Caterham-Spionageskandal: Drohen Konsequenzen?

Force India will sich im Spionageskandal gegen Caterham nicht mit 25.000 US-Dollar Schadenersatz abspeisen lassen - Sanktionen durch die FIA nicht ausgeschlossen

(Motorsport-Total.com) - Der Spionageskandal um das damalige Team Lotus, das inzwischen in Caterham umbenannt wurde, könnte ernsthafte Konsequenzen haben. Denn auch wenn es in den vergangenen Wochen verdächtig ruhig um den Fall war, gibt es hinter den Kulissen der Formel 1 Stimmen, die glauben, dass Lotus/Caterham unter Umständen bestraft werden könnte.

Titel-Bild zur News: Mike Gascoyne und Tony Fernandes

Mike Gascoyne und Tony Fernandes sind noch nicht aus dem Schneider

Zur Vorgeschichte: 2009 hatte das Lotus-Team Fotos eines ersten Chassismodells im Windkanal des technischen Partners Aerolab veröffentlicht. Auf diesen Fotos erkannten Force-India-Ingenieure sofort Parallelen zu ihren eigenen Entwürfen sowie fragwürdige Reifenmarkierungen. Hintergrund: Bis kurz davor hatten Force India und Aerolab noch zusammengearbeitet, doch Aerolab beendete diese Kooperation aufgrund offener Rechnungen. Dafür, seine Rechnungen übermäßig pünktlich zu bezahlen, war das Team von Vijay Mallya bei den Zulieferern noch nie bekannt.

Nur 25.000 Dollar Schadenersatz

Force India fühlte sich vom ehemaligen Partner aber urheberrechtlich betrogen und reichte Klage gegen Aerolab/Fondmetal, Mike Gascoyne und dessen Team ein. Nach einem monatelangen Verfahren wurde Ende März endlich ein Urteil bekannt gegeben: 25.000 US-Dollar (umgerechnet 19.083 Euro) Schadenersatz gegen Caterham wegen der Urheberrechtsverletzung, aber gleich eine Zahlung von 846.320 US-Dollar (umgerechnet 645.948 Euro) für Force India, als Kompensation für offene Rechnungen. Das wurde von den Medien zunächst als Niederlage für Force India gewertet.

Studiert man jedoch die 122 Seiten starke Urteilsbegründung des Richters am Obersten Gerichtshof in London, so kommt man zu dem Schluss, dass Caterham rein sportjuristisch betrachtet keineswegs einen Kavaliersdelikt begangen hat, wie das Aerolab-Geschäftsführer Jean-Claude Migeot zunächst angedeutet hatte: "Es ist ein schmaler Grat zwischen der Verwendung bestehenden Wissens und der Verwendung fremden geistigen Eigentums. Das tun wir nicht."

Erster Lotus-Prototyp

Dieses Foto des ersten Lotus-Prototypen brachte die Affäre ins Rollen Zoom

Das sieht der Richter aber anders: Es sei bekannt, dass das damalige Lotus-Team die fraglichen Teile in mindestens fünf Rennen der Saison 2010 eingesetzt habe, hält er in Artikel 196 seiner Urteilsbegründung fest. Konkret handle es sich dabei um Luftabweiser, Hauptblatt und Flap-Profile des Frontflügels, den Wirbelgenerator, Mittelteil und Zusammenbau des Heckflügels, das niedrigere Element der hinteren Bremsbelüftung sowie den Rückspiegel.

Zudem kommt in Artikel 291 zum Vorschein, dass ein Aerolab-Mitarbeiter eine sogenannte "Master-Surface-Datei" von Force India verwendet hat, um die Heckflügel-Geometrie umzusetzen. "Das war ein Missbrauch von vertraulichen Informationen durch einen Mitarbeiter", findet der Richter. Zudem sollen bei Aerolab Kopien von "erheblichen Teilen" der CAD-Daten des Force-India-Teams kopiert worden und in weiterer Folge zum damaligen Lotus-Rennstall gelangt sein.

Force India fordert mehr Schadenersatz

Force India will nun in Berufung gehen, und zwar "wegen einiger Punkte", wie Robert Fernley gegenüber 'Autosport' erklärt. Das geht aus formellen Gründen erst ab 4. Mai - und auch nur eingeschränkt: "Die Schuldfrage bleibt", glaubt der stellvertretende Teamchef von Force India und ergänzt: "Aber wir sagen, dass wir mehr Schadenersatz wollen. Ob wir das bekommen oder ob wir sogar noch einmal komplett in Berufung gehen können, ist aber eine ganz andere Geschichte."

