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  • 01.07.2022 12:04

  • von Roland Hildebrandt

Unterwegs im Audi 80 L (1974): Die Straßen von Kottingwörth

Obwohl 1,1 Millionen Exemplare vom Band liefen, ist der erste Audi 80 selten geworden - Zum 50. Geburtstag fuhren wir ein Exemplar mit 55 PS

(Motorsport-Total.com/Motor1) - Kollege Wagner ist verwöhnt: 510 PS, 2,9-Liter-Biturbo-V6. Doch nun sollen 55 PS aus 1,3 Liter Hubraum unser Antrieb bei der Donau Classic 2022 sein. Das kann ja heiter werden, denke ich mir. Und bekomme Recht. Aber anders als erwartet. "So ein angenehmes Auto" bekennt der Alfa- und Porsche-Symphatisant bereits nach knapp einer Stunde.

Titel-Bild zur News:

Audi 80 L (1974) Donau Classic 2022 Zoom

Offenbar hat auch ihn der erste Audi 80, der zwischen 1972 und 1978 (mit einem Facelift ab August 1976) vom Band lief, gepackt. Wie damals gut 1,1 Millionen Käufer. Diese erstaunliche Anzahl baute Audi in nur sechs Jahren von der Limousine, intern B1 genannt. Und trotzdem sind frühe 80 dank der rostintensiven 70er-Jahre fast verschwunden und rare Gebrauchtwagen.

Wobei der 80 gar nicht so schlicht war, wie er für uns auf den ersten Blick wirkt. 50 Jahre alt fühlt sich die Konstruktion des ersten Audi 80 nämlich nicht an. Beim Thema 1972 kommt mir spontan die damals erstausgestrahlte TV-Serie "Die Straßen von San Francisco" in den Sinn. Wir fühlen uns wie Karl Malden und Michael Douglas. Aber unser Ford Galaxie ist ein Audi 80 und unsere Straßen führen durch Orte wie Kottingwörth.

Zweckmäßig und dank Holzoptik durchaus wohnlich

Allzu weit hergeholt ist diese Analogie nicht: Im "Tatort" aus Essen fuhren die Ermittler Haferkamp/Kreutzer zunächst einen B1, im realen Polizeidienst sah man den Audi 80 als Streifenwagen in Bayern.

Unser Dienstfahrzeug ist ein 80 L von 1974, an dem nur wenig Chrom glänzt. Und auch innen gibt er sich eher karg. Und das, obwohl noch eine gänzlich buchstabenlose Basisversion existierte. Vermutlich war sie ein Fall für Pfennigfuchser und Behörden. Der L wirkt zweckmäßig und dank Holzoptik durchaus wohnlich, aber bei weitem nicht opulent.

Aber vor fast 50 Jahren genügte das den Kunden, die vom VW Käfer, Opel Kadett oder dem Vorgänger Audi 60 kamen.

Dünne Türen eine Gefahr im Unfallsfall

Gegenüber diesem war der Audi 80 schmaler, flacher und vor allem gut 20 Zentimeter kürzer. Heutzutage erscheint so etwas undenkbar! Gut 4,17 Meter Länge reichten in den 70ern noch zur Mittelklasse, heute kratzt bereits manch ein Kleinwagen an dieser Marke. Zu unserer Überraschung ist der 80 trotz nur 1,60 Meter Breite auffallend geräumig. Gut, hinten in unserem Zweitürer könnte es kuschelig werden. Vorne bleibt aber genug Platz zwischen uns.

Natürlich sind die Türen ziemlich dünn, an einen Unfall wollen wir lieber nicht denken. Aber der Rest beeindruckt als durchdachtes Gesamtpaket. 450 Liter Kofferraum, kein störender massiver Mitteltunnel, eine perfekt zu überblickende Motorhaube mit Mittelfalte wie beim VW K 70, große Fenster und ein funktionales Armaturenbrett. Für Aufsteiger vom Käfer muss das wie ein Quantensprung gewirkt haben.

Technische Ideen wie der negative Lenkrollradius bescherten dem B1 den Titel "Auto des Jahres" 1973 in Europa. Zudem war der frontgetriebene Audi 80 die Blaupause für den ersten VW Passat, auch der Golf I profitierte vom Know-how der Ingenieure aus Ingolstadt. Die Umwandlung des 80 zum Passat ergab Sinn, schließlich war der Audi der finale Todesstoß für VW-Modelle wie 411/412 und K 70.

Nur 835 Kilogramm Leergewicht

Unter der Haube unseres Wagens arbeitet der intern EA 827 getaufte Vierzylinder in der niedrigsten Stufe mit 1,3 Liter Hubraum und 55 PS Leistung, aber obenliegender Nockenwelle. Eine echte Motorenlegende des Volkswagen-Konzerns, die in China noch bis 2013 zum Einsatz kam. Die Stückzahlen dürften im zweistelligen Millionenbereich liegen.

16,9 Sekunden auf Tempo 100 und 145 km/h Höchstgeschwindigkeit stehen beim 1300er auf dem Papier. Doch anno 1974 war das im automobilen Umfeld nicht mal schlecht für eine Basisversion. Zum Vergleich: Ein gleich starker Ford Taunus 1300 mühte sich in deutlich über 20 Sekunden auf 100 km/h.


Fotostrecke: Unterwegs im Audi 80 L (1974): Die Straßen von Kottingwörth

Und tatsächlich gehen die 55 PS mit typischem Audi-Klang beherzt zur Sache. Schon bei 2.500 U/min stehen die maximalen 94 Newtonmeter Drehmoment an. Und besonders entscheidend: Leer wiegt die Chose lediglich 835 Kilogramm.

Klassiker im Fahrbericht:

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Beim starken Kurbeln im Stand mangels Servolenkung oder der deutlichen Kurvenneigung mit den Reifen im Format 155/80 R13 merkt man das Alter des Audi. Sonst nicht. Lenkung, Schaltung, sogar die Bremsen fühlen sich angenehm verbindlich ein. Klar, einen Porsche können wir nicht mal eben verfrühstücken. Aber darum geht es auch nicht. Sondern um entspanntes Autowandern, ohne zur Wanderdüne zu mutieren.

Dafür sorgt schon der lautstarke Rabatz, den der Motor ab Tempo 100 macht. Apropos Rabatz: Ich erzähle dem Kollegen Wagner von den GT- und GTE-Modellen des Audi 80, bei denen bis zu 110 PS (der Golf GTI wurde dank Organspende zum Mythos) für flotten Vortrieb sorgten. Seine Augen beginnen noch mehr zu leuchten.

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