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WM völlig offen: Vettel dominiert in Japan

Fernando Alonso in der ersten Kurve k.o., volle Punkte für Sebastian Vettel: Suzuka macht die Fahrer-WM wieder spannend - Japan jubelt über Kamui Kobayashi

(Motorsport-Total.com) - Besser hätte der Grand Prix von Japan für Sebastian Vettel gar nicht laufen können: Während sein schärfster WM-Rivale Fernando Alonso (Ferrari) gleich in der ersten Kurve ausschied, fuhr der Red-Bull-Pilot einem ungefährdeten Sieg entgegen und gab die Führung in den 53 Runden nicht ein einziges Mal ab. In der Gesamtwertung liegt Vettel damit nur noch vier Punkte hinter Alonso an zweiter Stelle.

Titel-Bild zur News: Felipe Massa, Paul Monaghan, Sebastian VettelKamui Kobayashi

Felipe Massa, Paul Monaghan, Sebastian Vettel und Kamui Kobayashi jubeln Zoom

Gefeierter Held des japanischen Publikums war aber Lokalmatador Kamui Kobayashi, der Sauber bereits den vierten Podestplatz der Saison 2012 bescherte. "Kamui, Kamui", riefen die zehntausenden Fans auf der Haupttribüne und ließen während der Siegerehrung Gänsehaut aufkommen. Kobayashi kam 24,5 Sekunden hinter dem souveränen Sieger Vettel ins Ziel. Zweiter wurde Felipe Massa (Ferrari/+20,6), der eine lange Durststrecke beendete und zum ersten Mal seit dem Grand Prix von Südkorea 2010 auf das Podium fuhr.

Vettel drehte noch im 52. Umlauf die schnellste Runde und wurde daraufhin von seinem Renningenieur gewarnt: "Riskier nichts mehr!" Aber mit Pole-Position, Sieg, schnellster Runde und allen Führungsrunden war es für den Deutschen ein perfekter Sonntag: "Ich hatte einen guten Start. Das war wichtig, denn hinter mir gab es Zwischenfälle", strahlt er. "Mir fiel auf, dass ein Ferrari nicht mehr mit dabei war. Zur Hälfte des Rennens sah ich auf der Positionssäule, dass es Felipe war, der noch im Rennen lag. Deshalb nahm ich an, dass Fernando nicht mehr mit dabei war."

Vettel schwärmt vom Newey-Red-Bull

"Nachts träumt man davon, ein solches Auto zu fahren. Die Balance war fantastisch. Man hatte das Gefühl, in jeder einzelnen Runde nochmals einen drauflegen zu können", schwärmt Vettel vom überarbeiteten Red Bull. "Ich habe jede Runde genossen. Deshalb hatten wir am Ende wohl auch einen so großen Vorsprung. Wir hatten das Rennen zu jeder Zeit unter Kontrolle, obwohl wir viel Respekt vor den Reifen hatten. Ich bin sehr zufrieden. Es hat viel Spaß gemacht. Wir hatten ein perfektes Wochenende. Viel besser kann es eigentlich nicht laufen."

Die dramatischste Szene in einem gegen Ende hin wenig aufregenden Rennen spielte sich gleich am Start ab: Während Vettel seine Pole-Position sicher in die Führung umwandelte, kam es weiter hinten zuerst zu einer Berührung zwischen Alonso und Kimi Räikkönen. Dabei schlitzte sich der WM-Leader am Frontflügel des Lotus den linken Hinterreifen auf - und war aus dem Rennen! "Sehr schade. Es ist traurig, wenn du nicht einmal über die erste Kurve hinauskommst", bedauert der Spanier, und sein Ferrari-Team twittert: "Wenn man sieht, wie schnell Felipe war, tut das noch mehr weh..."

Fernando Alonso

Erst zum zweiten Mal nach Spa ausgeschieden: Fernando Alonso Zoom

Schuldfrage? "Es ist meiner Meinung nach genauso Alonsos Schuld, der ihn da rausdrückt. Die Frage ist: Hat er überhaupt mitgekriegt, dass Kimi neben ihm war?", analysiert Experte Marc Surer. Nur ein paar Meter weiter schlug dann Romain Grosjean (Lotus) wieder einmal zu: Der Franzose sah eine Chance, an Mark Webber (Red Bull) innen vorbeizugehen und Platz drei zu übernehmen, verschätzte sich aber und kollidierte mit dem Australier - wofür er angesichts seiner Vorgeschichte nicht nur eine Durchfahr-, sondern gleich eine Stop-&-Go-Strafe kassierte.

