Formel-1-Saison 2011 im Rückspiegel: Sauber

Experte Marc Surer erklärt, welchen Kapitalfehler Sauber 2011 gemacht hat - Lob für Sergio Perez, den Sieger im Qualifying-Stallduell gegen Kamui Kobayashi

(Motorsport-Total.com) - Während die Teams hinter den Kulissen längst ihren neuen Autos den letzten Feinschliff verpassen, nimmt die Redaktion von 'Motorsport-Total.com' den Jahreswechsel zum Anlass, die Formel-1-Saison 2011 noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Unsere Experten Marc Surer und Pit Lane geben ihre Einschätzungen ab und analysieren, was falsch oder richtig gemacht wurde. Heute: Sauber.

Titel-Bild zur News: Sergio Hernandez, Sergio Perez

Sergio Perez hat sich gegen Kamui Kobayashi besser geschlagen als erwartet

2010, im Jahr eins nach BMW, brillierte Sauber mit sensationellen Testzeiten im Winter, die dann aber im Saisonverlauf nicht bestätigt werden konnten. Diesmal waren die Schweizer in der Offseason etwas unauffälliger unterwegs, dafür stimmten aber die Ergebnisse von Anfang an - vor allem beim Auftakt-Grand-Prix in Australien: Sergio Perez wurde bei seiner Formel-1-Premiere sensationell Siebter, Kamui Kobayashi Achter. Das bedeutete unterm Strich stattliche zehn Punkte - doch die Freude darüber währte nur ein paar Stunden.

Zehn Punkte wegen Schlamperei verschenkt

Denn bei der technischen Untersuchung nach dem Rennen stellte sich heraus, dass beide Autos mit einem illegalen Heckflügel ausgestattet waren. Dabei handelte es sich vermutlich nicht um absichtlichen Betrug, sondern eher um eine Schlamperei, weil in der Fabrik eine Form nicht den FIA-Vorgaben entsprach. Doch auch wenn Peter Sauber schon damals ahnte, dass ihn die Disqualifikation noch einmal schmerzen würde, blieb immerhin der positive Gesamteindruck über den C30.

Der wurde von Experten schon bald als "Reifenflüsterer" bezeichnet, denn obwohl viele davon ausgegangen waren, dass aufgrund der neuen Pirelli-Reifen drei Boxenstopps das Minimum sein würden, kam Perez in Melbourne - auch dank seines schonenden Fahrstils - als einziger Fahrer mit nur einem Stopp über die Runden. Selbst Kobayashi, der für seinen aggressiven Fahrstil bekannt ist, musste nur zweimal neue Pneus abholen. Doch wer A zu haltbaren Pirellis im Rennen sagt, der muss auch B sagen - zu Pirellis, die im Qualifying etwas länger brauchen, um auf Temperatur zu kommen...

Zu Saisonhalbzeit, nach dem neunten Rennen in Silverstone, lag Sauber mit 33 Punkten auf Platz sechs der Konstrukteurs-WM. Vorsprung auf Force India: 21 Punkte. Doch das zwischenzeitliche Verbot des auspuffangeströmten Diffusors durch die FIA, das dann doch wieder aufgeweicht wurde, warf Sauber aus der Bahn. "Sie hatten am Anfang ein gutes Auto und konnten das auch recht gut umsetzen, aber es ist dann eher schlechter geworden", analysiert 'Motorsport-Total.com'-Experte Surer.

¿pbvin|512|4295||0|1pb¿"Der einfache Grund dafür ist: Alle Teams, die den angeströmten Diffusor hatten, haben sie überholt. Wenn es eine Entscheidung gibt, die man Sauber vorwerfen muss, dann ganz klar die, dass sie die Entwicklung des angeströmten Diffusors eingestellt haben", erklärt er. "Sie hatten zwar die ersten Versuche, aber dann hieß es, der angeströmte Diffusor sei nicht mehr erlaubt, zumindest im Schiebebetrieb. Also brachte es nicht mehr so viel, aber ich habe mich gewundert, denn ich hätte trotzdem weiterhin auf das Konzept gebaut."

