Bilanz der ersten WTCR-Saison: Vom Auslaufmodell zur Erfolgsgeschichte

Die erste Saison des Tourenwagen-Weltcup war sportlich ein großer Erfolg - Doch der Weg dahin war für die Organisatoren mit Stress und Ungewissheiten gepflastert

(Motorsport-Total.com) - Ende 2017 lag die Tourenwagen-WM (WTCC) am Boden. Drei Jahre drückender Citroen-Dominanz und das für Privatfahrer zu teuer TC1-Reglement hatten ausgereicht, um die einstmals florierende Serie zu erledigen. Nachdem die Serienveranstalter von Eurosport Events das Feld in der Saison 2017 mit Mühe und Not (und einiger finanzieller Unterstützung) bei der Mindestanzahl von 16 Autos gehalten hatten, ging mit Honda das vorletzte Werksteam verloren.

Titel-Bild zur News: Gabriele Tarquini

Der WTCR bot in seiner ersten Saison spannenden Motorsport Zoom

Um der Meisterschaft wieder neues Leben einzuhauchen, musste das Team rund um Serienchef Francois Ribeiro bei einem Mann vorstellig werden, den man bei Eurosport Events nur zu gut kannte: Marcello Lotti. Der Vorgänger von Ribeiro war Anfang 2014 im Streit um die künftige Ausrichtung der WTCC von Bord gegangen und hatte anschließend das TCR-Reglement aus der Taufe gehoben, welches sich rasant zum Erfolgsmodell entwickelte.

Und genau dieses TCR-Reglement war der Rettungsanker für die damalige WTCC. Am 15.11.2017 waren sich Eurosport Events, die TCR-Organisation WSC und der Automobil-Weltverband FIA einig, am 6.12.2017 stand nach der Entscheidung des Motorsport-Weltrats fest: Aus der Tourenwagen-WM (WTCC) wird 2018 der Tourenwagen-Weltcup (WTCR), wo mit TCR-Autos gefahren wird.

Nur vier Monate für die Vorbereitung

Francois Ribeiro

Francois Ribeiro und seine Leute hatten im vergangenen Winter reichlich zu tun Zoom

Doch nun ging die Arbeit für Ribeiro und seine Leute erst richtig los, denn innerhalb weniger Monate mussten sie eine in weiten Teilen neue Meisterschaft auf die Beine stellen. "Ich habe meinem Team damals gesagt: Wir haben nicht viel. Wir müssen einen Kalender aufstellen und ein Feld zusammenbekommen, wobei wir mit Teams und Fahrern sprechen müssen, mit denen wir noch nie zusammengearbeitet haben", erinnert sich Ribeiro im Interview mit 'Motorsport-Total.com'. "Was wir aber haben, ist Erfahrung."

Eine Hypothek war dabei, Außenstehenden die formelle Abstufung von einer FIA-WM zu einem Weltcup zu verkaufen, die unausweichlich war, da das TCR-Konzept auf Kundensport basiert, eine WM aber das Engagement von Herstellern voraussetzt.

"Das war bei der Vorbereitung der ersten Saison eine Unbekannte", gibt Ribeiro zu. "Es war schwer vorherzusehen, wie Sponsoren, vor allem aber die Fans und Zuschauer auf den Wechsel des Status von der Weltmeisterschaft zum Weltcup reagieren. Das war ein große Thema, wir wussten nicht, was uns da erwarten würde."

Abstufung zum Weltcup hat keine negativen Folgen

Doch diese Sorge stellte sich als unbegründet heraus. "Ein Jahr später kann ich sagen, dass Fans und Sponsoren positiver reagiert haben als erwartet", sagt Ribeiro. "Für Hersteller ist es möglicherweise wichtiger, um einen WM-Titel zu fahren. Aber Fahrer und Teams fahren um einen FIA-Titel und sind damit zufrieden." Auch eine gestiegene Berichterstattung und zehn Prozent mehr Zuschauer an den Rennstrecken bestätigen den WTCR-Boss in dieser Ansicht.


Das war die erste WTCR-Saison

Sportlich ging der Plan, das beste aus WTCC und TCR International Series zu vereinen, ebenfalls auf. Denn zum Saisonstart Anfang April im marokkanischen Marrakesch präsentierte der WTCR ein volles Feld mit 25 Autos von sieben verschiedenen Marken und einem Fahrerfeld, welches erfahrene und erfolgreiche Tourenwagen-Piloten mit jungen aufstrebenden Talenten vereinte.

"Bei der offiziellen Präsentation im März in Barcelona und bei den ersten Rennen in Marrakesch habe ich gemerkt, wie viel Arbeit wir in einer relativ kurzen Zeit erledigt haben - es waren ja nur vier Monate", sagt Ribeiro. "Schon damals war mir klar, dass alle Zutaten vorhanden waren, damit die erste Saison des WTCR ein Erfolg wird."

Fahrerfeld wird 2019 noch attraktiver

Und so kam es auch. Die 30 Rennen der ersten Saison wurden von 15 verschiedenen Fahrern gewonnen, alle sieben Marken waren auf der obersten Stufe des Siegerpodiums vertreten. Vor dem Saisonfinale in Macau hatten noch sieben Fahrer mathematische Titelchancen, und am Ende setzte sich im Duell der Veteranen Gabriele Tarquini hauchdünn gegen Yvan Muller durch. Nicht weniger eng ging es bei den Teams zwischen YMR und BRC zu.

Gabriele Tarquini

Alter schützt vor Siegen nicht: Mit 56 Jahren wurde Gabriele Tarquini Champion Zoom

"Promoter einer Meisterschaft zu sein, bei der die Titel nach 30 Rennen durch nur drei Punkte entschieden werden, macht mich sehr stolz", sagt Ribeiro. "Wenn man das mit anderen FIA-Meisterschaften vergleich, wo die Titel teilweise schon weit vor Saisonende vergeben waren, ist das schon ein Privileg. Das zeigt, wie gut der sportliche Wettbewerb war."

Und der könnte 2019 noch besser werden. Mit Lynk & Co bringt die frühere Volvo-Werksmannschaft Cyan Racing eine achte Marke ins Feld, mit dem dreimaligen Tourenwagen-Weltmeister Andy Priaulx, dem zweimaligen WRX-Champion Johan Kristoffersson sowie Augusto Farfus und Nicky Catsburg kommen hochkarätige Fahrer ins Feld.

Und doch kann sich Ribeiro nicht entspannt zurücklehnen, denn der zweijährige Vertrag über die Ausrichtung des WTCR läuft Ende nächsten Jahres aus. "Wir drei Parteien sprechen darüber, wie die Zukunft im Jahr 2020 und darüber hinaus aussehen wird. Wir wollen weiterhin die Spitze einer Pyramide sein, was für die Autohersteller sehr wichtig ist", so Ribeiro. "Aber auch für die Teams, welche die Einsätze finanzieren müssen und letztlich für die Fahrer, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Für sie ist es wichtig zu wissen, wie die Zukunft nach 2019 ausschaut."