Ferrari unter Beschuss: Nur 2005 schlechter gestartet

Bei der italienischen Presse heulen nach dem zweitschlechtesten Saisonauftakt aller Zeiten die Alarmsirenen - Konkurrenz schreibt Ferrari aber noch nicht ab

(Motorsport-Total.com) - Nach dem völlig missglückten Saisonauftakt beim heutigen Qualifying zum Grand Prix von Australien in Melbourne muss sich Ferrari jede Menge Spott und Häme gefallen lassen. "Der beste Ferrari ist der Sauber", meint etwa 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer in Anspielung auf den Motorenkunden des italienischen Teams. Der zwölftplatzierte Fernando Alonso landete sogar hinter beiden Toro Rossos, die ebenfalls Ferrari-Power im Heck haben.

Titel-Bild zur News: Fernando Alonso

Nachdenklich: Fernando Alonso weiß, dass er derzeit kein Siegerauto hat

"Nach den Testfahrten war uns allen klar, dass Ferrari beim Saisonstart wohl kaum um Siege kämpfen kann", erklärt Toro-Rosso-Junior Daniel Ricciardo, in Q2 um fast zwei Zehntelsekunden schneller als Alonso im Werks-Ferrari. "Aber dass sie beide Piloten nicht ins Q3 bekommen, das war schon richtig überraschend. Aber es ist deren Problem, nicht unseres."

Italienische Presse übt Kritik

Im Ferrari-Land Italien herrscht nach der miserablen Qualifikation der Scuderia Entsetzen. "Verheerender Start für Ferrari, die neue Saison hätte kaum schlechter beginnen können", titelt die Sporttageszeitung 'Corriere dello Sport'. "Enttäuschung bei Ferrari", kommentiert die 'Gazzetta dello Sport'.

Teamchef Stefano Domenicali, der schon vor Saisonbeginn enorm unter Druck stand und sein Standing bei Präsident Luca di Montezemolo mit dem heutigen Ergebnis sicher nicht verbessern konnte, mahnt zur Ruhe: "Ich verstehe, dass unsere Fans enttäuscht sind, aber ich bitte sie um Besonnenheit, bevor sie sich ein endgültiges Urteil bilden, so als wäre schon alles vorbei. Wir müssen jetzt ruhig und konzentriert bleiben", fordert er.

"Verheerender Start für Ferrari, die neue Saison hätte kaum schlechter beginnen können." Corriere dello Sport

Die Konkurrenz schreibt Ferrari noch nicht ab: "Sie sind ein starkes Team mit vielen guten Leuten. Ich weiß nicht, was die Probleme sind, aber ich bin mir sicher, sie werden das hinbekommen", meint etwa Ex-Ferrari-Chefstratege Ross Brawn, heute Teamchef bei Mercedes. Und Christian Horner von Red Bull sagt: "Ich glaube, dass man Ferrari noch nicht abschreiben darf. Sie waren immer stark genug, um während der Saison zurückzuschlagen."

Alonso hofft auf ein Top-5-Ergebnis

Aber zunächst einmal gilt es, Wunden zu lecken und morgen sowie in einer Woche beim Grand Prix von Malaysia in Sepang den Schaden zu minimieren. "Punkte haben oberste Priorität. Vielleicht sind auch die Top 5 möglich", sagt Alonso mit Blick auf das morgige Rennen. Melbourne hatte in der Vergangenheit schon oft eigene Gesetze - und im Nachhinein betrachtet kann der Spanier sogar mit seinem unnötigen Fahrfehler in Q2 ganz gut leben.

"Ich bin aufs Gras gekommen. Ich habe das erst gar nicht realisiert, habe es dann aber im Fernsehen gesehen. Da habe ich mich gedreht", gibt er zu. "Keine Ahnung, wo ich sonst gelandet wäre - vielleicht wäre Q3 möglich gewesen, vielleicht auch nicht, denn die Zeiten lagen sehr eng beisammen. Wenn ich Q3 gefahren wäre, hätte ich aber keine neuen Reifen mehr für morgen gehabt. Vielleicht ist es unterm Strich sogar ein guter Kompromiss, frische Reifen zu haben."

