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  • 31.10.2022 13:09

  • von Roland Hildebrandt

VW Phaeton (2002-2016): Klassiker der Zukunft?

Extrem luxuriös, extrem komplex: Mit dem Phaeton blies VW vor 20 Jahren zum Angriff auf die Mercedes S-Klasse - Der Erfolg blieb mäßig

(Motorsport-Total.com/Motor1) - Unsere geschätzten Leser haben bestimmt schon einmal die Rubrik "Kennen Sie den noch?" studiert. Dort stellen wir Autos von früher vor, die inzwischen fast vergessen sind. Doch was ist mit den Modellen, die durchaus noch zahlreich im Straßenverkehr umherfahren? Jene Typen, die jeder kennt, die schon deutlich über 20 Jahre, teilweise aber auch viel weniger auf dem Buckel haben.

Titel-Bild zur News: VW Phaeton (2002-2016)

VW Phaeton (2002-2016) Zoom

Werden sie einmal Oldtimer? Das birgt Zündstoff für kontroverse Diskussionen. Einige dieser Modelle wollen wir in unserer Reihe "Klassiker der Zukunft?" vorstellen.

Die späten 1990er- und frühen 2000er-Jahre prägte ein Mann: Ferdinand Piëch. Bereits bei Audi hatte der Manager gezeigt, was technisch machbar war. Später setzte sich der begnadete Ingenieur mit dem Bugatti Veyron sein eigenes Denkmal. Als weiteres typisches Piëch-Auto gilt der VW Phaeton. Noch heute fragt man sich: genial oder größenwahnsinnig?

Das Beste oder Nichts: Der Mercedes-Slogan passt eigentlich viel besser zur Marke VW der Ära Piëch. Bereits Autos wie der Golf IV oder der Passat B5 zeigten die Premium-Absichten mit schmalen Fugen und wertigen Innenräumen. Doch würden die Kunden auch bereit sein, ein Luxusauto mit dem VW-Logo zu kaufen?

Ein Volkswagen für das gehobene Volk

Es war von Beginn an ein ehrgeiziges Projekt, das der damalige Volkswagen Vorstandsvorsitzende Ferdinand Piëch Ende der Neunzigerjahre auf den Weg brachte. Er wollte mit einer Luxuslimousine ein neues Marktsegment für Volkswagen erschließen und zugleich die ganze Marke auf ein neues Niveau heben.

Als Versuchsballon stand auf der IAA 1999 die Studie "Concept D" mit Fließheck. Sie nahm schon gewisse Elemente des späteren Porsche Panamera, doch bei VW entschied man sich für ein konservativeres Design mit Stufenheck. Keine verkehrte Entscheidung, doch der finale Phaeton wirkte auf viele Betrachter wie ein aufgeblasener Passat.

War der VW Phaeton ein Erfolg? Bei den Stückzahlen eher nicht: In 14 Jahren entstanden nur 84.235 Fahrzeuge. Markenlogo und Optik des Autos verstrahlten einfach weniger Prestige als Audi, BMW oder Mercedes, da konnte Bundeskanzler Gerhard Schröder noch so oft im Phaeton vorfahren.

Vielleicht hätte VW schon früher einen Phaeton D2 als Nachfolger bringen sollen. Ein neuer Phaeton war 2016 fertig, wurde aber trotz Serienreife im Zuge der Dieselkrise und der Ausrichtung auf Elektromobilität gecancelt


Fotostrecke: VW Phaeton (2002-2016): Klassiker der Zukunft?

Aber wie so oft zeigt sich retrospektiv: Was damals umstritten war, sieht 20 Jahre später durchaus zeitlos aus. Im Dezember 2001 begann die Produktion des Phaeton in der eigens eingerichteten "Gläsernen Manufaktur" in Dresden, im Mai 2002 kam die Limousine auf den Markt.

Zwei Radstände und enormer Luxus

Das Volkswagen-Flaggschiff wurde mit zwei Radständen angeboten. In der Standard-Konfiguration (Radstand: 2.881 Millimeter) maß der Phaeton 5.059 Millimeter. Die Version mit langem Radstand (plus 120 auf 3.001 Millimeter) kam in der Länge auf insgesamt 5.179 Millimeter. Beide Karosserieversionen sind 1.903 Millimeter breit und 1.450 Millimeter hoch.

Unter der ruhig gezeichneten Karosserie verbarg sich ein Innenraum von stilsicherer Eleganz. Chrom, Holzfurnier aus bis zu dreißig Materialschichten und Leder - dieser Dreiklang verdichtete sich am Wählhebel der Automatik, der so massiv und kraftvoll wirkte wie der Schubhebel einer Motoryacht.

