• 02.02.2024 13:50

  • von Roland Hildebrandt

Brüll-Würfel: Unterwegs im alten Rallye-Mini der 1960er

Vor 60 Jahren siegte erstmals ein Mini bei der Rallye Monte Carlo: Wir begeben uns hinter dem Lenkrad auf eine winterliche Zeitreise

(Motorsport-Total.com/Motor1) - Ob der kleine österreichische Junge jemals von Paddy Hopkirk, Timo Mäkinen und Rauno Aaltonen gehört hat? Ihren Dienstwagen findet er jedenfalls faszinierend. Okay, das kleine rote Auto ist kein Original, sondern nur eine Replika. Aber der Klang und der optische Auftritt reichen für viel kindliche Begeisterung.

Titel-Bild zur News: Austin Mini Cooper S Works Rallye im Test

Austin Mini Cooper S Works Rallye im Test Zoom

Der Grund unserer Vorbeifahrt an seinem Elternhaus sind eigentlich Fotos in den Kurven. Mini hat zur Geburtstagsausfahrt zum Ice Race nach Zell am See geladen. Mit besagtem Austin Mini Cooper S Works Rallye auf Basis eines 1963er-Modells und einem der letzten alten Modelle aus dem Jahr 2000. Schließlich siegte im Januar 1964, also vor 60 Jahren, erstmals ein Mini bei der berühmten Rallye Monte Carlo.

Mit dem Iren Patrick "Paddy" Hopkirk am Steuer gewann der Mini Cooper S die Gesamtwertung der Rallye Monte Carlo. Glück? Zufall? Eine Laune des Schicksals? Eher nicht, denn es folgten zwei weitere Siege bei der "Monte" und zahlreiche weitere Erfolge bis Ende der 1960er-Jahre. Die Gründe dafür hießen rückblickend: Moderne Technik, Top-Fahrer, neue Logistik-Maßstäbe.

Ende der 1950-er Jahre bewegten sich die Rallye-Größen meist in stattlichen und üppig motorisierten Fahrzeugen durch englische Wälder, über französische Pässe oder von Lüttich nach Sofia und wieder zurück. Austin-Healey, Mercedes Heckflosse oder Ford Falcon waren bei den Rallyes das Maß aller Dinge und beherrschten die Szene.

1959 war der Mini das modernste Auto seiner Zeit

In dieser Zeit baute der griechischstämmige Alec Issigonis im Auftrag der British Motor Corporation (BMC) das mit Abstand modernste Auto seiner Zeit: Mit dem vorn quer eingebauten Motor und Frontantrieb entsprach der klassische Mini bei seinem Debüt 1959 dem heute noch gültigen Standard für Kleinwagen.

Für eine beeindruckende Sportkarriere bedurfte es eines zweiten genialen Car Guys: John Cooper. Er war als Rennfahrer zu Ruhm und als Konstrukteur zu Wohlstand gekommen - und er war auf Anhieb vom sportlichen Potenzial des Mini überzeugt. Cooper, der schon bei seinen Formel-Autos den Motor nicht wie damals üblich vor dem Fahrer, sondern hinter ihm platzierte, brachte es gegenüber seinem Freund Issigonis, der im classic Mini mehr ein Auto für Jedermann sah, auf den Punkt:


Fotostrecke: Austin Mini Cooper S Works Rallye im Test

"Du hast keine Familienkutsche gemacht. Das ist ein verdammtes Rennauto. Gib ihm mehr Leistung, bessere Bremsen und bau das Ding."

Der Mini Cooper war maßgeschneidert für Rallyes

1960 entstand der erste Mini Cooper - mit stolzen 55 Pferdestärken anstelle der 34 PS des Ur-Mini von 1959. Schon 1961 stellte der gerade mal drei Meter große Mini Cooper die Welt der Schnellfahrer auf den Kopf. Er demokratisierte Geschwindigkeit. Denn ab sofort konnten auch weniger Betuchte mindestens genauso zügig über Land kacheln wie die Besitzer von reinen Sportwagen und PS-starken Limousinen. Und auf den Rallyepfaden und Rennpisten räumten die kleinen Racer mit ihren fast filigran anmutenden Zehn-Zoll-Rädern die Pokale ab.

