• 01.11.2009 19:48

  • von Dieter Rencken

Howett-Interview: Kobayashi nun Topkandidat

Toyota-Teampräsident John Howett spricht über Abu-Dhabi-Überraschungsmann Kamui Kobayashi, dessen Chancen für 2010 und die Saison 2009

(Motorsport-Total.com) - Es war fast schon Majestätsbeleidigung, als Kamui Kobayashi heute beim Grand Prix von Abu Dhabi nach Jenson Buttons Boxenstopp rotzfrech und doch völlig abgeklärt am Weltmeister vorbeiging. Das Duell der beiden war insofern besonders brisant, als sich Button bereits in São Paulo über den kompromisslosen Japaners aufgeregt hatte.

Titel-Bild zur News: John Howett

John Howett ist schwer beeindruckt von der Leistung von Kamui Kobayashi

Kobayashi, ursprünglich als Ersatzmann von Timo Glock in die Formel 1 gestoßen, lieferte heute eine tadellose Vorstellung ab, war bester Einstopper im gesamten Feld und kam trotz des verlorenen Qualifyingduells um sechs Sekunden vor seinem deutlich höher eingeschätzten Teamkollegen Jarno Trulli ins Ziel. Damit scheint er die Fahrkarte für die Grand-Prix-Saison 2010 gelöst zu haben, wie Teampräsident John Howett im Interview mit 'Motorsport-Total.com' verrät.#w1#

Kobayashis Chancen steigen

Frage: "John, immerhin ein paar Punkte. Kannst du das Rennen aus eurer Sicht zusammenfassen?"
John Howett: "Was Jarno angeht, bin ich enttäuscht. Er hatte einen recht guten Start, verteidigte sich gut, hatte dann aber im ersten Stint von den Reifen her zu wenig Pace. Kamui hatte einen guten Start, einen sehr guten ersten Stint, einen sehr guten zweiten Stint. Er setzte auch die richtigen Manöver, um an Räikkönen und Button vorbeizukommen, die ihn wahrscheinlich aufgehalten hätten. Er ist ein sehr starkes Rennen gefahren."

Frage: "Ist er schon bereit für eine ganze Saison?"
Howett: "Es sieht nach diesen zwei Rennen so aus. Hinsichtlich der Pace und des Reifenmanagements hat er sich hier gegenüber Brasilien gesteigert. Er lernt sehr schnell. Wir sind beeindruckt. Was uns besonders gefällt, ist sein Kampfgeist. Er lässt sich von niemandem einschüchtern. Das ist positiv."

"Wir müssen Kamui ernsthaft in Betracht ziehen." John Howett

Frage: "Das klingt so, als hättet ihr ein Cockpit schon vergeben?"
Howett: "Es sieht fast so aus, ja. Wir müssen Kamui ernsthaft in Betracht ziehen. Er hat eine sehr starke Leistung gezeigt."

Frage: "Überrascht dich das nach seinen doch eher bescheidenen Ergebnissen in der GP2?"
Howett: "Das war der Grund, weshalb wir in der Vergangenheit etwas zögerlich waren. Uns war immer klar, dass er einen sehr guten Kampfgeist hat - das hat er schon in seiner ganzen Karriere gezeigt. Aber wenn jemand in der GP2 nicht so konkurrenzfähig ist, schwingt ein gewisses Risiko mit. Vielleicht zeigt uns dieses Beispiel aber, dass wir alle mutiger sein sollten, was die Fahrerentscheidungen angeht. Vielleicht sind wir da in der Vergangenheit zu sehr auf Nummer sicher gegangen."

Frage: "Was kannst du zu eurer Fahrersituation generell sagen?"
Howett: "Aus Teamsicht haben wir eine Vorstellung davon, wohin wir uns fahrerseitig orientieren möchten. Ich habe derzeit keine Informationen, die signalisieren, dass wir nächstes Jahr nicht mehr hier sein werden. Ich bin sehr entspannt, was die Fahrersituation angeht. Es gibt mehrere Fahrer, an denen wir interessiert sind. Wenn wir die nicht bekommen, dann wissen wir, dass es andere Fahrer gibt, die wir ins Auto setzen können. Es ist ein entspanntes Wartespiel."

Warten auf die Vorstandsentscheidung

Frage: "Aber ihr müsst bis Mitte November warten, um Informationen über die Zukunft zu bekommen, nicht wahr?"
Howett: "Ja. Normalerweise gibt es bei Toyota immer ein Meeting, bei dem alle Motorsportaktivitäten bilanziert werden. Das wird im November passieren. Danach wissen wir hoffentlich genau, was wir tun können."