"Immerhin wusste man, dass das schon im Jahr davor das Geheimnis von Red Bull war", begründet der ehemalige Grand-Prix-Pilot aus der Schweiz. "2010 war im Schiebebetrieb auch noch nicht viel los, denn da gab es dieses ausgetüftelte Off-Throttle-Verhalten noch nicht. So gesehen war diese Entscheidung für mich schwer nachvollziehbar. Das Team hat wohl geglaubt, dass die FIA einschreiten würde, aber wer auf die FIA vertraut hat, hat dieses Jahr zweimal ein bisschen komisch aus der Wäsche geguckt."

Chancenlos gegen Force India

In der zweiten Saisonhälfte gelang Sauber nur noch ein einziges Top-8-Ergebnis (Perez in Suzuka), sodass man in der Konstrukteurs-WM noch deutlich hinter Force India zurückfiel und den Vorsprung auf Toro Rosso nur knapp behaupten konnte. Immerhin können sich die Schweizer damit trösten, dass der Kampf um Platz sechs letztendlich so klar verloren ging, dass auch die zehn Punkte von Melbourne keinen Unterschied gemacht hätten.

Auffällig ist, dass der C30 das erste Auto war, das komplett unter der technischen Regie von James Key entstanden ist. Der 40-Jährige kam im April 2010 von Force India nach Hinwil und beerbte dort Urgestein Willy Rampf. Key macht einen kompetenten Eindruck und gilt nicht als Mann der großen Worte - liegt damit also genau auf der Linie der Teamchefs Peter Sauber und Monisha Kaltenborn. Doch wenn ein Team beim ersten Rennen fünfte Kraft ist und nach 19 Rennen nur mit etwas Bauchweh WM-Siebter wird, muss auch der Technische Direktor in Frage gestellt werden.

Aber: "Ich glaube, James Key hat die Sache absolut im Griff - er ist ein sehr guter Techniker", nimmt Surer den gelernten Dateningenieur, der seine Formel-1-Karriere 1998 bei Jordan begonnen hat, in Schutz. "Er hat begrenzte Mittel und musste dem Team vorlegen: 'Wenn der angeströmte Diffusor verboten wird, können wir das Budget verwenden, um neue Frontflügel oder was auch immer zu bauen. Wenn nicht, dann müssen wir das ganze Geld in den angeströmten Diffusor investieren.' Da musste das Team eine Entscheidung fällen - und das war offensichtlich die falsche."

James Key und Monisha Kaltenborn

James Key und Monisha Kaltenborn: Hier sitzt die Zukunft des Sauber-Teams Zoom

"Das kann man ihm zum Vorwurf machen, denn der Technische Direktor ist letztendlich derjenige, der den Kopf hinhalten muss, aber es war offensichtlich schon auch eine finanzielle Entscheidung - auch weil man den Windkanal nicht unbegrenzt nutzen kann und die Kosten natürlich auch nicht ausufern durften. Weil die FIA nicht mitgespielt hat, war es aber umso tragischer. Je besser die anderen Teams dieses Ding in den Griff bekommen haben, desto weiter ist Sauber zurückgefallen - so einfach kann man es eigentlich sagen", findet Surer.

Ein gefühltes Sauber-Highlight 2011 war der zweite Platz von Kobayashi zum Zeitpunkt des Abbruchs beim Grand Prix von Kanada - auch wenn der Japaner letztendlich nur als Siebter über die Ziellinie fuhr. Umso mehr enttäuschte ihn sein Nuller beim Heimrennen in Suzuka, bei dem er seinen Landsleuten einige Monate nach der verheerenden Tsunami- und Atomkatastrophe mit einem Topergebnis eigentlich einen Grund zum Lächeln schenken wollte.

Starke Premierensaison von Perez

Den hatte an jenem Wochenende vielmehr Perez, der als Achter ein ordentliches Resultat nach Hause brachte. Der 21-jährige Mexikaner war ohnehin eine der positiven Überraschungen der Saison: Nicht nur, dass er aus Mexiko einige Sponsorenmillionen mitbrachte, war er auch vom ersten Rennen an schnell und so gut wie fehlerfrei. Dass der "Reifenflüsterer" auch das Qualifying-Stallduell gegen den von vielen Experten hoch eingeschätzten Kobayashi gleich im ersten Formel-1-Jahr mit 11:7 gewann, spricht für sein Talent.

