• 25.05.2011 11:38

  • von Helmut Zwickl & Michael Noir Trawniczek

Ickx: "Lebe von der Dividende meiner großen Zeit"

Jacky Ickx im Gespräch: Über Gefahr und Tod im Rennsport, Michael Schumacher, das Ablaufdatum eines Rennfahrers und vieles mehr...

(Motorsport-Total.com) - Der legendäre belgische Rennfahrer Jacky Ickx, zwischen 1967 und 1979 achtfacher Grand-Prix-Sieger und zweimal Vizeweltmeister (1969 auf Brabham und 1970 auf Ferrari), präsentierte in Wien die neue Ennstal-Classic-Uhr von Chopard. Vor dem Termin nahm er sich noch Zeit für eine Formel-1-Diskussion mit den beiden österreichischen Journalisten Helmut Zwickl und Michael Noir Trawniczek.

Titel-Bild zur News: Jacky Ickx

Jacky Ickx hat in seiner Karriere acht Formel-1-Grands-Prix gewonnen

Michael Noir Trawniczek: "Jacky, dein Vater war Motorsportjournalist. Wie war dein Verhältnis zu den Medien? War es aufgrund deines Vaters ein anderes, als das bei deinen Rennfahrerkollegen der Fall war?"

Jacky Ickx: "Das ist lustig, denn in all den Jahren hat mir noch niemand diese Frage gestellt. Für mich war er weniger der Journalist, sondern einfach ein Vater, der vom Motorsport begeistert war."

Rennfahrerkarriere war nicht geplant

Noir Trawniczek: "Hat er die Rennleidenschaft in dir geweckt?"

Ickx: "Ich hatte zunächst gar keine Ambitionen, ein Rennfahrer zu werden. Aber ich war in der Schule wenig erfolgreich. Und meine Eltern wollten etwas finden, das mir gefällt. Als ich das schlechteste Zeugnis meiner Schülerkarriere erhielt, schenkten sie mir ein Motorrad."

Helmut Zwickl: "Du hast mit dem Motorrad begonnen?"

Ickx: "Ja. Es war ein Gelände-Motorrad, ich fuhr Trial-Rennen und bald schon stand ich regelmäßig auf dem Podium. Ich habe niemals davon geträumt, ein Rennfahrer zu werden - das ist einfach passiert."

Zwickl: Später hast du Ken Tyrrell, den legendären Rennstallbesitzer kennengelernt. Wie ist es dazu gekommen?"

Ickx: "Ich habe ihn im Sommer 1964 in Budapest getroffen. Dort fuhr ich für Alan Mann ein Sechs-Stunden-Rennen. Ken Tyrrell hat mich zu einem Test eingeladen, aber ich musste ausschlagen, da ich zur Armee musste. Dort habe ich dann gelernt, mit Panzern Vollgas zu fahren und damit Dreher zu produzieren. Dort habe ich im Grunde genommen meinen Führerschein gemacht. Ende 1965 kam es dann zum Test für Ken Tyrrell, mit einem Formel-2-Cooper. Ich hatte viele Dreher und am Ende hatte ich auch noch einen Crash. Und dann gab er mir trotzdem den Vertrag."

¿pbvin|512|3717||0|1pb¿Zwickl: "Du hast das Auto zerstört?"

Ickx: "Ja, es war schwer beschädigt."

Noir Trawniczek: "Deine Rundenzeiten müssen also sehr gut gewesen sein, oder?"

Ickx: "Ich war schnell, aber ohne Erfahrung. Der Unterschied zur heutigen Zeit besteht darin, dass meine Unfälle für Ken Tyrrell akzeptabel waren, denn er hatte aufgrund meines Speeds gewisse Erwartungen. Wenn du heute als junger Pilot bei deinem ersten Test das Auto zerstörst, sind deine Chancen auf einen Vertrag nicht wirklich gut, solange du nicht irgendwelche Rundenrekorde brichst. Was ich heute noch bereue? Dass ich gegenüber Ken nicht mehr Dankbarkeit gezeigt habe. Es gibt Menschen, die einen gossen Einfluss auf dich ausüben, und Ken Tyrell war für mich ein solcher. Er gab mir die Möglichkeit, im Automobilrennsport Fuß zu fassen."

Große Zeit Ende der 1960er

Zwickl: "Ende der 1960er-Jahre hat jeder über Jacky Ickx gesprochen. 8:14 Minuten war deine Zeit auf dem Nürburgring, in einem Formel-2-Auto. Beim Grand Prix fuhrst du die drittschnellste Zeit mit dem Formel 2, doch man hat die Formel-2-Autos am Ende des Formel-1-Feldes aufgestellt."

