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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Jonathan Rea

Bereits nach zwei von zwölf WSBK-Events rückt der siebte Titel für Jonathan Rea in weite Ferne: Die Situation im Lager von Kawasaki ist alarmierend

Titel-Bild zur News: Jonathan Rea

Jonathan Rea liegt nach den beiden ersten Wochenenden schon 68 Punkte zurück Zoom

Liebe Freunde der Superbike-WM,

hinter uns liegen zwei unterhaltsame Wochenenden, die so ziemlich alles hatten, auf was wir in der Winterpause verzichten mussten. Abgesehen von der doch etwas zu dominanten Form des Titelverteidigers bin ich sehr zufrieden mit dem Auftakt der WSBK-Saison 2023.

Im Lager von Kawasaki teilt man diese positive Wahrnehmung der beiden Übersee-Wochenenden in Australien und Indonesien sicher nicht. Nach einem enttäuschenden Auftakt auf Phillip Island kam es in Mandalika noch dicker: Kein Podium für WM-Anwärter Jonathan Rea, der in den drei Rennen magere 13 Punkte kassierte und auf P6 der Fahrerwertung abrutschte (wie Rea das Wochenende in Mandalika kommentierte).

Der Rekord-Weltmeister der Superbike-WM dürfte keine besonders ruhige Nacht gehabt haben. Und das ist nicht nur auf die Abschürfungen am rechten Oberschenkel zurückzuführen, die er sich beim Sturz im finalen Rennen zuzog.

Der Rekord-Champion kämpft mit stumpfen Waffen

Jonathan Rea ist momentan nicht konkurrenzfähig. Oder präziser ausgedrückt: Seine Kawasaki ZX-10RR liegt klar zurück. Wenn die Bedingungen stimmen und der Grip gut ist, dann sind Rea und Kawasaki stark. Doch schlechte Gripverhältnisse und hohe Temperaturen bereiten den ehemaligen Serien-Weltmeistern große Probleme. Ducati und Yamaha gehen damit deutlich besser um.

Von den fünf beteiligten Herstellern war Kawasaki der, der beim zweiten Wochenende der neuen Saison mit 17 Zählern die wenigsten Punkte einfuhr. Selbst Honda und BMW waren erfolgreicher.

Jonathan Rea

P9 im ersten Rennen am Samstag: Jonathan Rea wurde durchgereicht Zoom

Und dabei ist Mandalika nun wahrlich keine Angstrecke der "Grünen". Erinnern Sie sich noch an das WSBK-Debüt vor gut eineinhalb Jahren? Damals gewann Jonathan Rea beide Hauptrennen.


Fotos: Superbike-WM 2023: Manadalika (Indonesien)


Kawasaki hat seit dem finalen Titel in der Saison 2020 Schritt für Schritt Vorsprung eingebüßt und später Rückstand aufgebaut. Unterlag Jonathan Rea 2021 noch denkbar knapp, so war er 2022 schon deutlich weiter weg vom Gewinn der Meisterschaft.

Jonathan Rea

Mandalika 2021: Jonathan Reas letzter Sieg mit der Startnummer 1 Zoom

Nach einem gelungenen Start in die WSBK-Saison 2022 mit Siegen bei den ersten drei Events in Aragon, Assen und Estoril folgte die längste sieglose Phase seit seinem Wechsel von Honda zu Kawasaki. Bei den folgenden acht Events und somit 24 Rennen konnte Rea nicht gewinnen.

Welchen Anteil Jonathan Rea am ausbleibenden Erfolg hat

Woran liegt es? Hat sich Kawasaki zu sehr auf den Erfolgen ausgeruht und die Entwicklung der ZX-10RR vernachlässigt? Oder hat Jonathan Rea den Höhepunkt seiner Karriere überschritten?

Auch wenn es schwer vorstellbar ist, aber Jonathan Rea ist nach wie vor motiviert wie vor seinem ersten WM-Erfolg. Der Rekord-Champion trainiert hart, lässt nichts unversucht, riskiert viel und gibt oft mehr als 100 Prozent, um das Maximum aus seinem Paket herauszuholen.

Jonathan Rea

Mangelnden Einsatz kann man Jonathan Rea nicht vorwerfen Zoom

Doch im Gegensatz zu der Ära von 2015 bis 2020 findet Rea bei Kawasaki nicht mehr das beste Bike vor. Die Kawasaki ZX-10RR wurde seit Jahren nur in Details aktualisiert. Das Konzept der Maschine ist in die Jahre gekommen, auch wenn die Kawasaki-Fans das nur ungern hören oder lesen. Im Vergleich zur Konkurrenz fehlt der ZX-10RR eine klare Stärke. Ein gutes Allroundpaket reicht in der modernen Superbike-WM nicht mehr aus.

Kawasaki ZX-10RR

Kawasaki ZX-10RR: Das grundlegende Konzept ist in die Jahre gekommen Zoom

Überholen ist nur mit sehr hoher Risikobereitschaft möglich

Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, in der die Spannung in der WSBK durch die umgedrehte Startreihenfolge für Lauf 2 gesteigert werden sollte. Der Sieger von Lauf 1 musste von P9 ins zweite Rennen starten. Die Kawasaki mit der Nummer 1 sah man demzufolge regelmäßig in der dritten Startreihe.