Rosberg sauer auf Grosjean

Im Zuge dieses Gerangels wurde auch Nico Rosberg aus dem Rennen befördert: "Webber stand quer, nachdem Grosjean ihn umgedreht hat. Ich habe gebremst, aber der Williams hinter mir hat es nicht gesehen, ist mir dann seitlich hinten rein und das war's dann", ärgert sich der Mercedes-Pilot und kündigt ein klärendes Gespräch mit Grosjean an: "Das würde vielleicht mal Sinn machen, ja. Er hat heute mein Rennen kaputtgemacht und das vieler anderer auch. Vielleicht sage ich da mal ein Wort. Ein Rennen so zu beenden, ist beschissen."

Wegen der Zwischenfälle in der ersten Kurve kam für eine Runde das Safety-Car auf die Strecke. Es führte Vettel vor Kobayashi, dem gut gestarteten Jenson Button (McLaren), Massa, Räikkönen und Sergio Perez (Sauber). Letzterer sorgte eine Zeit lang für viel Aufregung: Erst versuchte er sich in Kurve eins erfolglos gegen Räikkönen und musste neben die Strecke, dann schnappte er sich in der Haarnadelkurve Lewis Hamilton (McLaren) - ein symbolträchtiges Manöver, schließlich wird Perez 2013 dessen Cockpit übernehmen.


Fotos: Großer Preis von Japan, Sonntag


Symbolträchtig: Perez scheitert an Hamilton

Aber als er 13 Runden später erneut hinter Hamilton auftauchte und es wieder in der Haarnadelkurve probieren wollte, war der junge Mexikaner etwas zu ungestüm: "Ein peinliches Manöver, ein bisschen ungestüm", rügt ihn Experte Surer. Somit war der Arbeitstag für Perez nach 19 Runden gelaufen. Indes verlor an der Spitze auch Kobayashi eine Position - beim Boxenstopp gegen Massa, der einen langen und sehr konstanten ersten Stint fuhr und plötzlich Vettels erster Verfolger war. Diese Position gab der Brasilianer bis zum Schluss nicht mehr ab.

"Fantastisch, nachdem ich als Zehnter gestartet bin", jubelt Massa, der damit wahrscheinlich sein Ferrari-Ticket für 2013 gelöst hat. "Ich war schon im Training mit dem Auto sehr zufrieden. Ich hatte einen guten Start und war in der ersten Kurve, wo ich dem Unfall ausweichen konnte, sehr clever. Ich lag hinter Jenson, war aber schneller. Nachdem er seinen Boxenstopp absolviert hatte, war ich sofort eine Sekunde pro Runde schneller. Ich bin sehr zufrieden mit einem Rennen. Ich stand fast zwei Jahre lang nicht auf dem Podium, habe aber in jedem Rennen darum gekämpft."

Mark Webber, Nico Rosberg

Auslöser Romain Grosjean: Das Chaos in der ersten Kurve aus totaler Perspektive Zoom

Das einzige Spannungsmoment in der Schlussphase war der Zweikampf zwischen Kobayashi und Button um Platz drei. Button saugte sich in der letzten Runde mit frischeren Reifen in die DRS-Sekunde, holte in der ersten Hälfte der Runde eine weitere halbe Sekunde raus, konnte aber keine ernsthafte Attacke mehr reiten. Für Kobayashi folgte eine Triumphfahrt: "Meinen ersten Podestplatz hier in Japan zu erringen, ist fantastisch", jubelt er. Die Euphorie ist verständlich: Seit Aguri Suzuki 1990 war kein Japaner mehr beim Heim-Grand-Prix auf dem Podium gestanden.

Vettel nicht zu bremsen

Vorne ließ Vettel nichts mehr anbrennen, baute seinen Vorsprung auf Massa im Gegenteil sogar von unter zehn Sekunden nach dem ersten Boxenstopp auf über 20 Sekunden aus. In der 52. von 53 Runden drehte Vettel in 1:35.774 Minuten die schnellste Runde im Rennen, acht Zehntelsekunden vor Button! "Völlig unnötig", findet Red-Bull-Motorsportkonsulent Helmut Marko, "aber das ist eben Vettel." Und Teamchef Christian Horner nimmt seine Nummer eins in Schutz: "Er hatte das Rennen hundertprozentig im Griff."

McLaren verzichtete in der Schlussphase auf eine Stallorder zugunsten von Hamilton und schickte stattdessen Button auf Kobayashi-Jagd. Hamilton bewies aber seinen Racer-Instinkt, als er nach seinem zweiten Boxenstopp den von hinten kommenden Räikkönen in der ersten Kurve niederfightete. "Kimi hat nachgegeben. Das hätte nicht jeder gemacht", beurteilt Experte Surer die haarige Situation. "Aber wenn zwei Könner zusammen sind, gibt es eben keine Kollision. Mit Grosjean hätte es sicher gekracht."

