• 18.04.2011 18:05

  • von Gerald Dirnbeck & Dieter Rencken

Hamiltons Sieg hing am seidenen Faden

Bereits vor dem Start hätte Lewis Hamilton das Rennen in China beinahe verloren - Die McLaren-Mechaniker konnten das technische Problem noch rechtzeitig lösen

(Motorsport-Total.com) - Eine halbe Stunde vor dem Rennen öffnet in der Formel 1 die Boxengasse. Die Piloten steigen in ihre Boliden, fahren auf die Strecke und nehmen ihre Position in der Startaufstellung ein. Ab und an fährt ein Fahrer noch einmal durch die Boxengasse, um ein System zu checken. Selten passiert in diesem Routineablauf etwas. In China nahm alles seinen gewohnten Lauf, doch bei McLaren brach Hektik aus.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

Lewis Hamilton fuhr 30 Sekunden vor dem Schließen der Boxengasse hinaus

Der Motor am Wagen von Lewis Hamilton sprang nicht richtig an. Die Zeit tickte, den 15 Minuten vor dem Rennstart schließt die Boxengasse. Wer dann noch nicht in der Startaufstellung steht, muss aus der Boxengasse starten. Die ganze Arbeit des Qualifyings wäre zunichte. Die McLaren-Mechaniker lösten die Verkleidungen und begaben sich auf Fehlersuche.

"Kurz bevor wir hinausfahren wollten, starteten wir den Motor ohne Probleme, aber er war klar abgesoffen", sagt Teamchef Martin Whitmarsh. "Wir mussten rasch reagieren und das Auto zerlegen, um uns Zuggang zu verschaffen. Dann musste das Benzin abgelassen und sichergestellt werden, dass der Motor nicht abgesoffen war. Mit nur wenigen Sekunden Puffer hinauszufahren war kein guter Start in den Nachmittag, aber die Jungs haben einen tollen Job gemacht."

Während die Mechaniker am Heck des MP4-26 arbeiteten, saß Hamilton seelenruhig im Auto und wartetet ab. "Ehrlich gesagt war ich nicht besorgt. Ich saß früh im Auto, um rauszufahren, und dann sprang das Auto einfach nicht an", so der Weltmeister von 2008. "Ich bin mir noch immer nicht ganz sicher, was da los war, aber sie mussten viel Karosserie abbauen und ich wusste, dass wir noch sechs Minuten hatten."

"Dann waren es nur noch zwei Minuten, aber zum Glück ging von da an alles recht schnell. Die Jungs haben großartige Arbeit geleistet, aber für mich ist in so einer Situation am wichtigsten, ruhig zu bleiben, denn das färbt auf all die anderen Jungs in der Box ab. Ich habe mich darauf konzentriert, positiv zu wirken und einfach rauszufahren, was am wichtigsten war."


Fotos: McLaren, Großer Preis von China


In der Ruhe liegt die Kraft

Diese Ruhe zeichnet ein Weltmeisterteam aus. Bei einem komplexen Arbeitsgerät wie einem Formel-1-Boliden kann ein kleiner Fehler schlimme Folgen haben. In Silverstone 1999 vergaß ein Ferrari-Mechaniker die Bremse zu entlüften. Das Resultat war ein Unfall und ein gebrochenes Bein von Michael Schumacher. Deshalb müssen die Formel-1-Mechaniker auch unter Zeitdruck konzentriert arbeiten.

"Lewis ist im Auto gesessen und hat das Team die Arbeit erledigen lassen", lobt Whitmarsh. "Er hat sich auf seinen Start konzentriert, während das Heck seines Autos zerlegt wurde. Es war gut, dass er ruhig und fokussiert geblieben ist. Es ist sehr wichtig, das Verfallen in den Panikmodus zu verhindern. Normalerweise, wenn du ein Auto in so kurzer Zeit zerlegen musst, rechnest du damit, dass du nicht rechtzeitig rauskommst. Einige Minuten später hatte er einen guten Start und wir genossen eine Doppelführung."

"Je länger sie es versuchten, desto größer wurden die Sorgenfalten bei allen." Lewis Hamilton

Als am Heck gearbeitet wurde, wusste Hamilton nicht genau, was eigentlich los war. "Wirklich nicht, nein. Das Auto sprang einfach nicht an. Ich war sehr, sehr neugierig. Es ist in der Vergangenheit schon ein paar Mal nicht gleich angesprungen, daher dachte ich erst, da sei nichts Gröberes. Aber je länger sie es versuchten, desto größer wurden die Sorgenfalten bei allen."

Vollstes Vertrauen in die Mechaniker

"Ich konnte sehen, dass alle ihr Bestes gaben, um die Situation zu lösen, also wollte ich nicht dauernd Fragen stellen und mich erkundigen, was los ist. Ich habe nur gefragt: 'Wie lange noch, bis die Boxengasse schließt?' Am Funk war sicher ohnehin schon die Hölle los, auch ohne dass ich Stress mache. Es waren noch sechs Minuten, also blieb ich ganz entspannt. Ich war so entspannt, weil ich vollstes Vertrauen in die Jungs habe. Ich hielt es nicht für ein großes Problem, aber es war schon am Limit. Wie lange hatten wir eigentlich noch?"

Eine halbe Minute vor Ablauf der Zeit fuhr Hamilton hinaus. Wäre sich das nicht ausgegangen, hätte er das Rennen aller Voraussicht nach nicht gewonnen und Sebastian Vettel wäre in dieser Saison weiterhin unbesiegt. "30 Sekunden, ja. Als ich hinausfuhr, war ich ein bisschen nervös, dass die Ampel gerade in dem Moment umspringen würde, wenn ich dort ankomme."

"Es war komisch, so spät rauszufahren, denn ich war zu dem Zeitpunkt der Einzige auf der Strecke. Dann war es für die Jungs ein hektischer Weg in die Startaufstellung, aber sie leisten immer professionelle Arbeit, sind cool geblieben. Nur deswegen sitze ich jetzt als Sieger hier."