Holzpaneele deckten die Luftausströmer ab; je nach Einstellung der Klimaautomatik und nach Sonneneinstrahlung öffneten sie sich bei Bedarf elektrisch und lautlos. Auch bei voller Leistung arbeitete die Lüftung nahezu zugfrei.

Schwer ins Schloss fallende Türen und dicke Glasscheiben isolierten die Fahrgäste von der Außenwelt, die Fugen zwischen den Bauteilen verliefen extrem schmal und strikt parallel. Das optionale Dynaudio-Soundsystem verwöhnte auch anspruchsvolle HiFi-Genießer.

Zu ganz großer Form lief der Phaeton auf Langstrecken auf. Seine serienmäßige Luftfederung samt adaptiver Dämpfung ließ ihn geschmeidig-weich über die Autobahn gleiten. Dank ihrer extrem hohen Torsionssteifigkeit kannte die Karosserie kein Klappern oder Knarzen.

Die Motorhaube, die Türen und der Kofferraumdeckel bestanden aus Aluminium. Als Chauffeurlimousine gab es eine um 120 Millimeter verlängerte Phaeton Version mit opulentem Platzangebot im Fond. Einzelsitze mit Massage und Belüftung waren - wie auch in der Normalversion - auf Wunsch zu haben.

Auch der Name Phaeton symbolisierte den exklusiven Status der großen Limousine. Er knüpfte nicht nur an die griechische Mythologie an, sondern auch an gleichnamige klassische Modelle von Horch und Skoda.

Beim Produktionsstart in Dresden im Dezember 2001 brachte es Ferdinand Piëch auf den Punkt: "An diesem Ort werden wir das Top-Fahrzeug der automobilen Oberklasse von Volkswagen fertigen. Hier werden feinste Handarbeit und modernste Technologie sichtbar und fühlbar."

Für das neue Flaggschiff war nur das Allerbeste gut genug - das galt auch für die Fertigung. Am Rand der Dresdner City entstand die Gläserne Manufaktur, ein Industriebau von hoher architektonischer Qualität.

In seinen lichtdurchfluteten Hallen wurde der Phaeton nahezu vollständig in Handarbeit montiert. Die Beschäftigten waren in Weiß gekleidet, viele von ihnen trugen Handschuhe. Und die Hallenböden waren mit hellem Bergahornholz aus Kanada und dunkler deutscher Mooreiche ausgelegt.

Monster-Motoren und diverse Facelifts

Frühe Phaeton-Kunden konnten zwischen zwei frei saugenden Benzinern und einem TDI wählen. Als Einsteigermotor diente der kompakte 3.2 V6, dessen Zylinderbänke im engen Winkel von 15 Grad zueinander standen; er leistete 177 kW (241 PS). Auch der zweite Ottomotor, der W12, baute ungewöhnlich kurz - er war in Form eines "W" aus zwei V-Sechszylindern zusammengesetzt.

Aus sechs Liter Hubraum entwickelte er 309 kW (420 PS). Apropos W: Der W8 mit 4,0 Liter Hubraum aus dem VW Passat W8 kam nicht beim Phaeton zum Einsatz.

Das ungewöhnlichste Aggregat bildete der V10 TDI: Mit 5 Liter Hubraum, zwei Turboladern mit verstellbarer Turbinengeometrie, 230 kW (313 PS) Leistung und 750 Nm Drehmoment machte das Treibwerk den Phaeton zur damals stärksten Diesellimousine der Welt. Wie beim W12 wurde die Antriebskraft über ein Automatikgetriebe und den Allradantrieb 4MOTION auf alle vier Räder übertragen; der 3.2 V6 hatte serienmäßig Frontantrieb.

Im Lauf der 15-jährigen Bauzeit entwickelte sich das Motorenprogramm immer weiter. 2003 zog ein 4,2-Liter-V8 in die Luxuslimousine ein, ein Jahr später folgte der 3.0 V6 TDI. Er entwickelte sich rasch zur meistverkauften Motorisierung, in seiner letzten Ausbaustufe kam er auf 180 kW (245 PS). Der Zehnzylinder-Diesel entfiel 2006, der W12 fünf Jahre später. Und der 3.2 V6 wich einem 3,6-Liter (bekannt aus dem Passat R36) und einem 3,0-Liter.

Vier Modellpflegemaßnahmen, die zwischen 2007 und 2014 statt-fanden, hielten den Phaeton aktuell. Sie beinhalteten Neuerungen wie ein Multimediasystem mit Touchscreen, Kohlefaser-Keramik-Bremsen für den W12, Assistenzsysteme wie Rear Assist, Side Assist und verbesserte ACC, eine Verkehrszeichenerkennung per Kamera und eine dynamische Fernlichtregulierung.

