• 27.03.2010 13:29

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Schumacher: Die Fische beißen noch nicht!

Die Analyse: Wie viel Michael Schumacher noch auf Nico Rosberg fehlt und warum er sich gleich mit zwei Ex-Weltmeistern angelegt hat

(Motorsport-Total.com) - Bahrain war also keine Eintagsfliege: Nico Rosberg stellte im heutigen Qualifying zum Grand Prix von Australien in Melbourne gegen Michael Schumacher auf 2:0 und scheint sich damit langsam als schnellerer Mann im Mercedes-Team zu etablieren, obwohl der siebenfache Weltmeister offenbar immer besser in Schuss kommt.

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher und Fernando Alonso

Mit Fernando Alonso wechselte Michael Schumacher ein ernstes Wörtchen

Schumacher ließ im abschließenden Freien Training am Vormittag mit der drittbesten Zeit aufhorchen und war damit schon zum zweiten Mal hintereinander schneller als Rosberg, der sich im Setup-Dschungel verirrt hatte. Doch rechtzeitig zum Qualifying stellte der Youngster die gewohnte Hackordnung wieder her und setzte sich in den drei Abschnitten um 0,563, 0,083 beziehungsweise 0,043 Sekunden durch. Immerhin: Schumacher war deutlich näher dran als noch vor zwei Wochen.#w1#

Sektorenzeiten sprechen für Rosberg

"Man sieht ja, dass er näher an Nico dran ist", analysiert Testfahrer Nick Heidfeld vom Beobachterposten aus. "Er war hier ein bisschen zufriedener mit der Balance." Doch die Sektorenzeiten in Q3 sprechen eine andere Sprache: Rosberg war im ersten und dritten Sektor um je zwei Zehntelsekunden schneller als sein Teamkollege, büßte lediglich im Mittelsektor eine Zehntelsekunde ein - wegen eines Fahrfehlers, wie er selbst sagt.

"Leider habe ich einen Fehler gemacht und mindestens fünf Zehntel verschenkt, sonst wäre ich sicher Vierter gewesen", ärgert sich der 24-Jährige, und sogar Schumacher selbst gesteht ohne Umschweife: "So nahe, wie es aussieht, bin ich nicht an ihm dran. Wenn man sich die Sektorenzeiten anschaut, dann hätte Nico um einiges schneller fahren können." Andererseits ist sich der 41-jährige Routinier sicher, dass auch für ihn selbst mehr drin gewesen wäre.

Michael Schumacher

Der aktuelle MGP W01 weist eine natürliche Tendenz zum Untersteuern auf Zoom

"Das Auto war heute Morgen sehr gut, aber dann haben wir etwas geändert, was sich nicht positiv ausgewirkt hat. Zusätzlich hatte ich kleine Probleme im Qualifying, die nicht geholfen haben", verweist Schumacher auf seine Scharmützel mit den Weltmeistern Lewis Hamilton und - im entscheidenden Run des dritten Abschnitts - Fernando Alonso. Seinen potenziellen Ferrari-Erben nahm er sich unmittelbar nach Ende der Session sogar zur Brust.

"Auf meiner letzten Runde hat er mich aufgehalten und ich habe ihn gefragt, ob ihn sein Team informiert hat. Er behauptet nicht. Er war auf seiner In-Lap und hatte wahrscheinlich andere Sorgen, als in den Spiegel zu schauen, aber andererseits haben wir genau darüber im Fahrerbriefing gesprochen und er war einer derjenigen, die darauf am meisten Wert gelegt haben. Daher wollte ich wissen, ob er vom Team informiert wurde oder nicht", so der Comeback-Superstar.

Wie viel er durch Alonsos Blockade verloren hat? "Ich hatte eine persönliche Bestzeit im zweiten Sektor. Keine Ahnung, wie der dritte Sektor gewesen wäre", entgegnet Schumacher achselzuckend und fügt an: "Anschließend hatte ich eine Unterhaltung mit Charlie Whiting (FIA-Rennleiter; Anm. d. Red.) darüber, denn ich muss ja auch wissen, was die Richtlinien sind, schließlich haben sich die seit 2006 vielleicht verändert. Da wollte ich mich einfach erkundigen, was noch okay ist und was nicht."

Brawn unterstellt Alonso keine Absicht

"Ich glaube nicht", relativiert Teamchef Ross Brawn die Aufregung, "dass jemand absichtlich einen Gegner blockiert hat, aber es ist sehr schwierig, den Abstand zum Hintermann einzuschätzen, wenn da einer daherkommt. Insofern sollte es da eine gewisse Toleranz geben, aber man muss die Leute auch daran erinnern, wenn sie etwas falsch gemacht haben. Michael hätte schneller sein können. Ob es einen großen Unterschied gemacht hätte, weiß ich nicht, aber es war eine anständige Runde."

