• 19.06.2009 16:35

  • von Stefan Ziegler

Das Kompensationsgewicht - eine Zwischenbilanz

Seit 2009 kommt in der Tourenwagen-WM ein neues Ballastsystem zum Einsatz - Wie bewerten die WTCC-Protagonisten diese Neuerung?

(Motorsport-Total.com) - Bis zum Ende der vergangenen Saison wurden die erfolgreichsten Piloten eines Wochenendes mit einem Erfolgsballast belegt, um für das folgende Rennen wieder eine Chancengleichheit zu erreichen. Im Winter warfen die Verantwortlichen der Tourenwagen-Weltmeisterschaft (WTCC) dieses Konzept allerdings über Bord und führten ein neues Gewichtssystem ein, welches das Starterfeld weitaus besser ausgleichen soll. Doch wie ist es nach fünf Events um das Kompensationsgewicht bestellt?

Titel-Bild zur News: Rennstart in Valencia 2009

Die Tourenwagen-WM vertraut in diesem Jahr auf das neue Kompensationsgewicht

Gemäß dem Reglement für die Saison 2009 werden die für ein Rennwochenende gültigen Gewichte aus einem Rundenzeiten-Durchschnitt der vergangenen drei Events berechnet. Obwohl SEAT zu Saisonbeginn die deutlich besseren Ergebnisse einfuhr, diente kurioserweise zumeist der BMW 320si als Referenzmodell für die Ballastgewichte. So waren die Länderteam Piloten zum Teil schwerer unterwegs als ihre SEAT-Konkurrenten - dabei hatten diese doch mehr Punkte auf dem Konto.#w1#

Während BMW und SEAT von Beginn an die Pace in dieser Saison vorgaben, gesellte sich Chevrolet in Marrakesch prompt zu diesem Führungsduo hinzu. Einzig Lada hinkt zeitlich noch hinterher und profitiert daher vom maximalen Kompensationsgewicht - also von 60 Kilogramm Unterschied zwischen dem jeweiligen Referenzmodell und dem langsamsten Autotyp im Feld. Das neue Ballastsystem wird allerdings nicht nur auf die Werkswagen angewendet, sondern auch bei den zahlreichen Privatiers.

Puig ist zufrieden mit dem Ballastsystem

Gründe genug für 'Motorsport-Total.com', sich im Fahrerlager der Tourenwagen-WM einmal gezielt nach den Meinungen über die neuen Gewichtsregeln umzuhören. Nach einigen Wochenenden hat das Kompensationssystem bereits einige Fans, doch längst nicht alle Protagonisten sind mit der Neuregelung zufrieden. SEAT-Teamchef Jaime Puig kann sich jedenfalls prima damit arrangieren, wie er 'Motorsport-Total.com' verriet: "Bis jetzt finde ich dieses System ganz gut", meinte der Spanier.

Jaime Puig

SEAT-Teamchef Jaime Puig ist ein Fan des Kompensationsgewichtes in der WTCC Zoom

"Es hat seine Mission vollkommen erfüllt", fügte Puig an, der nach den bisherigen Rennen ohnehin auf eine stolze Erfolgsbilanz seiner SEAT-Mannen zurückblicken kann. Nicht ganz unbeteiligt daran war freilich Gabriele Tarquini, der dem Kompensationsgewicht ebenfalls ein positives Zwischenzeugnis ausstellte. "Ich sehe es als eine Methode, die wirklich funktionieren kann", meinte der Italiener, merkte aber an: "Aufgrund der vielen unterschiedlichen Faktoren ist es allerdings schwierig zu berechnen."

"Es ist aber definitiv besser als der Erfolgsballast", hielt Tarquini fest. "Ich finde also, dass es funktioniert. Es ist natürlich schwierig, ein solches System dem Zuschauer zu nahezubringen", gab der frühere Formel-1-Pilot zu bedenken. "Im weiteren Saisonverlauf wird aber auch das gelingen. Davon bin ich überzeugt." Überzeugt ist auch Andy Priaulx - zwar nicht vom Kompensationsgewicht, aber davon, dass der Automobil-Weltverband ein überarbeitetes System an den Start bringen sollte.

Zanardi: Am fairsten wäre keine Kompensation...

"Zunächst einmal halte ich es für eine gute Idee, denn es bedeutet, dass der schnellere Wagen mit einem Handicap belegt wird", erläuterte Priaulx seine Sicht der Dinge. "Das ist schon einmal eine gute Sache. Nur funktioniert es noch nicht wirklich. Die Hersteller um BMW, Chevrolet, Lada und SEAT sollten sich gemeinsam mit der FIA zusammensetzen und ein faires System entwerfen. Denn in den vergangenen 18 Monaten herrschte keine Ausgeglichenheit, außer für SEAT", sagte Priaulx.

Alessandro Zanardi

BMW Pilot Alessandro Zanardi hätte am liebsten eine Serie ohne Zusatzballast Zoom

Markenkollege Alessandro Zanardi, der in der Berechnung aufgrund des sequentiellen Getriebes als eigener Fahrzeugtyp aufgeführt wird, ist ebenfalls nicht sonderlich begeistert - ging aber sogar noch einen Schritt weiter: "Wenn wir uns über Fairness unterhalten, dann sollten wir eigentlich gar keine Kompensation haben", stellte der 42-jährige Rennfahrer heraus, zeigte aber Verständnis dafür und fügte an: "Die FIA hat einen sehr schwierigen Job. Ich beneide sie gewiss nicht darum."