Für einige Jahre gab es auch selbstleuchtende Nummernschilder mit Elektrolumineszenz-Technik.

Die große Überarbeitung von 2010 brachte einen neuen Look an Front und Heck mit sich, der vor allem bei den Kundinnen und Kunden in China gut ankam. Für diesen "neuen Phaeton" wurde eine komplett neue Frontpartie mit einem großen Chromelement entwickelt. Hinzu kamen ein geändertes Cockpit und mehr Assistenzsysteme.

Aufwendige Technik

Noch heute bemerkenswert sind die unzähligen Details der Technik, bei denen sich die Ingenieure ausgetobt haben. Analog zum Fahrwerks- und Antriebsstrang sind alle Karosseriekomponenten der in den Stahlteilen vollverzinkten Karosserie des Phaeton auf eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 300 km/h (!) ausgelegt.

Neben hochfesten Stählen setzte Volkswagen Leichtbauwerkstoffe für die Karosserie ein. Die Türen sowie die Kofferraum- und Motorhaube bestehen aus Aluminium, die vorderen Kotflügel aus einem hoch widerstandsfähigen Kunststoff.

Feines Hightech-Detail am Rande: Die Kofferraumhaube des Phaeton W12 (und sonst optional) wird per Servomechanismus automatisch geöffnet und geschlossen. In diesem Fall bestehen die Heckklappenscharniere aus Aluminium; allein aufgrund ihres ästhetischen Anblicks lohnt sich hier das Öffnen.

Eine Sonderstellung im Komfortbereich nimmt die 4-Zonen-Climatronic des Phaeton ein. Die einzigartige Anlage bietet drei wesentliche Vorteile. Erstens: Im Volkswagen Flaggschiff können auch die links und rechts im Fond Sitzenden getrennt voneinander ihre individuelle Soll-Temperatur einstellen; über die vier regelbaren Zonen erklärt sich außerdem die Bezeichnung 4-Zonen-Climatronic.

Zweitens: Die kühlende oder wärmende Luft gelangt indirekt über automatisch öffnende und schließende Ausströmer gelenkt, weitgehend zugfrei in die definierten Zonen.

Drittens: Via Kontrolle der Luftfeuchtigkeit ist eine Funktion integriert, die automatisch das Beschlagen der Scheiben erkennt und dem präventiv entgegenwirkt. Beim Phaeton W12, den 4-sitzigen Ausstattungen und sonst optional, steht ein 18-Wege-System zur Sitzverstellung zur Verfügung.

Geldgrab Phaeton

Die komplexe Luftfederung des Phaeton besteht im Detail aus folgenden Grundelementen: insgesamt vier Luftfederbeine an Vorder- und Hinterachse, einem Luftversorgungsaggregat, einem Druckspeicher, einem Steuergerät, insgesamt vier Niveausensoren an der Vorder- und Hinterachse, drei Beschleunigungssensoren am Fahrzeugaufbau sowie vier Beschleunigungssensoren an den Radaufhängungen.

Grundsätzlich bietet der Phaeton drei unterschiedliche Höhenniveaus des Fahrwerks: das Normalniveau (NN), das Hochniveau (HN) 25 Millimeter über dem Normalniveau und das Tiefniveau (TN) 15 Millimeter unter dem Normalniveau; es wird geschwindigkeitsabhängig automatisch angesteuert, um die Fahreigenschaften und den Verbrauch bei höherem Tempo (ab 140 km/h) zu optimieren.

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20 Jahre später zählt der Phaeton als Gebrauchtwagen und man muss Interessenten warnen: Wenn das Fahrwerk defekt ist und der Wagen tief auf dem Boden liegt, wird es teuer. Sich zum schmalen Taler einen Phaeton zuzulegen, ist nicht das Problem. Doch die laufenden Kosten zeigen, dass er Luxusklasse war und bleibt. Und vom Aspekt "Klassiker der Zukunft" ist fraglich, ob es langfristig Ersatzteile für die Hightech-Innereien geben wird.

Erfolgreichster Motor in Europa war der V6 TDI mit 240 PS (95 Prozent Volumenanteil). In China entschieden sich dagegen 94,4 Prozent der Kunden für den V6 FSI, einen 280 PS starken Benzindirekteinspritzer. Auf dem russischen Markt besonders stark gefragt (53,7 Prozent) war der 335 PS starke V8-Benziner des Phaeton.

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