Ickx: "Ja - und es war der alte Cooper-Formel-2. Wenn ich, was manchmal der Fall war, den Wagen von Jackie Stewart fahren hätte können, wäre ich nochmal um fünf Sekunden schneller gewesen. Was ich dazu noch sagen möchte: Ich glaube nicht, dass unser Schicksal vorgegeben ist. Es hängt davon ab, welche Leute wir treffen, und Ken Tyrrell war eine sehr wichtige Person für mein Leben, vielleicht sogar die wichtigste Person."

Noir Trawniczek: "Du hast gesagt, du bist dankbar, dass er dich zum Automobilrennsport gebracht hat. Meinst du damit, dass der Motorradrennsport noch gefährlicher gewesen wäre?"

Ickx: "Nein, an so etwas denkst du nicht, wenn du jung bist. Im Rennsport ist kein Platz für Leute, die an die Gefahr denken - und nur junge Menschen denken nicht an die Gefahr. Denn in diesem Alter bedeutet dir der Tod nichts."

"In diesem Alter bedeutet dir der Tod nichts." Jacky Ickx

Zwickl: "Hast du jemals daran gedacht zurückzutreten, beispielsweise nach dem tödlichen Unfall von Jochen Rindt?"

Ickx: "Nein. Aber in dieser Zeit, Ende der 1960er-Jahre, als Jochen Rindt, Jo Siffert, Jim Clark und einige andere zu Tode kamen, war es stets so: Immer, wenn ich gerade bei mir zu Hause war und zu einem Rennen fuhr, habe ich durchaus gedacht, dass ich vielleicht nicht mehr zurückkommen werde. Aber das hat mich nicht aufgehalten, auch sonst niemanden."

Nicht so gefährlich wie im Krieg

"Es war natürlich eine gefährliche Zeit, so wie es auch vor dem Krieg gefährlich war oder auch in den 1950er-Jahren. Da war es wahrscheinlich sogar noch gefährlicher. Aber es war normal zu der Zeit. Es war eine Art von Aristokratie in der automobilen Welt: Rennfahrer sind dazu da, um zu kämpfen und zu sterben. Erst Mitte der 1970er-Jahre wollte man diese Unfälle nicht mehr akzeptieren und man hat begonnen, ernsthaft die Sicherheit zu verbessern."

Zwickl: "Als du für Lotus gefahren bist, hattest du in dieser Zeit viele mechanische Gebrechen?"

Ickx: "Ja, sehr viele. Ich bin zwei Jahre lang für Lotus gefahren und es gab sicher drei große mechanische Defekte. Der Lotus war ein tolles Auto, doch ich hatte großes Glück, mich nicht verletzt zu haben. Aber es hatten auch andere Auto mechanische Defekte, einige."

Zwickl: "Welche Rolle hat das Geld in deiner Karriere gespielt?"

Ickx: "Gar keine, denn es war ein anderes Zeitalter. Wir erhielten eine Gage und waren glücklich damit - das Geld stand nicht im Vordergrund. Das Ziel war, das beste Auto zu haben und Rennen zu gewinnen."

"Wir erhielten eine Gage und waren glücklich damit." Jacky Ickx

Zwickl: "Hattest du jemals einen Manager?"

Ickx: "Nein. Das war nicht notwendig."

Zwickl: "Jochen Rindt sagte auch immer, er sei sein eigener Manager."

Ickx: "Er war neben Jackie Stewart der Erste, der sich Gedanken über das Geschäft gemacht hat, der einen professionellen Zugang hatte. Jochen hatte damals viel mehr als wir den Blick auf diese Dinge gerichtet."

Zwickl: "Wie war es bei Ferrari für dich? War es Grande Casino?"

Ickx: "Nein, es war sehr gut. Ich bin einer der wenigen, die nie ein böses Wort über Ferrari verlieren werden. Enzo Ferrari war sehr nett zu mir - er hat mir immer vertraut, obwohl ich manchmal sehr faul war. Ich habe es nie gemocht, tagelang zu testen."

Bei Ferrari sehr wohl gefühlt

Zwickl: "Wie lief es mit dem berüchtigten Ferrari-Rennleiter Mauro Forghieri?"

Ickx: "Es lief gut, aber damals war es so, dass du in einem Jahr ein gutes und im nächsten Jahr ein schlechtes Auto haben konntest. Die Formel 1 war damals auf eine gewisse Art und Weise empirisch. Es gab noch keine so genauen Berechnungen oder Computersimulationen. Die Ingenieure hatten ihre Ideen, aber sie wussten nie so genau, ob diese fruchten werden."