Doch für Rea war das kein Grund zur Sorge. Der Seriensieger zog meist spielerisch an seinen Gegnern vorbei, als ob er sich bei einem Trackday unter die Elite der Hobbyracer gemischt hat. Es war eine absolute Demonstration der Macht, die Rea zu diesem Zeitpunkt hatte.

Jonathan Rea

Kawasaki-Dominanz: Jonathan Rea spielte jahrelang mit seinen Gegnern Zoom

Derartige Aufholjagden sind aktuell undenkbar. Rea hat mit der Kawasaki große Schwierigkeiten, andere Fahrer zu überholen. Das bestätigte der Brite sowohl in Australien als auch in Indonesien. Rea kann mit der Kawasaki weder auf der Bremse überholen, noch sich am Kurvenausgang in Position bringen.

Jonathan Rea

Jonathan Rea beendete das zweite WSBK-Wochenende mit einem Sturz Zoom

Das Resultat sind riskante Manöver, die neun Mal gut gehen und beim zehnten Mal eben nicht. Das soll jedoch keine Kritik sein, sondern lediglich die Situation beschreiben.

Alvaro Bautista, Jonathan Rea

Jonathan Rea muss oft sehr viel riskieren, um seine Gegner zu überholen Zoom

Kawasaki tritt seit einigen Jahren auf der Stelle

Ich erinnere mich gut an ein Treffen mit Kawasaki-Crewchief Pere Riba, der zusammen mit Jonathan Rea eine Art Dreamteam bildet und großen Anteil am Erfolg in der Vergangenheit hat. In einem Vieraugengespräch in Portimao gestand mir der Spanier bereits vor knapp zwei Jahren, dass das Paket der Kawasaki am Limit ist.

Und damit sollte Pere Riba richtig liegen. Dass Jonathan Rea bei den Tests dennoch immer wieder von Fortschritten gesprochen hat, geschah sicher hauptsächlich, um eine positive Außenwahrnehmung zu erreichen. Und vielleicht auch, um einen gewissen Optimismus im Team zu erhalten.

Jonathan Rea; Pere Riba

Kawasaki-Crewchief Pere Riba kümmert sich seit 2015 um Jonathan Rea Zoom

Das letzte größere Update brachte Kawasaki im Winter 2020/2021. Doch wirklich viel anders war die 2021er-Version abgesehen von der markanten Front mit den Luftkanälen nicht. Für 2023 gab es ein weiteres kleines Update mit kleinen Modifikationen am Motor. Bisher enttäuschten die Änderungen der 2023er-Maschine. Das Paket wirkte in Australien und Indonesien nicht besonders ausgewogen.

Jonathan Rea

Bringt Kawasaki für die WSBK 2024 eine komplett neue ZX-10RR? Zoom

Steht Kawasaki noch hinter dem Superbike-Projekt?

Ich hätte mir von Kawasaki ein richtiges Modellupdate gewünscht. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass Investitionen in die Entwicklung neuer Sportmotorräder im Moment nur schwer zu rechtfertigen sind.

Die große Frage ist, wie stark Kawasaki noch an das Superbike-Projekt glaubt und wie viel man in das Produkt und die Meisterschaft investieren möchte. Davon hängt der Erfolg in der Superbike-WM ab.

Jonathan Rea, Alex Lowes

Steht Kawasaki noch voll und ganz hinter dem WSBK-Projekt? Zoom

Jonathan Rea wird voraussichtlich bis zum Ende seiner Karriere die Farbe Grün tragen. Im Vorjahr hätte er sich nach Alternativen umschauen können, entschied sich aber für zwei weitere Jahre bei Kawasaki.

Die Ergebnisse sind eindeutig und lassen sich nicht beschönigen. Sie bestätigen das, was Jonathan Reas Crewchief bereits vor zwei Jahren wusste: Kawasaki braucht ein umfassendes Update.

In der Kolumne nach dem Saisonauftakt in Australien übernahm BMW-Motorradsport-Direktor Marc Bongers die Hauptrolle. Beim zweiten Event lief es für BMW deutlich besser. Einen derartigen Aufschwung traue ich auch Jonathan Rea und Kawasaki beim kommenden Event in Assen zu. Der Kurs liegt Rea, der in den zurückliegenden Jahren in Assen viele Siege feiern konnte.

Jonathan Rea

Mit Assen steht eine absolute Paradestrecke von Jonathan Rea bevor Zoom

Wie sieht Ihre Meinung dazu aus? Kann Jonathan Rea in der WSBK-Saison 2023 noch einmal zurückmelden oder ist der Traum vom siebten Titel bereits geplatzt? Teilen Sie mir Ihre Meinung auf Facebook unter "Sebastian Fränzschky - Motorsport-Journalist" mit. Dort gibt es meine Texte, Insiderinfos, Meinungen und Einschätzungen zu aktuellen Themen. Und natürlich die Möglichkeit, diese Kolumne zu diskutieren!

Sportliche Grüße,

Sebastian Fränzschky