Frage: "Du sagst, dass ihr wisst, was ihr fahrerseitig machen wollt. Kannst du so entspannt sein, weil ihr jetzt auch einen schnellen Japaner habt? Wartet ihr noch auf Kimi Räikkönen oder andere Topfahrer?"
Howett: "Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen. Wir haben bestätigt, dass wir Robert haben wollten, und wir haben auch bestätigt, dass wir an Kimi interessiert sind. Es hat den Anschein, dass er an uns weniger interessiert ist. Wir müssen abwarten. Aber es gibt viele Fahrer, die noch nicht fest unter Vertrag sind. Wir haben einen genauen Plan, was wir wollen, und wir werden jetzt erst einmal abwarten."


Fotos: Toyota, Großer Preis von Abu Dhabi, Sonntag


Frage: "Glaubst du, dass Kamui Kobayashis starke Leistungen die Entscheidung in Japan beeinflussen könnte?"
Howett: "Ich weiß es nicht, aber es kann nur positiv sein. Er ist ein Produkt des Toyota-Fahrerprogramms, er ist Japaner und er hat in zwei Rennen ein extrem gutes Ergebnis geliefert."

Frage: "Kazuki Nakajima ist auch Teil eures Fahrerprogramms. Kannst du zu ihm etwas sagen?"
Howett: "Ich finde nicht, dass er so einen guten Job gemacht hat wie Kamui. Unterm Strich brauchen wir Fahrer, die die Ergebnisse liefern. Wir brauchen zwei Autos, die Punkte sammeln können. Es gibt Leute, die sagen, dass er sehr nahe an Kamui dran ist, aber im Moment ist das überhaupt nicht offensichtlich."

Frage: "Wann rechnest du mit der Fahrerbekanntgabe?"
Howett: "Ich denke, im November."

Erster Sieg: Saisonziel verpasst

Frage: "Wenn du das Rad der Zeit an den Saisonbeginn, zum Launch in Portimão, zurückdrehst, was geht dir dann durch den Kopf?"
Howett: "Ich schätze, die große Enttäuschung ist, dass wir kein Rennen gewonnen haben. Das muss man zugeben. Wir sind gut gestartet, hatten ein starkes Saisonende, hatten Mitte der Saison Höhen und Tiefen. Das kann man wohl von allen Teams sagen. Wahrscheinlich sind diese Schwankungen eine spezielle Eigenschaft dieser Saison. Es war eben die erste Saison mit den neuen Regeln. Wir wissen, wo wir in Sachen Performance stehen, und wir können mit dem Erreichten ganz zufrieden sein."

"Als Rennteam existierst du, um zu gewinnen." John Howett

Frage: "Es gab auch in der Vergangenheit manchmal gute Jahre, aber nie den großen Durchbruch. Wie wertest du diese Saison? Könnt ihr erhobenen Hauptes sein?"
Howett: "Als Rennteam existierst du, um zu gewinnen. Die Leute verstehen manchmal aber nicht, wie schwierig es ist, ein zusammengeschweißtes Team aus allen Daten, dem menschlichen Kapital, dem Wissen aufzubauen. Ich glaube, dass wir diesen Status jetzt erreichen. Das ist die Stärke vieler Topteams, die konstant stark sind."

Frage: "Also glaubst du, dass es 2010 weiter aufwärts gehen wird?"
Howett: "Ich denke schon. Wir hatten unsere Ups und Downs zu Beginn im hinteren Bereich des Feldes, aber inzwischen haben wir uns in der Mitte konsolidiert. Der nächste Schritt ist, Ups und Downs im vorderen Feld zu haben."

Frage: "Habt ihr die 24 Stunden von Le Mans noch auf dem Radar?"
Howett: "Unser Team konzentriert sich auf die Formel 1. Ich weiß nicht, wo wir als Unternehmen stehen, aber in der aktuellen wirtschaftlichen Situation gehen die meisten Hersteller sehr konservativ vor, was neue Motorsportaktivitäten angeht."

Frage: "Wie siehst du sich die wirtschaftliche Situation entwickeln, was Sponsoren und so weiter angeht? Ist es immer noch schwierig?"
Howett: "Ich glaube, es gibt interessierte Leute. Wenn man eine Strecke wie diese sieht und das Ausmaß des Investments in Ländern wie diesen, dann liegt es auf der Hand, dass es Möglichkeiten gibt, Sponsoren und Firmen oder Marken zu finden, die ihren globalen Bekanntheitsgrad vergrößern wollen. Mein Eindruck ist, dass es möglich ist und dass es viele Chancen gibt."