Nürburgring: Sieg für Alonso im Chaos-Grand-Prix

Fernando Alonso gewann bei gemischten Wetterverhältnissen am Nürburgring vor Massa und Webber - Führungskilometer für Winkelhock - 13 Autos im Ziel

(Motorsport-Total.com) - Jackie Stewart hat den Nürburgring "Grüne Hölle" getauft - und heute wurde die 5,148 Kilometer lange Strecke dank des berüchtigten Eifelwetters diesem Ruf voll gerecht! Das wahrscheinlich kurioseste Rennen der vergangenen Jahre hatte wirklich alles zu bieten, was sich der Formel-1-Fan wünschen kann - inklusive einer Sternstunde für einen Lokalmatador.

Titel-Bild zur News: Siegerehrung in Deutschland 2007

Das Podium: Massa bedröppelt, Alonso glücklich, Webber angenehm überrascht

Markus Winkelhock (Spyker-Ferrari) schrieb in seinem ersten Grand Prix nämlich Geschichte, als er in der völlig chaotischen Anfangsphase das Feld für einige Runden anführte und damit etwas erreichte, was seinem 1985 bei einem Rennunfall im kanadischen Mosport verstorbenen Vater Manfred immer verwehrt geblieben ist: Führungsrunden in der Formel 1. Die Winkelhock-Dynastie darf also ein weiteres stolzes Kapitel in ihr Motorsportbuch schreiben.#w1#

Sternstunde für Winkelhock

Doch der Reihe nach: Während der Aufwärmrunde, die noch alle mit der harten Trockenmischung von Bridgestone bestritten, zogen graue Wolken über dem Nürburgring auf. Das Spyker-Team bekam in jenem Moment einen Anruf aus dem benachbarten Bitburg, wo es bereits regnete - also holte man Winkelhock zum Service, um ihn mit Intermediates auszustatten. Der Deutsche jagte dann dem Feld von der Box aus hinterher.

An der Spitze münzte Kimi Räikkönen (Ferrari) seine Pole Position in die Führung um, Felipe Massa (Ferrari) ging an Fernando Alonso (McLaren-Mercedes) vorbei und war damit Zweiter. Auf Platz vier tauchte nach einem Raketenstart aus der fünften Reihe schon Lewis Hamilton (McLaren-Mercedes) auf, doch der der Brite wurde von Robert Kubica leicht touchiert, der sich im Zuge einer teaminternen Kollision mit dem leicht übermütigen Nick Heidfeld (BMW Sauber F1 Team) drehte.

Hamilton fiel mit angeschlagenem Auto sofort zurück, doch dann begann das totale Chaos: Der Reihe nach drehten sich Jenson Button (Honda), Hamilton, Adrian Sutil (Spyker-Ferrari) und Nico Rosberg (Williams-Toyota) in der gleichen Kurve von der Strecke - binnen weniger Sekunden. Auch Scott Speed und Vitantonio Liuzzi (Toro-Rosso-Ferrari) erwischte es dort wegen des strömenden Regens, so dass die FIA aus Sicherheitsgründen das Safety-Car auf die Strecke schicken musste.

Räikkönen ein Opfer der Bedingungen

Am Ende der ersten Runde wollte der führende Räikkönen die Box ansteuern, doch der Finne rutschte auf dem nassen Asphalt neben der Boxenmauer vorbei und musste eine weitere Runde drehen! Hinter ihm kamen alle anderen rein, um Schlechtwetterreifen aufziehen zu lassen - und dadurch ging völlig unbemerkt Winkelhock in Führung, der schon eine halbe Minute Vorsprung hatte, als er vom Safety-Car eingebremst wurde.

Lewis Hamilton

Chaos im Regen: Lewis Hamilton am Haken - und dann wieder im Rennen! Zoom

Weitere kuriose Szenen der ersten vier Runden waren, als Hamilton per Kran aus dem Kiesbett gehoben wurde, dann aber wieder weiterfuhr (!), und es natürlich reihenweise zu Ausrutschern kam. Die Piloten klagten über unfahrbare Verhältnisse, so dass der Europa-Grand-Prix nach einer Runde hinter dem Safety-Car und insgesamt vier Umläufen abgebrochen werden musste - im Sinne der Sicherheit die einzig richtige Entscheidung.