Was seine eigene Konkurrenzfähigkeit angeht, sieht Schumacher Fortschritte: "Die Strecke ist vertraut, das Auto lerne ich besser kennen, also ja, ich komme mehr und mehr rein. Das wird schon", sagt er und betont, dass Melbourne eine "außergewöhnliche Strecke" sei, deren Erkenntnisse man nicht auf den Rest der Saison umlegen könne. Doch das Glänzen in seinen Augen lässt vermuten: Schumacher hat sich noch lange nicht aufgegeben.

¿pbvin|512|2571||0|1pb¿Das ist Rosberg völlig klar: "Er hat ja selbst gesagt, dass er in Bahrain noch ein bisschen eingerostet war. Er steigert sich, aber das ist gut, denn dadurch pushen wir uns gegenseitig. Ich weiß, dass es diese Saison sehr schwierig für mich wird, ganz klar. Ich genieße aber den Kampf. Das ist sehr interessant, eine große Herausforderung. Für mich ist da nichts Negatives im Spiel - und für das Team ist es auch gut, weil wir es gemeinsam voranbringen. Das wird uns in den nächsten Wochen helfen."

Brawn glaubt ebenfalls, dass sich Schumacher noch steigern wird: "Ich bin nicht überrascht von Michaels Leistung, denn es braucht ein paar Rennen, um wieder reinzukommen. Im Vergleich zu Bahrain hat er schon einen großen Fortschritt gemacht. Sein Problem ist, dass er nicht testen darf und die Fortschritte am Rennwochenende machen muss. Dass Nico schnell ist, wussten wir, deswegen haben wir ihn ja unter Vertrag genommen. Unsere Fahrer sind sehr gut."

Im Fahrerlager wird gemunkelt: Schumacher kommt mit der "neuen" Formel 1 nicht zurecht, weil die schmäleren Vorderreifen und das hohe Gewicht in Kombination die Tendenz zum Untersteuern massiv verstärkt haben. Das sei Gift für den Fahrstil des siebenfachen Champions, der ein schwänzelndes Heck mehr liebt als eine schiebende Vorderachse, während Rosberg mit dem derzeitigen Fahrverhalten des MGP W01 ganz gut umgehen kann.

Fahrstile nicht fundamental unterschiedlich

Aber: "Ich halte diese Darstellungen für übertrieben", räumt Brawn mit solchen Spekulationen auf und verrät: "Nico ist heute im Qualifying mit Michaels Setup gefahren. Es nicht so, dass Nico ein Auto am einen Ende der Skala will und Michael genau das Gegenteil - das stimmt einfach nicht. Ich habe beobachtet, dass beide von den gleichen Dingen profitieren. Im Moment haben wir ein Auto, das für die Spitze nicht präzise genug ist."

Zumindest bestätigt der Brite aber, dass breitere Vorderreifen Schumacher wohl besser schmecken würden: "Die neuen Vorderreifen sind sehr schwach und wir haben noch nicht das richtige Paket, um das zu kompensieren. Daher haben wir ein bisschen zu viel Untersteuern und ein bisschen zu wenig Präzision", sagt Brawn und fügt an: "Wenn wir das lösen, wird es Nico und Michael helfen, nicht nur einem unserer Fahrer."


Fotos: Michael Schumacher, Großer Preis von Australien, Samstag


Kritiker fürchten: Wenn das zu lange dauert, könnte Schumacher schnell die Lust verlieren. Die Miene des 41-Jährigen nach dem Qualifying in Bahrain sprach Bände - und wenn er sich mit Alonso und Hamilton anlegt, ist das auch kein Zeichen für ein völlig in sich ruhendes Nervenkostüm. Schumacher-Anhänger halten dagegen, dass derartige Aktionen lediglich beweisen, dass immer noch das alte Feuer in ihm lodert. Wir überlassen es dem Leser, sich selbst ein Bild zu machen.

Brawn hat keine Angst, dass ohne den Erfolg die Lust verloren gehen könnte: "Ich bin ein begeisterter Fischer. Wenn du haufenweise Fische aus dem Wasser ziehst, dann macht es irgendwann keinen Spaß mehr", verwendet er eine Metapher. "Der Spaß kommt mit der Herausforderung, wenn man sich etwas erarbeiten muss. Ich glaube nicht, dass Michael Spaß hätte, wenn er sich in das überlegene Auto sitzen und auf Anhieb den Titel gewinnen würde."

Und auch Schumacher selbst klingt recht glaubwürdig, wenn er das Teamwork mit Rosberg lobt: "Tatsache ist, dass wir als Team sehr gut zusammenarbeiten, um das Auto voranzubringen und zu verbessern", so der Superstar, für den so eine Situation nicht selbstverständlich ist: "Das war nicht immer der Fall, denn ich hatte auch schon Teamkollegen mit ganz anderen Bedürfnissen. Dann ist es schwierig, aber wir sind auf einer Linie. Das ist für alle sehr gut."