Zwickl: "Du hast fantastische Langstreckenrennen geliefert, in den Zweisitzern, ich habe dich gesehen in Le Mans..."

Ickx: "Ich war ganz gut unterwegs, war körperlich sehr widerstandsfähig. Und rein mathematisch habe ich vielleicht die größte Anzahl an Langstreckenrennen gewonnen, vielleicht mehr als 50. Aber du benötigst im Langstreckensport auch Glück. Und dieses Glück besteht darin, dass du die richtigen Teamkollegen hast."

Zwickl: "Wer war dein bester Teamkollege?"


Fotos: Großer Preis von Spanien


Ickx: "Das kann man so nicht sagen. Und die Fahrer sind die Letzten, die ein Projekt verwirklichen - zuvor haben die Techniker das Auto entworfen. Der Fahrer ist der Letzte, der dann einsteigt und die Lorbeeren einholt. Aber nur er steht dann im Rampenlicht - doch er hat nur getan, was man von ihm erwartet hat."

Zwickl: "In den Teams warst du immer ein junges Kid, ein Wunder."

Ickx: "Wunder weiß ich nicht, aber ich war immer ein bisschen schneller als meine Teamkollegen. Es war ein bisschen wie bei Vettel und Webber: Die Teams investierten in die Jugend."

Noir Trawniczek: "Du warst ein Allroundpilot."

Zwickl: "Formel 1, Formel 2, Langstrecke, Dakar - keiner der heutigen Piloten ist dazu imstande."

Ickx: "Aber es erhält auch keiner die Möglichkeit, das ist heute einfach nicht mehr machbar. Das war nur in dieser Ära damals möglich. Heute hast du die Sponsoren, die Exklusivität gegenüber dem Hersteller und so weiter. Ich bin davon überzeugt, dass viele heutige Formel-1-Piloten dazu in der Lage wären, Dakar oder Langstrecke zu fahren."

Anerkennung für Vettel

"Ich glaube auch nicht, dass ein Sebastian Vettel deshalb weniger glücklich ist, weil er keine anderen Rennen als Formel-1-Rennen bestreitet. Ich habe unlängst mit ihm gesprochen und in Summe sagte er: 'Ich möchte mich als Fahrer verbessern und als Person.' Und wenn ein 23-Jähriger sagt, er möchte sich als Person verbessern, dann sagt das schon einiges über ihn aus."

Noir Trawniczek: "Den Wunsch, auch andere Rennserien zu fahren, gibt es aber offenbar bei einigen Piloten. Siehe Kimi Räikkönen oder Robert Kubica."

Ickx: "Kubica ist kein gutes Beispiel, denn er bekam die Erlaubnis, Rallyes zu fahren, und er hatte das Pech, einen schweren Unfall zu haben. Ich persönlich empfinde große Bewunderung für Rallyepiloten."

Noir Trawniczek: "In Österreich haben wir zurzeit leider keinen Formel 1-Piloten. Belgien hatte auch lange Zeit keinen, jetzt gibt es Jerome D'Ambrosio. Wie schätzt du ihn ein?"

Ickx: "Ja, seit Thierry Boutsen, der zwei oder drei Grands Prix gewinnen konnte, gab es keine Siegpiloten aus Belgien in der Formel 1. Jetzt sind wir zurück mit einem Fahrer, der eines der schwächsten Autos im Feld fährt - aber er ist in der Formel 1, das ist schon einmal etwas. Der einzige Weg, die Kapazität eines Piloten einzuschätzen, ist der Vergleich mit seinem Teamkollegen. Wenn du beginnst, hast du zwei große Herausforderungen: den Teamkollegen zu schlagen und aufzupassen, dass du dich nicht selbst schlägst, dass man es also übertreibt und abfliegt."

"Seit Thierry Boutsen gab es keine Siegpiloten aus Belgien in der Formel 1." Jacky Ickx

Zwickl: "Glaubst du, dass Nico Rosberg schneller ist als Michael Schumacher? Denkst du, dass Schumacher aufhören sollte? Vergangenes Jahr hieß es, er ist nicht gewöhnt an die Reifen, er hatte keinen Einfluss auf das Auto. Jetzt haben alle neue Reifen, er konnte das Auto mitentwickeln."