Fünf Ausfälle im ersten Rennabschnitt

Als Winkelhock als Führender vor Massa, Alonso, Mark Webber, David Coulthard (beide Red-Bull-Renault), Heikki Kovalainen (Renault), Räikkönen und Alexander Wurz (Williams-Toyota) auf dem Grid stehen blieb, waren fünf Piloten schon aus dem Rennen: Button, Sutil, Rosberg, Speed und Liuzzi. Hamilton war zwar noch im Rennen, hatte aber bereits eine Runde Rückstand. Zumindest konnte aber in der Pause der Folgeschaden seiner Kollision behoben werden.

Das Feld ging dann hinter dem Safety-Car, das für zwei Runden draußen blieb, wieder auf die Strecke, wobei es noch einmal chaotisch zuging: Hamilton wurde auf Anweisung der Rennleitung am Safety-Car vorbeigewinkt, durfte alle Konkurrenten überholen, schloss aber nicht wieder am hinteren Ende des Feldes auf, sondern ging auf volles Risiko und steuerte die Box an, um Trockenreifen aufziehen zu lassen - was gleich einmal zu einem Dreher führte.

Heidfeld nutzte die Gelegenheit ebenfalls, um von Full-Wets auf Intermediates zu wechseln, ehe dann in der achten Runde das Safety-Car von der Strecke ging und das Rennen wieder freigegeben wurde. Winkelhock war für die Topfahrer natürlich bestenfalls Kanonenfutter und wurde sukzessive nach hinten durchgereicht. Später wurde sein sensationelles Formel-1-Debüt dann unglücklicherweise von einem Motorschaden beendet.

Spannende Rennaction im Mittelfeld

In der nächsten Phase des Rennens kam es zu mehreren Überholmanövern auf der Strecke, unter anderem eroberte Webber Platz drei von Coulthard, während Räikkönen seinen finnischen Landsmann Kovalainen niederfightete und Fünfter war. Vorne setzten sich Massa und Alonso ein wenig von den Red-Bull-Renaults ab, doch in Runde zwölf wurden dann wieder die Boxenstopps eröffnet, weil alle zurück auf Trockenreifen wechselten.

Markus Winkelhock

Sternstunde: Markus Winkelhock als Führender im Europa-Grand-Prix Zoom

Den besten Riecher hatten dabei Räikkönen und Wurz, die eine Runde vor allen anderen reinkamen und dadurch ein wenig Boden gutmachten. Durch die Stopps kam Coulthard zu einer Führungsrunde, als alles wieder bereinigt war führte aber Massa vor Alonso, Räikkönen, Webber, Wurz, Kovalainen, Coulthard und Kubica. Ralf Schumacher (Toyota) war Neunter, Heidfeld Zehnter und Hamilton mit anderthalb Minuten Rückstand Letzter.

Massa, Alonso und Räikkönen souverän

Das Spitzentrio setzte sich in der Folge deutlich vom Rest ab, wobei Massa Alonso und Räikkönen ein paar Sekunden aufbrummen konnte. Dahinter griff sich der leicht betankte Kovalainen in der 19. Runde Wurz vor der ersten Kurve, wenig später krachte es zwischen Schumacher und Heidfeld: "Quick Nick" setzte sich in der Zielkurve etwas optimistisch neben seinen Landsmann, beförderte diesen ins Aus und entschuldigte sich in der Runde danach mittels Handzeichen in Richtung Kiesbett.

Kovalainen kam in der 27. Runde als Erster an die Box, Renault war nämlich das einzige Team, das auf zwei reguläre Nachtankvorgänge setzte - alle anderen kamen viel später rein und konnten dann in einem Rutsch durchfahren. Indes entwickelte sich zwischen Webber und Wurz ein Duell um Platz vier, Webber konnte jedoch den längeren Stint fahren und blieb dadurch recht deutlich vorne. Von hinten drohte diesem Duo zu keinem Zeitpunkt Gefahr.

Der munter drauflos fahrende Hamilton sorgte zwischenzeitlich für ein Highlight, als er sich im Hatzenbachbogen außen an Fisichella vorbeischob und dabei keinerlei Anstalten machte, vom Gaspedal zu gehen. Anschließend nahm die Dramatik wieder zu: Erst rollte Räikkönen mit Verdacht auf Hydraulikschaden aus, dann kam Alonso in der 37. Runde an die Box, der führende Massa einen Umlauf später in der 38. Abstand zwischen den beiden vor dem letzten Stint: 7,6 Sekunden.