"Wir sind offensichtlich nicht schnell genug, können im Moment nicht um die vorderen Plätze kämpfen", sieht Alonso aber ein. "Wir haben nach den Wintertests schon damit gerechnet, dass es schwierig werden würde, und heute hat sich das bestätigt. Wir haben viel Arbeit vor uns und müssen stärker zusammenhalten als je zuvor. Vor diesem Rennen haben wir 24 Stunden am Tag gearbeitet, jetzt müssen wir 25 arbeiten."


Fotos: Ferrari, Großer Preis von Australien, Samstag


Ziel des Winters klar verfehlt

"Das ist die einzige Möglichkeit, das Auto besser zu machen und bald Rennen zu gewinnen. Das ist das Ziel", gibt der Weltmeister von 2005 und 2006 zu Protokoll. Zwischen den Zeilen äußert er aber sehr wohl sanfte Kritik am Team: "Den ganzen Winter war unser erklärtes Ziel, die Saison mit einem Auto zu beginnen, mit dem wir gewinnen können. Das haben wir nicht erreicht. Jetzt brauchen wir so bald wie möglich ein Siegerauto."

Zu den schlechtesten Autos, mit denen er je in eine neue Saison gestartet ist, zählt Alonso den F2012 übrigens nicht: "Es hat schon Meisterschaften gegeben, in denen ich weiter weg war - zum Beispiel im Vorjahr. Da hatte ich 1,4 Sekunden Rückstand auf die Pole-Position, heute war es in Q2 nur eine Sekunde. So gesehen sind wir näher dran", rechnet er vor - und vergisst dabei, dass die Topteams in Q2 natürlich nicht so sehr ans Limit gehen wie in Q3, weswegen der Vergleich mit 2011 hinkt.

"Es hat schon Meisterschaften gegeben, in denen ich weiter weg war." Fernando Alonso

Teamkollege Felipe Massa gibt indes offen zu: "Wir hätten schon gerechnet, konkurrenzfähiger zu sein. Die Strecke ist für unser Auto vielleicht nicht optimal, aber ich hatte keine Balance und keinen Grip. Das war mein Hauptproblem. Wenn ich die Balance einmal finde, kann ich mich sicher enorm steigern, denn wenn du in jeder Kurve kämpfen musst, überschreitest du schnell das Limit. Dann rutschst du ein bisschen und hast keine optimale Traktion mehr."

Radaufhängung eines der Probleme?

Der Brasilianer stand im Freien Training einmal im Kiesbett, leistete sich auch sonst den einen oder anderen Ausritt. Auch Alonso hatte sichtlich Mühe, den bockigen Ferrari zu bändigen - in den Kurven kann man mit freiem Auge sehen, dass das Auto nicht das macht, was der Fahrer möchte. Viele führen das auf die innovative Zugstreben-Vorderradaufhängung zurück, die aerodynamische Vorteile bringt, dafür aber mechanisch schwieriger in der Handhabung ist.

Möglicherweise ist die Radaufhängung auch der Grund dafür, dass Massa Schwierigkeiten hat, seine Vorderreifen auf Temperatur zu bekommen: "In Barcelona und Jerez hatten wir nie ein Problem damit, gleich auf der ersten Runde eine schnelle Zeit zu fahren, nicht einmal mit den harten Reifen. Hier ging es einfach nicht", wundert er sich und kündigt eine intensive Ursachenforschung an: "Ich muss herausfinden, woran das liegt."

Felipe Massa

Felipe Massa ist mit der Balance seines Ferrari noch gar nicht zufrieden Zoom

Übrigens: Schlechter als heute war Ferrari im ersten Qualifying der Saison erst ein einziges Mal, nämlich 2005 ebenfalls in Melbourne. Damals verzockten sich Rubens Barrichello (11.), der im Rennen immerhin noch Zweiter wurde, und Michael Schumacher (19.) im Regen. Auch 1990 ging der Saisonauftakt in Phoenix daneben: Alain Prost qualifizierte sich als Siebter, Nigel Mansell als 17. Vor 22 Jahren schieden im Rennen beide Ferrari-Piloten aus.