"Über die Höhe des Schadenersatzes sind wir sehr enttäuscht", fährt Fernley im 'Guardian' fort. "Der Richter hatte eindeutig das Gefühl, dass es Force India nicht gelungen ist, systematisches Kopieren nachzuweisen." Gleichzeitig werde klargemacht, dass zahlreiche Komponenten 2010 sehr wohl vom damaligen Lotus-Team übernommen wurden. "Da frage ich mich, welcher Teil des systematischen Kopierens fehlen soll", ärgert sich Fernley über die seiner Meinung nach "erhebliche" Urheberrechtsverletzung.

Doch auch wenn das britische Gericht anders entschieden hat und ein Verfahren in Italien noch anhängig ist, lässt Force India den Fall nicht auf sich beruhen. Vielmehr soll auf sportjuristischer Ebene die FIA eingeschaltet werden: "Wir werden nun alle Unterlagen an die FIA weiterreichen. Es liegt dann an ihnen, zu entscheiden, ob irgendetwas vorgefallen ist, was weiter untersucht werden muss", so Fernley. Unterstützung erhält er von HRT und Marussia, die beim Verband ebenfalls Bedenken angemeldet haben.

Die FIA hat sich in jüngerer Vergangenheit schon dreimal mit Spionagefällen befasst: 2003 kam Toyota mit einem blauen Auge davon, als zwei ehemalige Ferrari-Mitarbeiter Daten zum in Köln stationierten Rennstall mitbrachten, und vor einigen Jahren blieb es ohne nennenswerte Konsequenzen, dass ein Ingenieur mit McLaren-Daten im Gepäck zu Renault wechselte. Die berühmte "Spygate"-Affäre um McLaren und Ferrari kostete McLaren jedoch 100 Millionen US-Dollar Geldstrafe und alle Punkte in der Konstrukteurs-WM 2007.

Vage Aussagen aus dem Caterham-Lager

Sollte die FIA Lotus/Caterham nachträglich für schuldig befinden, könnte dies ebenfalls erhebliche Konsequenzen haben. Caterham-Geschäftsführer Riad Asmat scheint diesbezüglich aber unbesorgt zu sein: "Kein Kommentar", meint er auf Anfrage von 'Motorsport-Total.com', ehe er doch ergänzt: "Der Richter hat sein Urteil bereits gesprochen. Sollte seitens der FIA oder Force India noch etwas passieren, wird man uns informieren. Aber unser Standpunkt ist klar und wir fühlen uns damit wohl."

Robert Fernley

Rob Fernley ist mit dem Urteil des Gerichts alles andere als einverstanden Zoom

Caterham ist 2012 nach den Statuten des Concorde-Agreements erstmals ein sogenanntes Column-2-Team, weil 2010 und 2011 jeweils ein Top-10-Ergebnis in der Konstrukteurs-WM erreicht wurde. Das bedeutet laut Aussage von Teamchef Tony Fernandes eine um umgerechnet 21 Millionen Euro höhere Beteiligung am Einnahmentopf der Formel 1 als bisher. Denn die Column-3-Teams (derzeit HRT und Marussia) erhalten weiterhin je eine zehn Millionen Dollar schwere Subvention des Inhabers der kommerziellen Rechte, aber ansonsten keine Preisgeld-Zuschüsse.

Das WM-Ergebnis von 2010 kann laut FIA-Sportgesetz nicht mehr verändert werden. Dennoch könnte Caterham theoretisch noch um die Column-2-Zahlungen sterben, denn im Concorde-Agreement ist klar definiert, was einen Konstrukteur ausmacht - und dagegen könnte Caterham mit dem Kopieren von Teilen, die ein Konstrukteur eigentlich selbst entwickeln müsste, verstoßen haben. Nach dieser Argumentation würde das Team im Konstrukteurs-WM-Ergebnis 2010 stehen bleiben, ohne nach juristischer Auslegung ein Konstrukteurs gewesen zu sein.

Zwar ist es nicht grundsätzlich verboten, Teile von externen Zulieferern zu beziehen, doch welche Teile man nicht einfach zukaufen darf, ist im Concorde-Agreement klar geregelt. Und wenn man diese schon extern zukauft, dann darf dies a) nicht bei einem anderen Teams sein und b) muss man dann auch das Urheberrecht für die Teile besitzen. Im Spionagefall zwischen Lotus/Caterham und Force India wäre das natürlich nicht der Fall...