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  • 05.03.2015 20:31

  • von Stefan Ziegler

Kolumne: 31 Stunden bis ins Lopez-Land

Redakteur Stefan Ziegler berichtet von seiner Reise zum WTCC-Auftakt in Argentinien und schildert seine Gedanken zur bevorstehenden WTCC-Saison 2015

Titel-Bild zur News: WTCC-Start in Termas de Rio Hondo 2014

Termas de Rio Hondo richtet in diesem Jahr den Auftakt zur Tourenwagen-WM aus Zoom

Liebe Leser,

die WTCC-Saison 2015 beginnt gleich mit dem größten Abenteuer des Jahres. Denn die Reise nach Argentinien ist die mit Abstand längste und entsprechend viel Zeit bleibt auf der Strecke. Den Rekord erzielte in diesem Jahr vermutlich Lada-Fahrer Michail Koslowskii, der von seinem Zuhause in St. Petersburg in Russland ganze 38 Stunden unterwegs war, bis er in Termas de Rio Hondo ankam.

In meinem Fall ging es etwas schneller, aber nicht viel: Von meinem Aufbruch in München bis zu meiner Ankunft am Rennplatz vergingen 31 Stunden. Der Löwenanteil entfiel auf den Langstrecken-Flug von Frankfurt nach Buenos Aires, rund 12.000 Kilometer in fast genau 14 Stunden. Zuvor war ich schon eine Stunde lang von München nach Frankfurt geflogen. Doch erst in Argentinien wird es interessant.

Über den Silberfluss nach Nordwesten

Nach der Landung am internationalen Flughafen steht nämlich ein Flughafen-Wechsel an. Das heißt konkret: einmal quer durch die Innenstadt von Buenos Aires - im Taxi. Bei guter Verkehrslage ist das in einer Stunde zu schaffen. Gemeinsam mit meinen Begleitern, dem neuen WTCC-Pressemann Richard Rodgers sowie einem britischen und einem italienischen Kollegen, habe ich aber noch einen Abstecher gemacht.

Denn was wäre eine Argentinien-Reise ohne einen Besuch im Steakhouse? Und unser Taxifahrer hat nicht übertrieben: Das Filet Mignon im Estilo Campo war wirklich vom Allerfeinsten! So gestärkt ging es exakt 24 Stunden nach Reisebeginn an den nationalen Flughafen in Buenos Aires, der direkt am berühmten Rio de la Plata (zu Deutsch: "Silberfluss") liegt. Weshalb der Name? Sieht man aus der Luft!

Und was für ein Blick sich den Passagieren an Bord der Regionalmaschine bietet: Unter uns der gewaltige Silberfluss, am Horizont die sich scheinbar endlos ausdehnende Metropole Buenos Aires. Doch dieses Bild wandelte sich alsbald: Als sich die Wolken lichten, kamen grenzenlose Weiten zum Vorschein. Kaum Straßen, kaum Siedlungen, aber viel Ackerland und Felder - im Anflug auf Tucuman.

...und plötzlich ist da eine Rennstrecke!

Der Ortsname kommt Euch bekannt vor? Gut möglich! Tucuman war in diesem Jahr wieder eine Anlaufstelle für die Rallye Dakar, die in dieser Region ausgetragen wird. Die Veranstaltung machte übrigens auch in Termas de Rio Hondo Station. Dorthin ging es in der letzten Etappe per Kleinbus. Und wie schon im Flieger nach Tucuman war viel WTCC-Prominenz an Bord: Serienchef, Fahrer, Teambosse.

Und genau wie der Flug, so dauerte auch die Fahrt nochmals zwei Stunden. Wir holperten über die einzige größere Straße der Region, die selbst einer deutschen Landstraße kaum Konkurrenz machen würde. Links und rechts kleinere Häuser, einige Baracken und viel Grün. Sonst nichts. Und ich fragte mich nicht nur einmal, ob die Menschen hier nicht etwas ganz anderes brauchen als eine Rennstrecke...


Fotostrecke: Das sind die WTCC-Fahrer 2015

Die wurde schließlich nach etwa 90 Kilometern mit einem einfachen Schild am rechten Straßenrand angekündigt: Das Autodromo Termas de Rio Hondo, wo die WTCC-Saison 2015 beginnt. Aber was uns dort erwartet, ist noch ungewiss. Die Testfahrten in Barcelona haben nur bedingt Aufschluss über das neue Kräfteverhältnis in der Tourenwagen-WM gegeben. Wer also hat am Sonntag die Nase vorn?

