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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Scott Smart (FIM)

Alvaro Bautista und Ducati sind der Konkurrenz überlegen und werden in der WSBK-Saison 2023 noch stärker sein: Die Verantwortlichen müssen darauf reagieren

Titel-Bild zur News: Scott Smart

FIM-Technikdirektor Scott Smart steht vor keiner leichten Aufgabe Zoom

Liebe Freunde der Superbike-WM,

das erste der drei Übersee-Wochenende der Superbike-WM 2022 bescherte uns abgesehen vom Sprintrennen nicht die aufregendste Rennaction der laufenden Saison, war aber dennoch ein großer Erfolg. Knapp 80.000 Fans kamen an den drei Veranstaltungstagen nach San Juan, um die Superbike-Elite fahren zu sehen.

Im Vergleich zu den vergangenen Jahren ging es deutlich weniger chaotisch zu. Die Strecke befand sich in einem sehr guten Zustand. Das war nicht immer so. Erinnern Sie sich noch an den Boykott in der Saison 2019, als lediglich zwölf Fahrer im ersten Rennen an den Start gingen, weil ein Drittel des Feldes aus Sicherheitsgründen streikte?

WM-Vorentscheidung zwei Wochenenden vor dem Ende der Saison

Doch kommen wir zum sportlichen Geschehen: Durch die zwei souveränen Siege von Ducati-Pilot Alvaro Bautista in den Hauptrennen ist die Luft im WM-Kampf leider etwas raus. Toprak Razgatlioglu und Jonathan Rea sind bei den beiden ausstehenden Events auf das Pech des WM-Leaders angewiesen. Doch ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das Blatt noch einmal wendet. Zu stark sind Bautista und Ducati im Moment.

Für die Hauptrolle in der heutigen Montagskolumne wähle ich aber weder Razgatlioglu noch Rea aus, denn beide haben in Argentinien alles gegeben. Wie nah sie am Limit unterwegs sind, wurde durch den Fehler von Razgatlioglu in Lauf eins und die vielen kleinen Verbremser von Rea am Sonntag deutlich. Bautista und dessen Topspeed auf den Geraden zwingt die Gegner zu Verzweiflungstaten.

WSBK Start

WSBK-Party in Argentinien: Mehr als 78.000 Fans besuchten das Event Zoom

Wird Ducati zu übermächtig und gefährdet die Spannung in der WSBK?

Und das ist das Problem, vor dem die Superbike-WM meiner Meinung nach steht. Im vergangenen Jahr und zu Beginn der laufenden Saison begeisterte die WSBK viele (neue) Fans, bot spannende Rennen und harte Duelle von drei sehr unterschiedlichen Charakteren auf drei sehr unterschiedlichen Motorrädern.

Doch mit Blick auf die WSBK-Saison 2023 mache ich mir einige Sorgen, denn zu übermächtig ist die Kombination Bautista/Ducati mittlerweile geworden. Nun kann und sollte man Ducati nicht dafür kritisieren, dass sie besser gearbeitet haben als die Gegner. Nein, wenn jemand den Titel in diesem Jahr verdient hat, dann Ducati, die seit 2011 auf einen WM-Erfolg warten.

Alvaro Bautista; Toprak Razgatlioglu

Als Alvaro Bautista die Führung übernommen hatte, konnte Toprak Razgatlioglu keine Attacke mehr starten Zoom

Neue Gefahr: Ducati schärft die Panigale V4R nach

Nach der laufenden Saison bekommt Bautista eine noch schärfere Version der Panigale V4R. Seine unmittelbaren WM-Rivalen allerdings müssen laut aktuellem Stand mit dem weitermachen, was sie aktuell zur Verfügung haben. Abgesehen von kleinen Detailverbesserungen wird es nicht viele Veränderungen an den Superbikes von Yamaha und Kawasaki geben. Und ob das reicht, um 2023 mit Ducati zu konkurrieren? Ich bin skeptisch.