"Wenn man aber eine Meisterschaft aus Zweiliterautos auf die Beine stellen will, die sich an normalen Straßenwagen orientieren, dann muss man die verschiedenen Fahrzeugtypen untereinander balancieren", sagte Zanardi. "Es ist doch vollkommen klar, dass es sehr große Unterschiede bei den einzelnen Automodellen gibt. Wenn die Regeln also auf alle Teilnehmer gleichermaßen angewendet werden würden, dann hätten wir einen unfairen Wettbewerb", erläuterte der italienische Routinier.


Fotos: Die Helme der WTCC-Fahrer 2009


Private SEAT-Wagen als eigener Fahrzeugtyp

Gleiche Regeln für alle? Zumindest in Bezug auf die Unterscheidung zwischen Werkspiloten und Privatfahrern trifft diese Einschätzung zu, denn auch die Protagonisten der Independents' Trophy müssen sich dem Kompensationsgewicht unterwerfen. Doch auch die Privatiers sehen durchaus Verbesserungsbedarf bei ihrer Einstufung. "Wir Privatfahrer übernehmen die Zusatzgewichte der Werkswagen", erklärte Proteam-Pilot Félix Porteiro. "Das ist in meinen Augen nicht ganz glücklich."

Tom Coronel

Tom Coronel und die SEAT-Privatiers zählen als eigenständige Autokategorie Zoom

"Im vergangenen Jahr hatten die Werksfahrer sehr schnell viel Ballast an Bord und die Privatiers blieben trotzdem hinter ihnen zurück. Jetzt sind wir sogar noch näher dran, obwohl wir im Prinzip mit dem gleichen Gewicht fahren", unterstrich der frühere BMW Team Italy-Spain Fahrer das etwas kuriose Kräfteverhältnis in der WTCC. "Aber so ist es nun einmal. Wir müssen mit dieser Situation klarkommen und weiterhin unser Bestes geben. Nur: Tom Coronel hat da ganz klar einen Vorteil."

Diese Einschätzung kommt nicht von ungefähr, schließlich werden die privat eingesetzten León-Autos nicht mit dem gleichen Ballast bedacht wie die SEAT-Werkswagen. Das liegt allerdings schlicht und ergreifend an der Tatsache, dass es sich beim einen Modell um ein Dieselfahrzeug handelt und dass die Privatfahrer allesamt auf einen Benzinmotor setzen. So profitieren die Privatiers um Coronel davon, als eigene Fahrzeugkategorie behandelt zu werden - mit den entsprechenden Vorteilen.

BMW Autos mit unterschiedlichem Homologationsstand

Doch auch die BMW Privatfahrer haben in der Zwischenzeit eine kleine Bonität erhalten. Im Vergleich zu den Werksautos dürfen die Rennwagen der Trophy-Teams 15 Kilogramm leichter unterwegs sein. Das wiederum stößt auf Unverständnis bei der Konkurrenz. "Ich weiß nicht, auf welcher Grundlage das geschehen ist", sagte Puig kopfschüttelnd. "Der Artikel 79 aus dem sportlichen Reglement (regelt die Autogewichte; Anm. d. Red.) wurde schon verändert, noch bevor er so richtig gegriffen hat."

Franz Engstler

Die privaten BMW Rennwagen haben eine Gewichtserleichterung bekommen Zoom

Kurt Treml, Teammanager beim Liqui Moly Team Engstler, kann diese Sache aufklären: "Es gibt eine Ausnahmeregelung", bestätigte Treml. "Wir haben bei der FIA nachgefragt, weil unsere Autos ja nicht nach dem Homologationsstand 2009 fahren. Es gibt da eben einige Teile, die BMW nachträglich homologiert" - was zwar eine Leistungssteigerung, aber auch Kosten mit sich bringt. "Als Privatteam kannst du da natürlich nicht mitziehen", nannte der Teammanger die Hintergründe dafür.

"Wenn du aber nachweisen kannst, dass du einen Homologationsstand von Ende 2008 fährst, dann kannst du ersuchen, dass dein Wagen als altes Auto eingestuft wird. Dafür haben wir 15 Kilogramm Erleichterung bekommen - aber von den 40 Kilogramm, die wir vorher zuladen mussten", stellte Treml heraus. "Das ist das kleine Zugeständnis für die alten Autos und zugleich der große Unterschied zu den SEAT-Benzinern", die in der WTCC als eigenständiges Fahrzeugmodell eingestuft werden.

So ist also nach einigen Rennen festzuhalten, dass sich das Kompensationsgewicht noch nicht vollkommen durchgesetzt hat, auch wenn verschiedene Parteien dem System eine gute Funktion bescheinigen. "Es hat seine Mission vollkommen erfüllt", meinte Puig, wohingegen Ex-Champion Priaulx eine grundlegende Veränderung fordert: "Es sollte nur eine Treibstoffart erlaubt sein. So einfach ist das." Und was denkt Zanardi? "Es zahlt sich offensichtlich aus, wenn man viel weint..."