Patrese spricht Klartext: "Mansell war ein Jammerer"

Ricardo Patrese erzählt, mit welchen Psychotricks sein Ex-Williams-Teamkollege Nigel Mansell gegen ihn vorging und warum dieser nicht zur Topliga zählt

(Motorsport-Total.com) - Nigel Mansell hat in der Formel 1 einen ambivalenten Ruf. An guten Tagen konnte der Brite, der 1992 nach vielen Anläufen endlich Weltmeister wurde, über sich hinauswachsen, an schlechten mutierte er zur jammernden "Drama-Queen". Das bestätigt nun auch sein ehemaliger Williams-Teamkollege Ricardo Patrese gegenüber 'Motorsport.com': "Es besteht kein Zweifel daran, dass er manchmal ein ziemlicher Jammerer war. Das ist vielen auf die Nerven gegangen, mir war es aber egal. Ich mochte ihn, er war ein netter Kerl."

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Der sechsfache Grand-Prix-Sieger Patrese nimmt sich kein Blatt vor den Mund

Auch vor grenzwertigen Psychotricks schreckte Mansell laut Patrese nicht zurück. Kein Wunder, schließlich musste der aus der Arbeiterklasse stammende Brite in den 1980er Jahren bei Williams an der Seite des dreifachen Weltmeisters Nelson Piquet selbst erfahren, was es heißt, von seinem Teamkollegen regelmäßig ausgetrickst zu werden. Patrese erinnert sich: "Bei den Debriefings habe ich jede kleinste Information stets offen auf den Tisch gelegt, doch später habe ich herausgefunden, dass Nigel und sein Ingenieur David Brown das nicht taten. Sie verwirrten mich mit Informationen, die nur Nigel und nicht mir helfen würden - das war etwas schade."

Mansell hatte bei Williams ganz klar die Nummer-eins-Position inne, doch 1991 - im ersten gemeinsamen Jahr - überraschte Patrese mit einem tollen Saisonstart, während sein Teamkollege immer wieder technische Probleme mit seinem Auto hatte. Darunter litt Mansells Ego, meint der Italiener: "Ich habe alle überrascht und war konstant schneller als Nigel, damit hatte er ein großes Problem. Er fragte ständig welches Setup und welche Reifen ich verwende und so weiter. Er konnte nicht verstehen, wieso ich viel schneller bin und das traf ihn wirklich hart."

Wie Mansell bei Williams bevorteilt wurde

Doch dann erfing sich Mansell und siegte in Frankreich und in Großbritannien - das reichte aus, um eine Stallorder herbeizuführen: "Patrick Head teilte mir nach dem britischen Grand Prix mit, dass wir in der Weltmeisterschaft auf Nigel setzen. Ich akzeptierte das, er hatte zwei Rennen am Stück gewonnen und holte auf Ayrton Senna auf, der in der Weltmeisterschaft führte. Es war hart, doch er hatte es offensichtlich in seinem Vertrag, was konnte ich also tun?"

"Nigel und sein Ingenieur verwirrten mich mit Informationen." Ricardo Patrese

Auch bei den Testfahrten vor der Saison 1992 zeigte sich die teaminterne Zwei-Klassen-Gesellschaft: Während Patrese und Testpilot Damon Hill alle Wintertests fuhren, durfte sich Mansell im sonnigen Florida auf die Saison vorbereiten. Es war das Jahr, in dem er schließlich Weltmeister wurde - Patrese hatte dem "Löwen", wie er von seinen Fans genannt wurde, weniger entgegenzusetzen, als im Jahr davor.

Patrese kennt die Gründe: "Als 1992 die vielen Fahrhilfen kamen, darunter vor allem die Traktionskontrolle und die aktive Höhenverstellung, da war das Gefühl verschwunden, das ich für ein Auto haben musste um schnell zu sein. Weil aber Nigel mehr Kraft in den Armen hatte, konnte er mit dem FW14B mehr Geschwindigkeit durch die Kurven mitnehmen - er warf das Auto aggressiver um den Kurs. Das war der schnellste Weg und deshalb wurde er Weltmeister."

Mansells Egotripps

Der Bolide aus der Feder von Stardesigner Adrian Newey wurde damals gemeinhin als das schnellste Rennauto der Formel 1 angesehen. Gegen die technisch überlegenen Williams-Boliden fand nicht einmal Spitzenpilot Ayrton Senna im McLaren ein Rezept. Und dennoch war Mansells Ego größer als das Auto, erinnert sich Patrese: "Nigel war ein Charakter. Ich musste immer lachen, als er die Leistung unseres Autos während der Saison heruntermachte, denn jeder wusste, wie gut das Auto war. Und dennoch sagte er ständig: 'Ja, das Auto ist schnell, doch das meiste kommt von mir'. Natürlich stimmte das, doch es gab keinen Zweifel daran, wie gut das Auto war - jeder konnte es sehen. Er suchte nach Aufmerksamkeit, die er dann bekam. Dann nährte er diese Aufmerksamkeit bis zur Schmerzgrenze."

"Er war ein guter Fahrer, aber nicht so gut wie Senna, Prost oder Schumacher." Ricardo Patrese

Dabei zählt Patrese seinen ehemaligen Teamkollegen keineswegs zu den besten Piloten der Formel 1: "Er war ein guter Fahrer, aber nicht so gut wie Senna, Prost oder Schumacher. Bei Nigel war es so: Wenn das Auto schnell war, dann war er schnell, doch wenn es langsam war, dann war er auch langsam. Ayrton war mit jedem Auto schnell. Er konnte mit dem Auto Dinge anstellen, die keiner von uns hinkriegte. Und viel wichtiger war, dass er Probleme aus dem Cockpit verdrängen konnte und sich so voll auf das Fahren konzentrierte - das konnte Nigel nicht. Wenn es für ihn lief, dann war er herausragend, doch von dem Moment an, wo dies nicht der Fall war, ließ er seinen Kopf hängen. Und so war es mit seinen Leistungen."

Der beste Beweis für Mansells Leistungsschwankungen war die Art und Weise, wie sich dieser nach einigen dürftigen Rennen im enttäuschenden McLaren-Boliden aus der Formel 1 verabschiedete. "Wir haben all das 1995 gesehen", sagt Patrese. "Er verließ damals McLaren und kehrte dem Sport wieder einmal den Rücken zu."