös. Folge: Flugverbot, Auslieferungsstopp. Für Boeing ein Desaster.

Die Zwischenfälle häufen sich: Für den Absturz eines UPS-Cargo-Flugzeugs nahe Dubai vor drei Jahren wurde ebenfalls ein Feuer in einem Lithium-Akku verantwortlich gemacht. Cathay Pacific hat die Teile deshalb gänzlich aus seiner Fracht verbannt. Auch in der Automobilbranche sind Zwischenfälle mit Elektrofahrzeugen bekannt. Die Batterien des Chevrolet Volt, hierzulande als Opel Ampera bekannt, haben für einen Großbrand bei GM gesorgt. Der Luxushersteller Fisker musste Modelle zurückrufen.

Sorgenkind Abschaltung

Längst hat die Sache die Behörden auf den Plan gerufen. Die Vorfälle im Frachtverkehr werden eingehend untersucht, Pilotenvereinigungen fordern ein Transportverbot und mancher Insider hält einen größeren Zwischenfall nur für eine Frage der Zeit. Und auch die Formel 1 hat mit Unfällen durch KERS schon ihre Erfahrungen gemacht - obwohl der Brand in der Williams-Box im vergangenen Jahr in Barcelona noch immer nicht lückenlos aufgeklärt und auf das System zurückgeführt ist.

Spanischen Medien zufolge soll Ecclestone nach dem Vorfall in Barcelona davon gesprochen haben, dass KERS nie hätte eingeführt werden dürfen. Denn das Problem mit Lithium-Akkus, zumindest so viel steht fest, ist ihre Abschaltung. Schließlich ereigneten sich alle Zwischenfälle nach Beendigung der Nutzung. Da sich die Geräte während des Betriebs durch chemische Reaktionen erhitzen, benötigen sie ein Kühlsystem, wie es in der Formel 1 bereits genutzt wird. Wahrscheinlich ist der Fehler hier zu suchen.


Fotos: Mercedes-Motorenfabrik in Brixworth


Transportverbot wäre Sargnagel für KERS

Was heißt das für die Zukunft im Motorsport? Die Formel 1 will ab 2014 verstärkt auf die Technik setzen. Das neue KERS-Bauteil nennt sich dann im Fachjargon Motor Generator Unit Kinetic (MGUK), ein zusätzliches am Turbo ist die Motor Generator Unit Heat (MGUH). Insgesamt sollen sie doppelt so viel leisten wie das aktuelle KERS, nämlich 161 Pferdestärken statt bisher 80,5. Was die Energie angeht, verzehnfacht sich der Wert sogar von 400 Kilojoule auf vier Megajoule.

Dafür braucht es allerdings viermal so viele Zellen wie in den Teilen, die die Flugzeugbrände ausgelöst haben. Das Formel-1-Equipment wird in der Regel via Luftfracht transportiert. Sollte tatsächlich ein Verbot durchgesetzt werden, stünde die Szene vor einem Dilemma. Der Seeweg wäre erstens wegen ähnlicher Sicherheitsbedenken und zweitens wegen des Zeitverlustes keine Alternative. Kurzum: Das vorläufige Ende der KERS-Ära in der Königsklasse könnte besiegelt sein.

Bernie Ecclestone (Formel-1-Chef), Jean Todt

Zwischen Ecclestone und Todt herrscht in der Motorenfrage wenig Harmonie Zoom

Die neuen Motoren stehen ohnehin auf der Kippe. Ecclestone will aus Angst um sinkende Zuschauerzahlen durch die dezenteren Geräuschkulisse einen Aufschub erwirken. Die FIA als Initiator und die Motorenhersteller, die sich nur zu gerne mit "grüner" Technologie und Hightech brüsten würden, steuern dagegen. Hinzu kommt: KERS ist teuer. Die Technik kostet rund 2,3 Millionen Euro pro Jahr. Die aktuellen V8-Motoren verschlingen für Kundenteams gerade das Sechsfache an Budget.

Klar ist aber auch: Sollte die neue Motorengeneration tatsächlich eingeführt werden, gibt es in Sachen KERS kein Zurück mehr. Die Energierückgewinnung soll das Fünffache an Leistung ausmachen und den konventionellen Antrieb somit zunehmend zurückdrängen. Ohne diese Energiespritze würden die Rundenzeiten wohl um rund 15 Sekunden steigen, damit führe die Formel 1 auf einigen Strecken in etwa auf dem Niveau der Nachwuchsklasse GP2. Das kann nicht ihr eigener Anspruch sein.

So könnten die Sicherheitsbedenken der lange gesuchte Notausgang sein, um die gesamte Motorennovelle 2014 doch noch weitgehend ohne Gesichtsverlust der Teams und Hersteller zu stoppen. Ob mit oder ohne KERS, die Formel 1 wird es weiter geben. Anders sähe die Zukunft für die neu geschaffene Formel E aus. Für die Elektronikkonzerne, die mit dem neuen Championat angelockt werden sollen, wäre sie aber eine Perspektive, sicherere Technologie zu entwickeln - und dieser den Weg in die Formel 1 zu ebnen.