Das ist Surer nicht entgangen: "Ich habe mich ein bisschen darüber gewundert, dass Perez in der Regel der Schnellere war, vor allem in den Freien Trainings. Im Rennen hat es meistens anders ausgesehen, aber vom Speed her hat Perez schon beeindruckt", lobt der Experte den Sauber-Rookie mit Ferrari-Vorvertrag. "Er fuhr mit so einer Leichtigkeit schnell, auf Strecken, die er davor nicht kannte, dass man sagen muss: Das ist ein großes Talent."

¿pbvin|512|4293||0|1pb¿"Kobayashi ist der absolute Kämpfer, der auch einen schlechteren Startplatz binnen weniger Runden wettmachen kann. Er hat uns in den Rennen jeweils beeindruckt, auch wenn er mit seinen Überholmanövern dieses Jahr nicht mehr ganz so aufgefallen ist - wegen KERS und DRS war das ja auch nicht mehr möglich. Aber er ist nach wie vor der Fighter im Feld", so Surer. "Die Kombination aus beiden wäre wohl das Idealste. Perez als Neuling hat das hervorragend gemacht und Kobayashi hat gegen Saisonende auch zu seiner alten Form zurückgefunden, hatte ich das Gefühl - da hatte er den Teamkollegen wieder im Griff. Aber dafür, dass er gegen einen Neuling antreten musste, tat er sich schwer."

"Er hatte als Neuling schon die Teamführung, musste also neue Teile ausprobieren, musste die Abstimmung finden", fährt er fort. "Perez konnte einfach mit der vorgegebenen Abstimmung die Strecke lernen und sich auf die Feinabstimmung konzentrieren. Kobayashi musste währenddessen die Arbeit machen. Vielleicht hat ihm das diesen Rückstand in den Freien Trainings und manchmal auch noch in der Qualifikation eingebracht, weil er sich mit seinen Abstimmungen und seinen Teilen logischerweise manchmal mehr verzettelt hat und sich nicht ganz klar auf sein eigenes Setup konzentrieren konnte."

Letztendlich wurde Kobayashi seinem Anspruch, das Team zu führen, dennoch gerecht, denn das Punkteduell konnte er souverän mit 30:14 für sich entscheiden. Nicht zum Punktekonto beitragen konnte Pedro de la Rosa, der in Montreal kurzfristig von McLaren ausgeliehen wurde, weil Perez nach seinem schweren Unfall in Monte Carlo doch noch nicht wieder fit war. Trotzdem ging die Schrecksekunde des Jahres für den Youngster alles in allem glimpflich aus.

Pit Lane über Sauber:

Pit Lane

Gut gestartet, aber wenig daraus gemacht, daher: Daumen runter für die Saison 2011 Zoom

Saisonstatistik:

Link: Sauber in der großen Formel-1-Datenbank

Team:

Konstrukteurswertung: 7. (44 Punkte)
Siege: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Podestplätze: 0
Ausfallsrate: 21,6 Prozent (8.)
Durchschnittlicher Startplatz: 14,0 (7.)

Qualifyingduelle:

Kobayashi vs. Perez: 7:11
Kobayashi vs. de la Rosa: 1:0

Kamui Kobayashi (Startnummer 16):

Fahrerwertung: 12. (30 Punkte)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 13,8 (14.)
Bester Startplatz: 7.
Bestes Rennergebnis: 5.
Ausfallsrate: 21,1 Prozent (15.)

Sergio Perez (Startnummer 17):

Fahrerwertung: 16. (14 Punkte)
Gefahrene Rennen: 17/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 14,0 (15.)
Bester Startplatz: 9.
Bestes Rennergebnis: 7.
Ausfallsrate: 23,6 Prozent (17.)

Pedro de la Rosa (Startnummer 17):

Fahrerwertung: 20. (0 Punkte)
Gefahrene Rennen: 1/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 17,0 (20.)
Bester Startplatz: 17.
Bestes Rennergebnis: 12.
Ausfallsrate: 0,0 Prozent (1.)