• 02.11.2022 14:12

  • von Roland Hildebrandt

VW Passat R36 (2008): Klassiker der Zukunft?

War früher alles besser? Zumindest gönnte sich VW vor gut 15 Jahren noch fette 3,6 Liter Hubraum im Passat R36 - Wir sind ihn gefahren

(Motorsport-Total.com/Motor1) - Unsere geschätzten Leser haben bestimmt schon einmal die Rubrik "Kennen Sie den noch?" studiert. Dort stellen wir Autos von früher vor, die inzwischen fast vergessen sind. Doch was ist mit den Modellen, die durchaus noch zahlreich im Straßenverkehr umherfahren? Jene Typen, die jeder kennt, die schon deutlich über 20 Jahre, teilweise aber auch viel weniger auf dem Buckel haben.

Titel-Bild zur News: VW Passat R36 (2008)

VW Passat R36 (2008) Zoom

Werden sie einmal Oldtimer? Das birgt Zündstoff für kontroverse Diskussionen. Einige dieser Modelle wollen wir in unserer Reihe "Klassiker der Zukunft?" vorstellen.

R36: Der Name war Programm

War früher alles besser? Nun, man neigt mit fortgeschrittenem Alter zur Verklärung. Doch im Fall von VW bin ich fast geneigt zu sagen: Ja. Zumindest nach einer Fahrt im VW Passat R36.

Im Frühjahr 2008 startete als Topmodell der B6-Baureihe der Passat R36 mit 220 kW (300 PS) als Limousine und Variant. 360 Nm standen zwischen 2.400 bis 5.300 U/min bereits, dazu stets Allrad. Aber noch viel wichtiger war der 3,6-Liter-Sechszylinder unter der Haube. 3,6 Liter. Heute macht man bei VW daraus drei Motoren.

Zu erkennen ist das Topmodell an rundum geänderten Schürzen, getönten Rückleuchten sowie an mehr Chrom als am Serienmodell. Am Heck ist der stürmische Nieder­sachse an je einem verchromten Abgasrohr links und rechts sowie an einem kleinen Kofferraumklappen-Spoiler zu erkennen. Er soll nicht nur dem Hinterteil des R36 ein dynamischeres Aussehen verleihen, sondern auch den Abtrieb an der Hinterachse minimieren.

Ära Winterkorn im R36 deutlich spürbar

Der stärkste Motor hat eine eigene Ausstattungsvariante; serienmäßig sind 18-Zoll-Leichtmetallräder und die Dekoreinlagen "Aluminium dunkel gebürstet", hinzu kommen doppelt übereinander liegende Chromstreben im Kühlergrill.

Bis Sommer 2010 wurde der R36 gebaut, generell merkt man die Ära Winterkorn an vielen Ecken. Etwa bei den hochwertigen Materialien im Innenraum, wenngleich das erwähnte "Aluminium" auch nur Plastik ist. Abgesehen davon fasst sich alles nach 16 Jahren noch ausgezeichnet an. Bei einem VW Golf 8 wäre ich skeptisch ...

Und was auch auffällt: Die einfache Bedienung. Keine Myriaden an Assistenzsystemen oder kinoartige Displaylandschaften. Sondern blaue Instrumentennadeln in Höhlen und als Krönung der Komplexität ein Tastenfeld fürs Handy. Reinsetzen, Außenspiegel einstellen, Motor anlassen, Wählhebel des 6-Gang-DSG auf D.


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Mit sonorem Klang setzt sich "meine" weiße VW Passat R36 Limousine in Gang. Zunächst dezent, unter Last dann mit markant bassiger Stimme, bei dem ich entfernt auch alte Audi-Fünfzylinder heraushöre.

Wolf im Schafspelz

Wie schrieb mein Kollege anno 2008? "Mit dem Passat R36 kommt allerdings ein Wolfsburger angestürmt, der vermutlich mehr Emotionen weckt, als je ein Passat zuvor. Insgesamt gibt sich der R36 eher als Wolf im Schafspelz: Eleganz statt prolligem Auftritt, Understatement statt aggressiver Optik. Und genau das macht ihn sympathisch."