Der Mini Cooper war wie maßgeschneidert für die damaligen Rallyestrecken. Kaum vorhandene Karosserieüberhänge sorgten für ein bis dahin unbekanntes neutrales Fahrverhalten. Die kompakte Karosserie ließ auf engen Bergstraßen immer noch ein bisschen Platz bis zum nächsten Mäuerchen, an dem man mit den Healeys und Falcons längst angeeckt wäre. Und dank der recht bescheidenen 650 Kilo, die ein Rallye Mini damals auf die Waage brachte, entstand mit den ebenfalls überschaubaren 55 PS ein durchaus akzeptables Leistungsgewicht.

Cockpit des Mini Cooper

Cockpit des Mini Cooper Zoom

Im Jahr 1962 nahm BMC-Sportchef Stuart Turner neben dem Iren Paddy Hopkirk zwei Talente aus den nordischen Wäldern unter Vertrag: Timo Mäkinen und Rauno Aaltonen. Die finnischen Eis-Eiligen und virtuosen Linksbremser teilten die Vorliebe für herzhaftes Gasgeben - und konnten dennoch nicht unterschiedlicher sein. Mäkinen war kein Freund der vielen Worte und ging als Fliegender Finne in die Geschichte ein. Aaltonen parlierte fließend in fünf Sprachen und betrieb den Motorsport mit wissenschaftlicher Akribie, was ihm später den Titel Rallye-Professor einbrachte.

Erster Fingerzeig in der "Nacht der langen Messer"

Es war die legendäre "Nacht der langen Messer", die vorletzte Etappe der Rallye Monte Carlo, die den Mini Cooper S mit der Startnummer 37 und dem seither berühmten Kennzeichen 33 EJB im Winter 1964 auf die Siegerstraße brachte. Bei der Prüfung am Col de Turini in den französischen Seealpen sind auf 24 Kilometern 34 Haarnadelkurven zu bewältigen - eine echte Herausforderung bei Schnee und Eis auf 1600 Meter Passhöhe.

Hopkirk erreichte das Ziel mit nur 17 Sekunden Rückstand auf seinen ärgsten Widersacher Bo Ljungfeldt im weitaus stärkeren Ford Falcon mit V8-Motor. Aufgrund der damals gültigen Handicap-Formel zum Ausgleich der Gewichts- und Leistungsunterschiede lag der classic Mini damit in der Gesamtwertung in Front. Und er verteidigte den Vorsprung auch beim abschließenden Rundstrecken-Rennen durch die Straßen Monte Carlos.

Mini Cooper bei der Rallye Monte-Carlo

Mini Cooper bei der Rallye Monte-Carlo Zoom

Auch in den Folgejahren dominierte der Mini Cooper die Rallye Monte Carlo. Timo Mäkinen gewann schon ein Jahr später mit großem Vorsprung. Dabei half auch die Hubraumerweiterung auf 1.275 Kubikzentimeter. Mäkinen blieb als einziger Teilnehmer über die gesamte Distanz strafpunktfrei. Die Veranstalter hatten trotz Unmengen an Schnee und Eis eine zweite Nachtfahrt durch die Seealpen angesetzt. Mäkinen und sein Mini Cooper S zeigten sich unbeeindruckt und gewannen auf der Abschlussetappe fünf der sechs Sonderprüfungen.

Leyland-Krise beendet das Motorsport-Programm

1966 dann der vermeintlich ultimative Triumph, als die Mini-Piloten die Plätze eins bis drei belegten. Die Rennleitung disqualifizierte alle drei Fahrzeuge wegen angeblich nicht regelkonformer Lichttechnik - eine Technik inklusive der charakteristischen Zusatzscheinwerfer vor dem Kühlergrill, die bis heute zu den beliebtesten Zubehörteilen im Programm der Marke gehört.

Selbst französischen Rallye-Enthusiasten war die Disqualifikation peinlich. 1967 holte sich dann Aaltonen den Gesamtsieg - und doch begann sich das Ende einer Ära abzuzeichnen. Im Folgejahr gewann Vic Elford auf einem Porsche 911 - Aaltonen rettete mit Platz drei die Ehre der Mini.

