"Wahnsinnig gefährlich!" Kobayashi kritisiert Regeln nach Hartley-Crash

Nach dem Unfall seines Toyota-Teamkollegen Brendon Hartley ist Kamui Kobayashi tief besorgt über die langsamen Outlaps auf kalten Reifen in der WEC

(Motorsport-Total.com) - Waren die mahnenden Stimmen nach dem schweren Unfall zweier Ferrari 488 GTE Evo am Donnerstag bei den 6 Stunden von Spa noch eher vereinzelt (Motorsport-Total.com gehörte dazu), so ist nach den Ereignissen im Qualifying zum dritten Lauf der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) eine offene Diskussion entbrannt. Im Mittelpunkt steht das Verbot der Reifenwärmer. Die Diskussion hat auch Signalwirkung für andere Serien.

Titel-Bild zur News: Brendon Hartleys Unfall sorgt für Diskussionen: Steinkalte Reifen ein Sicherheitsrisiko?

Brendon Hartleys Unfall sorgt für Diskussionen: Steinkalte Reifen ein Sicherheitsrisiko? Zoom

Waren in den Unfall am Donnerstag noch zwei Amateure verwickelt, verlor mit Brendon Hartley ein absoluter Vollprofi die Kontrolle über seinen Boliden - bei einer Geschwindigkeit, die weiter vom Limit entfernt war als ein GTE-Am-Auto vom Gesamtsieg. Toyota-Technikchef Pascal Vasselon bestätigte am Freitagabend, dass es schlicht an den kalten Reifen lag und nicht an etwaigen Betriebsmitteln auf der Strecke.

Teamkollege Kamui Kobayashi, der die Poleposition herausfahren hat, spricht offen über seine Sorgen. "Es ist wahnsinnig gefährlich. So viele Fahrer drehen sich. Morgen im Rennen wird es genau so sein. Drücken wir die Daumen, dass alle unversehrt bleiben, mich eingeschlossen. Jeder hier macht sich darüber Sorgen, nicht nur ich."

Auf kalten Reifen sind die Boliden so langsam unterwegs, dass sie in der Passage Eau Rouge/Raidillon von den Marshalls mit weißen Flaggen angezeigt werden müssen. Im Training am Donnerstag kam es dennoch zu einer Kollision zwischen Diego Alessi und Thomas Flohr.

Profis wirken hilflos

Kobayashi gefällt es nicht, dass man wie im Falle Hartleys wie ein Fahranfänger auf den kalten Reifen aussehen kann: "Wir sind doch keine Amateure. Wir sind absolute Profis. Und wir rollen hier [auf kalten Reifen] nur herum. Es ist ein trauriges Szenario, denn mit dieser Reifengröße ist es bei diesen Temperaturen richtig schwierig."


Fotostrecke: Unfall von Brendon Hartley im 6h-Spa-Qualifying

Das habe sich bereits bei den Wintertestfahrten so abgezeichnet. "Aber da waren wir allein, da ist das okay. Aber hier fährt man direkt in die Eau Rouge. Wenn da auf mehrere schnelle Autos trifft... Ich hoffe, dass da morgen nichts passieren wird."

Durch die neuen Regeln sind spannende Szenarien möglich. "Man kann zehn Sekunden auf der Outlap gewinnen", weiß Kobayashi. Allerdings müssen die Fahrer mit den steinkalten Reifen bei der ersten Eau-Rouge-Durchfahrt sehr vorsichtig sein, denn kalter Reifen bedeutet niedriger Reifenluftdruck. Da kann schnell die Felge durchschlagen und die Karkasse beschädigen.

Hartley sagt zu seinem Unfall: "Das ist sehr enttäuschend. Ich bin in Kurve 3 auf kalten Reifen weggerutscht. Es war ein leichter Einschlag, aber der hat uns aus dem Qualifying genommen."

Vasselon will sich nicht zu einer Meinung hinziehen lassen: "Ich werde keine Meinung [zu dem Thema] kundtun, aber wir dürfen nicht überrascht sein, dass das passiert. Das gehört dann dazu."

Mahnende Stimmen gab es schon vor der Saison. Ferrari-Pilot James Calado hatte bereits beim Prolog in Sebring einen Unfall auf kalten Reifen und prophezeite daraufhin schwere Unfälle während der Saison.


Fotos: WEC 2023: 6 Stunden von Spa, Trainings & Qualifying


Miguel Molina, der seinen Ferrari 499P in die erste Startreihe gestellt hat, sagt gegenüber 'Motorsport.com Global': "Uns war klar, dass es bei niedrigen Temperaturen auf kalten Reifen schwierig werden würde. Man muss auf der Outlap wirklich vorsichtig sein und Stück für Stück die Temperatur hochfahren. Da muss an sehr vorsichtig bei sein. Es ist schwierig, aber für alle gleich."

Reifenwärmerverbote sind auch in anderen Rennserien ein Thema. In der Formel 1 wurde ein solches Verbot bereits mehrfach wieder vom Tisch gekehrt. Auf der Nürburgring-Nordschleife war das ursprünglich für 2023 vorgesehen, ist aber mittlerweile auf unbestimmte Zeit verschoben.

Project1 zieht #56 zurück

Der Project-1-Porsche #56 (Hyett/Jeanette/Cairoli), der im GTE-Qualifying ebenfalls in Raidillon verunfallte (allerdings deutlich heftiger als Brendon Hartley im Toyota), kann nicht zum Rennen wiederaufgebaut werden. Fahrer P.J. Hyett wurde zum Check sogar ins Krankenhaus gebracht, aber schnell wieder entlassen.

"Wir waren natürlich sehr besorgt über den Zustand von P.J., der Einschlag war schon heftig?, so Teamchef Axel Funke. "Wir gehen davon aus, dass er bis Le Mans wieder top fit ist, wir wissen um seinem Speed und dass wir in der Lage sind mit Ihm, Gunnar, Matteo und dem Team zu gewinnen. Ich bin sehr froh, dass es ihm bereits jetzt besser geht."

Es ist das zweite Mal innerhalb von zwei Jahren, dass Project1 einen Porsche 911 RSR-19 in Spa-Francorchamps schon im Training verliert. 2021 war Egidio Perfetti auf nahezu dieselbe Weise abgeflogen.

Project1 verspricht, das Auto bis zu den24 Stunden von Le Mans wieder einsatzfähig zu haben.