Furioses Finale von Alonso

Alonso begann daran ein wenig zu knabbern, Massa schien die Situation aber unter Kontrolle zu haben. Zittern musste der Ferrari-Pilot erstmals, als er bei Start und Ziel einer Radkappe ausweichen musste, die Fisichella verloren hatte - und dann kam noch einmal der Regen: Ungefähr zehn Runden vor Schluss machte der Himmel über der Eifel noch einmal seine Pforten auf und verlieh dem Grand Prix für die Endphase unglaubliche Würze.

Mark Webber vor Alexander Wurz

Mark Webber und Alexander Wurz fighteten um den dritten Podestplatz Zoom

Alonso nutzte diese Gelegenheit, um noch einmal alles zu riskieren, arbeitete sich an Massa heran und überholte den Brasilianer nach dem Wechsel aller Piloten auf Intermediates mit einem mutigen Manöver im zweiten Sektor, bei dem es zu einer leichten Berührung kam. Der Doppelweltmeister setzte sich daraufhin sofort mühelos von seinem Verfolger ab und brachte schlussendlich 8,1 Sekunden Vorsprung über die Ziellinie.

Wortgefecht zwischen Alonso und Massa

Vor der Siegerehrung lieferten sich die beiden im Parc Fermé in italienischer Sprache ein heißes Verbalduell - offenbar war Massa mit der aggressiven Fahrweise des Siegers überhaupt nicht einverstanden. Thematisiert wurde dabei auch ihr Scharmützel am Start in Barcelona sowie im Freien Training am Freitag - Freunde werden Alonso und Massa in diesem Leben wohl eher nicht mehr. Speziell Alonso hatte die Szene aber rasch abgehakt, als er den Siegerpokal überreicht bekam.

Um Platz drei entfachte noch ein heißes Duell zwischen Webber und Wurz: Letzterer trumpfte im Regen groß auf, nagte Zehntel um Zehntel von seinem Vier-Sekunden-Rückstand weg und tauchte in der letzten Runde großformatig im Rückspiegel des Red-Bull-Renault auf. Webber leistete sich in der NGK-Schikane unter Druck einen kleinen Fehler, Wurz probierte es außen in der Zielkurve, musste aber zurückstecken. Dennoch: Eine Superleistung und fünf Punkte für den Österreicher.

Coulthard hielt bis zum Schluss die BMW Sauber F1 Team Piloten in Schach, die intern noch Positionen tauschten - Heidfeld wurde Sechster, Kubica Siebenter. Kovalainen sammelte nur einen einzigen Punkt, weil er der Erste war, der auf Intermediates gewechselt hatte - ein riskanter Poker, der nach hinten losging. Hamilton schrammte am Ende nur um 1,5 Sekunden an Platz acht vorbei und verpasste damit erstmals in seiner Formel-1-Karriere das Podium.

Michael Schumacher Überraschungsgast am Podium

Insgesamt sahen 13 von 22 gestarteten Autos die Zielflagge, darunter nur einer von fünf gestarteten Deutschen. Für die fast 150.000 Zuschauer am Nürburgring gab es dann noch eine ganz besondere Überraschung, als Superstar Michael Schumacher, der im Vorfeld seine eigene Kurve bekommen hatte, bei der Siegerehrung den Konstrukteurspokal an McLaren-Mercedes-Teamchef Ron Dennis übergab.

Ron Dennis und Michael Schumacher

Michael Schumacher überreichte den Konstrukteurspokal an Ron Dennis Zoom

In der Weltmeisterschaft führt damit weiterhin Hamilton, sein Vorsprung ist aber auf zwei Punkte zusammengeschmolzen. Massa ist mit elf Zählern Rückstand Dritter, Räikkönen fehlen weiterhin deren 18. Bei den Konstrukteuren blieb alles beim Alten: McLaren-Mercedes hält Ferrari mit 138:111 in Schach, dahinter folgen das BMW Sauber F1 Team (61), Renault (32), Williams (18) und Red-Bull-Renault (16) auf den Plätzen drei bis sechs.