FIM-Technikdirektor Scott Smart muss sich den Kopf zerbrechen, wie er die Hersteller in den kommenden Jahren angleichen kann. Die angekündigte Super-Concession-Regel wird für Yamaha und Kawasaki sicher nicht gelten, denn bisher waren Siege durchaus möglich. Und selbst wenn sie diese Regel nutzen könnten: Was sollten Yamaha und Kawasaki großartig am Chassis ändern? Die Fahrwerke sind nicht das Problem.

Ducati Panigale V4R

Ducati Panigale V4R: Die 2023er-Version hat bereits 240,5 PS in der Serie Zoom

Wird Ducati erneut über die Drehzahl eingebremst?

Man könnte Ducati weiter einbremsen, indem man die Drehzahl noch einmal verringert. Wir erinnern uns: Bereits zu Beginn der WSBK-Saison 2019 musste Ducati 250 Umdrehungen/Minute opfern, als Bautista souverän von Sieg zu Sieg fuhr.

Seit der Einführung der Drehzahllimits zu Beginn der Saison 2018 war Ducati der einzige Hersteller, der eine Reduzierung der Drehzahl über sich ergehen lassen musste. Maximal 16.100 Umdrehungen/Minute sind erlaubt. Doch bereits das Serienmodell erreicht 16.500 Umdrehungen/Minute. Bei allen anderen Herstellern drehen die WSBK-Bikes höher als ihre Serienableger.

Ducati Panigale V4R

Kurios: Die Ducati Panigale V4R erreicht in der Serie höhere Drehzahlen als in der WSBK Zoom

Es ist schon etwas merkwürdig, dass eine Balanceregel aktuell das größte Gesprächsthema hinter den Kulissen ist. Mit dem Ende der V2-Bikes waren diese lästigen Balance-of-Performance-Diskussionen eigentlich vom Tisch, dachte ich.

Was wäre wohl los, wenn Ducati nach wie vor ein V2-Bike einsetzen würde und damit diese Vorteile hätte? Die Diskussionen über eine Bevorzugung durch das Regelwerk würden nicht mehr aufhören. Davon sind wir zum Glück weit entfernt, denn alle Hersteller setzen Vierzylinder-Motoren mit maximal 1.000 ccm ein.


Fotos: Superbike-WM 2022: San Juan (Argentinien)


Warum ein kombiniertes Mindestgewicht keine elegante Lösung ist

Jetzt wird immer wieder über ein kombiniertes Gewicht von Fahrer und Motorrad gesprochen, um Bautistas Vorteile zu beschneiden. Aber ist das fairer als das aktuelle Modell? Hat es nicht gute Gründe, warum in den Klassen mit leistungsstärkeren Bikes (MotoGP und Superbike-WM) nur Mindestgewichte für die Motorräder existieren?

Denn wenig Gewicht hat nicht nur Vorteile. Ein leichter Fahrer wie Bautista hat weniger Möglichkeiten in Sachen Gewichtstransfer. Das Aufwärmverhalten der Reifen bei niedrigen Temperaturen ist kritischer. Bei Regen kann der Fahrer weniger Gewicht neben das Motorrad platzieren. All das scheinen diejenigen auszublenden, die nur die Performance auf den Geraden betrachten und dann ein kombiniertes Mindestgewicht fordern.

Alvaro Bautista

Alvaro Bautista ist deutlich kleiner und leichter als seine WM-Rivalen Zoom

Zudem wäre es doch absolut unsinnig, wenn ein kleiner Fahrer wie Bautista mit einem Motorrad fahren müsste, das 15 oder 20 kg schwerer ist als die Maschinen seiner Gegner. Wo bleibt da die Fairness? Wo sollte man denn derart viele Gewichte an einem Motorrad befestigen?

Wie kann Scott Smart eine drohende Ducati-Dominanz verhindern?

FIM-Technikdirektor Scott Smart muss sich aber etwas einfallen lassen. Denn unter den aktuellen Voraussetzungen und mit Blick auf die neue Ducati steht die Spannung in der Superbike-WM auf dem Spiel. Niemand wünscht sich die Zeiten zurück, in denen ein Fahrer mit einem Hersteller dominiert.