Ickx: "Ich kann es nicht beurteilen. Aber natürlich gibt es Fakten: Rosberg war stets schneller als Schumacher, obwohl es oft nur ein paar Zehntelsekunden Unterschied gab. Aber wenn Michael dabei glücklich ist, wenn er sich wohl fühlt im Mittelfeld, warum müssen wir dann darüber diskutieren, ob er zurücktreten soll? Es ist sein Leben, seine Freude. Ich will das nicht kommentieren. Und grundsätzlich für einen Kerl, der über 40 Jahre alt ist, schlägt er sich doch sehr gut. Er war vielleicht ein bisschen zu optimistisch, als er dachte, er kann einen 25-Jährigen schlagen. Aber: Den Rekord von Schumacher wird niemand mehr schlagen können und wenn er glücklich ist, wenn sein Team glücklich ist, dann ist es okay."

Vom Ende der Formel-1-Karriere

Zwickl: "Aber ich sage dir: Er ist nicht glücklich!"

Ickx: "Das kann ich nicht beurteilen. Wenn er glücklich ist, ist es für mich okay. Und wenn er unglücklich ist, dann auch, denn es ist sein eigenes Leben. Im Sport hast du ein Ablaufdatum. Jeder Sportler weiß das. Manche haben es akzeptiert, andere nicht. Es gibt einen Punkt, ab dann geht es bergab."

Noir Trawniczek: "Hast du in deiner Karriere diesen Punkt gespürt?"

Ickx: "Ja, definitiv. Wenn du ehrlich zu dir selbst bist, wenn du deine Motivation kennst, dann hast du nur diese eine Möglichkeit."

Noir Trawniczek: "Von einem Tag auf den anderen? Du schaust eines Morgens in den Spiegel und weißt, dass es vorbei ist?"

Ickx: "Ich finde die Idee viel netter, zu gehen, bevor man gefeuert wird. Wenn du gehst, bevor du nicht mehr im Spiel bist, dann ist es viel leichter und schöner."

"Ich finde die Idee viel netter, zu gehen, bevor man gefeuert wird." Jacky Ickx

Noir Trawniczek: "Dass man also bildlich betrachtet durch den Vordereingang wieder verschwindet und nicht durch den Hinterausgang hinaus befördert wird?"

Ickx: "Ja. Wenn du unbedingt bleiben willst, dann wirst du irgendwann ans Ende des Feldes gespült. Und was passiert dann? Dann wirst du rausgetreten. Das ist das Problem. Man muss realistisch bleiben. Als ich gemerkt habe, dass ich nicht mehr hundertprozentig motiviert bin, dass ich nicht mehr Vollgas geben will, bin ich gegangen beziehungsweise habe mir andere Rennserien ausgesucht. Du musst realistisch und intelligent sein - und mehr als alles musste du realisieren, dass dir die Zeit davonläuft."

Eine privilegierte Karriere

Noir Trawniczek: "Sicher eine sehr harte Entscheidung oder?"

Zwickl: "Nein, keine harte Entscheidung."

Ickx: "Für mich, wenn du meine Chancen und meine Platzierungen anschaust - ich habe sogar die Can-Am-Serie gewonnen -, wie kann ich auch nur für einen Moment unglücklich gewesen sein? Du musst einfach nur akzeptieren, dass nichts garantiert, dass nichts für immer ist. Du nimmst, was du bekommst - und du bist glücklich damit. Ich hätte ja auch ein Tankwart sein können."

Noir Trawniczek: "Aber du bist im Motorsport geblieben, in anderen Positionen."

Ickx: "Nein, so würde ich das nicht sagen. Ich lebe einfach von der Dividende meiner Karriere, die im Jahr 1985 zu Ende gegangen ist. Das ist natürlich fantastisch. Ich arbeite derzeit für die Volkswagen-Gruppe, da bin ich eine Art Botschafter, und ich bin sehr stolz darauf, ein Mitglied dieser Gruppe zu sein. Aber ich lebe von der Dividende einer 30 Jahre andauernden Motorsportkarriere in der Topliga. Mit der Formel 1, Dakar, Sportwagen, Can-Am, Formel 2 und was auch immer - mit schönen Momenten und auch sehr traurigen Momenten. Weil du so im Motorsport lernst, deinen Weg zu gehen."

Jackie Stewart

In den 1960ern war das Rennfahren noch viel gefährlicher als heute Zoom

"Aber eine solche Karriere ist ein Privileg. Daher bedaure ich auch nichts, ich trauere nichts nach. Wenn du dich umschaust, all die anderen Piloten, die ähnlich viele Rennkilometer abgespult haben - wie viele Überlebende gibt es denn da? Wenn du in den verschiedenen Rennkategorien, egal auf welchem Belag, immer Vollgas gibst - und du stirbst dabei nicht, dann ist das keine Frage des Talents, sondern einfach nur Glück."