Zu den verfügbaren Optionen gehörten damals das Navigationssystem mit großem Farbdisplay für 2.260 Euro und 14-fach verstellbare Sessel mit schicken Microfaser-Leder-Bezügen für 2.245 Euro. "Die Sportsitze vorn sind ein Genuss für sich", hieß es damals, dem ist nichts hinzuzufügen.

Seine praktischen Eigenschaften offenbart der Volks-Bolide im Fond: Hier sind zwei Gäste auf Reisen bequem und mit viel Kopf- und Beinfreiheit untergebracht. Zu den weiteren Alltags-Qualitäten gehört der immerhin 541 Liter große Kofferraum.

"Der bereits erwähnte 3,6-Liter-Motor gibt sich in punkto Sound eher dezent. Er ist einer der leisen Stark-Antriebe, die nicht mit ihrer Kraft protzen, sondern dezent im Hintergrund bleiben. Die V6-Maschine läuft kultiviert und gibt beim Hochdrehen eher ein Rauschen als ein Fauchen von sich.", lese ich im alten Testbericht. Rauschen? Das ist Auslegungssache, ich würde dem Passat R36 eine Sonorität nicht absprechen wollen.

"Den starken VW schnell voranzubringen, ist eine wahre Freude. Souverän und überaus spritzig sprintet der Passat beim ersten Druck aufs Pedal los. Nach kurzen 5,6 Sekunden ist Tempo 100 erreicht, die Spitze wird bei 250 km/h sanft abgeregelt. Der Super-Passat gleitet mit seinem 25 Millimeter tiefer gelegtem Sportfahrwerk komfortabel und satt über den Asphalt."

Direkt, aber nicht sparsam

"Für ein so sportliches Auto ist er noch nicht einmal zu straff abgestimmt, dennoch dürfte der Unterbau für lange Strecken noch besser gefedert sein. Dank der direkt abgestimmten Lenkung und dem permanentem Allradantrieb lässt sich der schnelle Volkswagen mit hohem Kurvenspeed ums Eck zirkeln."

Allerdings! Wobei der Passat R36 seine Insassen den Asphalt schon gut spüren lässt. Heutige adaptive Fahrwerke sind da flexibler. Die Lenkung hingegen ist wirklich direkt und reagiert für mein Empfinden sogar feinfühliger als das System im aktuellen VW Golf R "20 Years". Und auch das DSG geht seiner Arbeit überraschend gut nach, die Schaltvorgänge merke ich kaum. (DSG-Lästerzungen würden noch ergänzen: Fein, solange das Getriebe funktioniert.)

"Wir haben uns bei unserem Test nicht ganz so zurückgehalten und die dynamischen Qualitäten des 300-PS-Passat öfter abgefragt. Im Durchschnitt haben wir mit einer straffen Fahrweise 12,3 Liter auf 100 Kilometer verbraucht." Schockschwerenot!

Zum Glück war der Sprit damals noch billiger. Trotzdem würden 1,3-Liter-Plug-in-Hybrid-Marketingstrategen bei dieser Zahl einen Infarkt bekommen. Ein großer Sechszylinder will eben ordentlich gefüttert werden.

Noch sind sie preiswert ...

Der Passat R36 kostete damals als viertürige Limousine 45.100 Euro, als Variant ab 46.400 Euro. Unser Testwagen lag bei 52.340 Euro und hatte dafür auch unter anderem das Navigationssystem, Seitenairbags hinten und einen CD-Wechsler an Bord.

Damals eine Stange Geld, in heutigen Zeiten zweistelliger Inflation fast schon traumhaft. Zum Vergleich: Heute beginnt ein VW Passat Variant 1.5 TSI mit 150 PS und DSG bei über 37.000 Euro. Ohne Extras, versteht sich.

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Das Fazit von 2008: "Der Passat R36 ist ein Auto für Leute, die nicht gerne auffallen möchten, aber dennoch eine starke Limousine fahren wollen." So ist es. Inzwischen kann es sich lohnen, einen Passat R36 aufzuheben.

Sofern man einen findet. Das Gros der angebotenen Gebrauchtwagen sind Passat CC mit dem gleichen Motor, der auch im VW Phaeton zum Einsatz kam. Im Fall des CC beginnen die Preise schon unter 10.000 Euro, einen "echten" R36 gibt es kaum unter 15.000 Euro.

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