Eine elegante Lösung, wie man die Serie spannend hält, habe ich aber ehrlich gesagt nicht. Ideal wäre, wenn alle Hersteller das gleiche Interesse zeigen würden, erfolgreich zu sein. Aber vor allem bei den japanischen Herstellern ist dieser Wille aktuell etwas schwach ausgeprägt, finde ich.

Scott Smart

FIM-Technikdirektor Scott Smart muss eine Lösung finden Zoom

Entwicklung steht still: Keine/kaum Innovationen aus Japan

Ducati bietet im Fall der Panigale V4R ein Superbike an, das MotoGP-Technologien auf die Straße und damit in die Superbike-WM bringt. Und was machen Kawasaki, Yamaha und Honda?

Das Konzept der Kawasaki ist über zehn Jahre alt und erfuhr über die Jahre lediglich kleine Updates. Das Konzept der jetzigen R1 stammt aus der Yamaha-Comeback-Saison 2016. Die Fireblade ist aus japanischer Sicht das "radikalste" Superbike, blieb bisher aber auch einiges schuldig.

Kawasaki ZX-10RR

Kawasaki ZX-10RR: Wann kommt ein neues Homologationsmodell? Zoom

Wo ist der einstige Innovationsgeist der Japaner hin? Legendäre Modelle, wie die Honda NR 750 oder die wunderschönen RC30/45-Modelle gibt es nicht mehr. Ich befürchte, dass es keine Rückkehr zu diesen "good old days" geben wird.

Mir ist klar, dass supersportliche Motorräder bei den Herstellern im Moment nicht die größte Priorität sind. Die Nachfrage nach Superbikes ist im Vergleich zu anderen Segmenten gering. Die Entwicklungskosten auf der anderen Serie sind aber extrem hoch.

Yamaha R1

An der Yamaha R1 wird es zeitnah kein umfassendes Update geben Zoom

Zudem beschäftigen sich die Hersteller intensiv mit dem Thema E-Mobilität und kämpften mit der allgemeinen wirtschaftlichen Situation. Dass man die Entwicklung eines neuen 240-PS-Bikes hinten anstellt, kann ich schon verstehen.

Warum etwas Hoffnung auf eine gesunde WSBK-Zukunft besteht

Vielleicht sollte man aber nicht ganz so pessimistisch sein, zumindest was eine gesunde Balance in der Superbike-WM angeht. Hoffnung schenkt mir, wie gut Scott Smart und sein Team die "New Generation"-Bikes in das Format der Supersport-WM eingegliedert haben. Als er mir vor gut einem Jahr in Jerez erklärte, wie die Ducati Panigale V2 mit 955 ccm an die Yamaha R6 mit 599 ccm angeglichen werden soll, ahnte ich Schlimmes.

Doch ich lag falsch, denn die Balance in der neuen Supersport-WM ist fantastisch. Alle Hersteller kämpfen auf Augenhöhe, obwohl die Konzepte sehr unterschiedlich sind. Da kann man den Verantwortlichen nur gratulieren. Vor dem Start der Saison befürchtete ich, dass das sportliche Geschehen komplett in den Hintergrund rückt, weil es ständige Anpassungen gibt. Doch das ist nicht der Fall. Gut gemacht!

Dominique Aegerter

Gute Balance: In der "neuen" Supersport-WM kämpfen alle Hersteller auf Augenhöhe Zoom

Welche Ideen haben Sie bezüglich der zukünftigen Balance in der Superbike-WM? Teilen Sie mir Ihre Meinung auf Facebook unter "Sebastian Fränzschky - Motorsport-Journalist" mit. Dort gibt es meine Texte, Insiderinfos, Meinungen und Einschätzungen zu aktuellen Themen. Und natürlich die Möglichkeit, diese Kolumne zu diskutieren!

Sportliche Grüße,

Sebastian Fränzschky