1970 war endgültig Schluss. Der Leyland-Konzern geriet in finanzielle Schwierigkeiten - ein grandioses Kapitel Motorsportgeschichte wurde geschlossen. Im Juli 1971 lief der vorerst letzte Mini Cooper S vom Band.

Unter BMW-Führung zurück in die Rallye-WM

Und natürlich spielen seit der Übernahme durch die BMW Group auch der Motorsport und der Name John Cooper nach wie vor eine wichtige Rolle. 2011 und 2012 knüpfte Mini mit dem John Cooper Works WRC bei ausgewählten Läufen der FIA World Rally Championship (WRC) an die Geschichte im Motorsport an.

Ab 2012 übernahm der speziell für Marathon-Rallyes konzipierte Mini ALL4 Racing eine besondere Herausforderung: die Rallye Dakar, der ultimative Härtetest für Fahrer, Fahrzeuge und Teams. Performance und Zuverlässigkeit führten von 2012 bis 2015 zu vier aufeinander folgenden Dakar-Erfolgen, denen 2020 und 2021 Nummer fünf und sechs folgten. Jene Autos waren dieses Jahr in Zell am See in Aktion zu sehen (siehe oben).

Doch zu "unserem" Mini Cooper S von 1963 im Stil des Monte-Siegerautos von 1965. Die unter dem mächtigen Überrollkäfig befindliche Rückbank zeigt den Nachbau, im Original wäre sie längst rausgeworfen worden. Ansonsten hat man sich aber viel Mühe gegeben: Das Cockpit ist übersät mit (zum Glück schriftlich erläuterten) Schaltern und Knöpfen, anfangen bei der Lichtbatterie vorne bis zu den vom Beifahrer bedienbaren Scheibenwischern. Gefahren wird natürlich rechts ...

Moderner Mini Cooper JWC WRC

Moderner Mini Cooper JWC WRC Zoom

Nur müssen erst einmal 1,88 Meter Redakteur hineingefaltet werden. Was schon im Classic Mini von 2000 zur Turnübung ausartet, gerät im 63er zu einer Mischung aus Yoga, Origami und Kamasutra. Linkes Bein irgendwie unter dem viel zu flach stehenden Lenkrad durchfädeln, Körper und rechtes Bein hinterher. Um dann zu schauen, wie man in dem engen Fußraum zwischen Heizung und Radkasten die Pedale trifft.

Merke: Paddy, Timo und Rauno müssen kleiner gewesen sein und trugen keine Winterstiefel. Ob auch sie mit dem hakeligen Viergang-Schaltgetriebe und dessen langen Wegen zu kämpfen hatten? Fest steht: So richtig bei Laune ist der Rallye-Mini zwischen 3.000 und 4.000 U/min. Respektive akustisch zwischen "Nachbar bohrt" und "Presslufthammer". Mit infernalischem Klang zieht das feuerrote Spielmobil voran, die "approximately" 90 PS aus 1.085 Kubik nehmen wir ihm nicht so wirklich ab.

Lahm ist er beileibe nicht, aber akustisch schneller als er tatsächlich ist. Immerhin: Das mittlerweile von Mini so überstrapazierte "Go-Kart-Feeling", hier ist es wirklich vorhanden. Vehement flitzt das Auto ums Eck, Kurven werden zur Freude. Nicht vergessen: Den Motor schön auf Touren halten. TÖRÖÖÖÖÖ! Hier kreischt Brülljamin Blümchen ...

Federungskomfort? Bieten allerhöchstens die Oma-Sesselchen im Format Kindergarten. Oder frei nach einem englisch klingenden Hustenbonbon: Ist er zu hart, bist Du zu schwach. Wer mit diesem Auto über ein 2-Euro-Stück fährt, weiß danach, aus welchem Land es kommt.

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Und so sägen wir stundenlang Richtung Berge, das Lenkrad eher auf den Beinen als davor. Quasi "Tortur Red" in "Tartan Red". Eigentlich müssten wir nach der Ankunft am Zielhotel das Auto hassen. Tun wir aber nicht. Denn Freude am Fahren lässt sich auch britisch definieren. Als kleiner roter harter Schnaps auf Rädern.

Fotos: Hardy Mutschler/BMW Classic