Citroen ist wieder Favorit

Sehr wahrscheinlich die Titelverteidiger von Citroen. Viel getestet haben sie im Winter nicht, aber das mussten sie ja auch gar nicht: Der C-Elysee war 2014 schon mit Abstand der Klassenbeste und wird auch 2015 (in leicht modifizierter Form) ein Spitzenauto sein. Honda hat da schon mehr gemacht: Das umfangreiche Testprogramm lässt eine Steigerung des Civics erhoffen. Wie groß diese ist, bleibt aber abzuwarten.

Das Gleiche gilt für die von RML gebauten Chevrolet Cruzes, die zur Saison 2015 ebenfalls teilweise modifiziert wurden. Lada hingegen bringt sogar einen Neuwagen an den Start. Die russische Marke ist damit die große Unbekannte im Feld. Etwa 20 Runden hat James Thompson mit dem neuen Vesta getestet, Rob Huff soll ein paar mehr Umläufe geschafft haben. Das Debüt am Sonntag wird also in erster Linie ein weiterer Test.


Fotostrecke: Das sind die WTCC-Autos 2015

Und für WM-Titelverteidiger Jose-Maria Lopez werden die Rennen in Termas de Rio Hondo zur Bewährungsprobe. Er ist es, den es 2015 zu schlagen gilt. Als aktueller Weltmeister und noch dazu als Lokalmatador steht er also unter einem besonderen Erfolgsdruck. Daraus hat er sich jedoch schon 2014 nichts gemacht, warum also in diesem Jahr? Einer neuerlichen Show seinerseits steht also nichts im Wege.

Wer Lopez gefährlich werden kann

Oder doch? Seinen Citroen-Teamkollegen Yvan Muller habe ich beim Test in Barcelona sehr entschlossen erlebt. Der Rekordchampion fand im Interview erstaunlich offene Worte und meinte, er habe sich 2014 zu viele Ablenkungen erlaubt. Die hat er für 2015 alle gestrichen, trainiert noch dazu im Simulator und will Lopez in die Parade fahren. Alleine dieses Duell verspricht interessant zu werden!

Wenn ich mich hier und heute festlegen müsste, wäre das auch mein Tipp für die bevorstehende WTCC-Saison: Lopez gegen Muller, der Sieger wird Weltmeister. Bei allem Respekt für die Konkurrenz: Ich glaube, Citroen ist nach wie vor die Nummer eins. Und den beiden weiteren Citroen-Werksfahrern Sebastien Loeb und Qing-Hua Ma fehlt noch WTCC-Erfahrung, auch im jeweils zweiten Jahr.


Fotostrecke: Top 10: Die WTCC-Titelfavoriten 2015

Das wiederum könnte anderen Piloten die Chance bieten, sich ins Rampenlicht zu fahren. Ich denke da zum Beispiel an Mehdi Bennani im Citroen-Kundenauto. Oder Norbert Michelisz im als Honda-Privatier, der die Werkspiloten schon 2014 abgehängt hat. Und wenn der Lada Vesta erst einmal in Schwung kommt, ist sicher auch Huff wieder zur Stelle. Das klingt doch schon mal gar nicht so schlecht.

Es gibt noch ein paar Baustellen...

Allerdings darf bei aller Euphorie nicht übersehen werden, dass auch die WTCC vor einer echten Bewährungsprobe steht. Das TC1-Reglement geht in die zweite Saison - und in Argentinien finden sich nur 18 Fahrzeuge in der Startaufstellung. Ja, im Jahresverlauf sollen noch weitere Autos dazukommen. Aber bisher rennen neue Hersteller den WTCC-Verantwortlichen nicht gerade die Türe ein.

Außerdem hat Ex-WTCC-Chef Marcello Lotti inzwischen eine neue Tourenwagen-Meisterschaft ins Leben gerufen, die zwar offiziell keine Konkurrenz darstellen soll, aber natürlich auch als "Revanche" zu verstehen ist. Nicht umsonst hat die TCR-Serie das gleiche Format wie die WTCC und ihr Kalender ist fast eine 1:1-Kopie der WM-Rennen. Wie das für beide Rennserien funktioniert, bleibt abzuwarten.


WTCC-Transport per Luftfracht

Ihr seht: Es ist also auch in diesem Jahr wieder einiges geboten in der WTCC. Und ich freue mich schon jetzt darauf, Euch von den entscheidenden Momenten auf der Strecke und den Geschichten abseits davon zu berichten! Endlich werden wieder Fakten geschaffen! Gleich am Freitag geht's los mit der ersten Testsession. Und damit sind wir dann auch schon mittendrin im Motorsport-Alltag...

Beste Grüße & auf eine spannende WTCC-Saison 2015!

Euer


Stefan Ziegler