Kimi Räikkönen, Sergio Perez

Sergio Perez zog bei diesem Manöver gegen Kimi Räikkönen den Kürzeren Zoom

Räikkönen sicherte sich am Ende den sechsten Platz, 3,9 Sekunden hinter Hamilton und 0,7 Sekunden vor Nico Hülkenberg (Force India). Der Deutsche fuhr ein starkes Rennen, setzte vor Räikkönen auch schon Hamilton unter Druck, verlor im Windschatten seiner Vorderleute aber Anpressdruck und musste zurückstecken, um seine Reifen zu schonen. Achter wurde Pastor Maldonado (Williams), der den letzten Stint als einer der Wenigen auf weichen Reifen fuhr, gefolgt von Webber, der sich nach dem Startunfall wieder in die Punkteränge kämpfte, und Daniel Ricciardo (Toro Rosso).

Schumacher ohne Chance gegen Ricciardo

Ricciardo hatte in den letzten Runden einen gewissen Michael Schumacher (Mercedes) im Nacken. Der sah keine Chance mehr, vom 23. Startplatz aus einen Punkt zu holen: "Ich war deutlich schneller. Mir fehlte es aber an den wichtigen Teilen der Strecke, an denen man überholen kann", sagt Schumacher. "Der Toro Rosso hatte einen hohen Topspeed. Es war nicht möglich, daneben zu fahren und ein Überholmanöver zu starten. Er hat einige Male die Außenbahn freigelassen. Da musste ich versuchen, im Begrenzer vorbeizukommen, doch das war nicht möglich."

Bruno Senna (Williams) wurde nach einer Durchfahrstrafe wegen der Situation mit Rosberg am Start 14. (als Letzter der nicht überrundeten Fahrer), Timo Glock (Marussia) 16. - dabei lag der Deutsche gleich zu zwei Zeitpunkten des Rennens auf Platz elf. Insgesamt sahen 18 Fahrer die Zielflagge, 19 kamen in die Wertung - denn Lotus holte Grosjean, der ohnehin keine Chance auf ein zählbares Ergebnis hatte, aus dem Rennen, um vor dem Grand Prix von Südkorea in nur einer Woche straffrei das Getriebe wechseln zu dürfen.

Vettel im besseren Auto als Alonso?

In der Weltmeisterschaft ist nun wieder alles offen: Vettel hat nach dem ersten "Doppelpack" seit Südkorea/Indien 2011 190 Punkte auf seinem Konto und kann damit schon in einer Woche aus eigener Kraft die WM-Führung von Alonso (194) übernehmen. Eventuell noch in Lauerstellung liegen Räikkönen (157) und Hamilton (152), aber alle anderen sollten unter normalen Umständen aus dem Titelrennen raus sein - auch wenn rein rechnerisch sogar noch der neuntplatzierte Massa (69) Champion werden kann.

Dank des Aufschwungs bei Red Bull scheint Vettel nun Titelfavorit zu sein, aber mit Prognosen ist der zweifache Weltmeister vorsichtig: "Der Ausfall von Fernando zeigt, wie rasch sich die Dinge ändern können. So etwas kann auch uns passieren, davor ist niemand gefeit", warnt er nach 15 von 20 Rennen vor allzu großer Euphorie. "In der WM sieht es jetzt zwar besser aus, doch es ist noch ein langer Weg. Es ist noch viel zu früh, um darüber zu reden. Wir müssen einfach so weitermachen. Der Rest kommt oder kommt nicht."

Kamui Kobayashi

Japan jubelt über Kamui Kobayashi: Erstes Heim-Podium seit Aguri Suzuki Zoom

Bei den Konstrukteuren liegt weiterhin Red Bull (324) vor McLaren (283), Ferrari (263) und Lotus (239). Im Kampf um Platz fünf hat Sauber (116) heute wegen Perez wertvolle Punkte gegen Mercedes (136) liegen gelassen. Ganz hinten bleibt alles beim Alten: Marussia Zehnter vor Caterham und HRT - jeweils ohne Punkte. Weiter geht's schon am kommenden Wochenende mit dem Grand Prix von Südkorea am Gelben Meer in Yeongam. Gutes Omen: Dort hat Vettel, der sich jetzt natürlich einen Hattrick wünscht, im Vorjahr ebenfalls gewonnen...