• 22.11.2023 11:44

  • von Roland Hildebrandt

60 Jahre Porsche 911: Vom 901 zum Elfer

Der Porsche 911 wird 60 Jahre alt. Statt die komplette Modellgeschichte zu erzählen, blicken wir zurück auf die Anfänge des Sportwagens als 901

(Motorsport-Total.com/Motor1) - Er steht sinnbildlich für "den Porsche", Literatur über ihn füllt locker ganze Bibliotheken. Jetzt wird der Porsche 911 runde 60 Jahre alt. Doch anstelle seine komplette und komplexe Modellgeschichte langatmig zu erzählen, reisen wir zurück zu den Anfängen. Zum "Elfer", der eigentlich ein "Null-Einser" war.

Titel-Bild zur News: Porsche

Porsche 901 Zoom

Ende der 1950er-Jahre näherte sich der Porsche 356 unaufhaltsam der Grenze seiner Möglichkeiten. Entstanden als Ableitung des Volkswagens waren (wie beim VW Käfer selbst) die Potenziale von Motor, Fahrwerk und Karosserie praktisch ausgeschöpft. Nach mehreren Vorüberlegungen - unter anderem zu einem Viersitzer - kristallisierte sich ein erstes Lastenheft für den Nachfolger des 356 heraus.

Ferry Porsche ließ unter anderem knapp auf dem karierten Wunschzettel notieren: "2-Sitzer mit 2 bequem. Notsitzen. Rückblickspiegel in Kotflügel einbeziehen. besserer Einstieg." Der Verkauf forderte gleichzeitig: "Bisherige Porsche-Linie beibehalten. Kein grundsätzlich neuer Wagen. Sportl. Charakter." Die Marschrichtung war damit vorgegeben: Evolution statt Revolution. Das galt auch für die Technik. Das Antriebsprinzip mit dem Boxermotor im Heck sollte beibehalten, das Fahrwerkkonzept modernisiert werden.

Im Mittelpunkt stand freilich zunächst die Form der künftigen Baureihe. Eine Designabteilung gab es bei Porsche damals noch nicht, die Formgebung war ein Bestandteil der Karosserieentwicklung. Mehrere Vorschläge aus der Konstruktion, aber auch namhafter Designer waren bei Porsche eingegangen. So elegant sie mitunter gezeichnet waren, nicht einer davon stieß bei Ferry Porsche auf Gegenliebe: Sie seien schön, aber eben keine Porsche, urteilte der Firmenchef.

Den entscheidenden Impuls gab laut Porsche erst der Entwurf eines blutjungen Designers, der 1957 in das Konstruktionsbüro der damaligen Dr. Ing. h.c. F. Porsche KG eingetreten war: Ferry Porsches Sohn Ferdinand Alexander modellierte 1959 ein Coupé, das erstmals den Vorstellungen des Firmengründers nahe kam. Auf der Grundlage seiner Entwürfe entstand 1960 mit dem Prototyp 754 die vielversprechende Studie eines Viersitzers.

Der Typ 754 trug bereits die meisten typischen Merkmale der heutigen Design-Ikone 911. Die abgeflachte Fronthaube zwischen den frei stehenden Kotflügeln. Die schräg stehenden integrierten Scheinwerfer, die A-Säulen mit der Windschutzscheibe, die elegant auslaufende Heckpartie. Fast alle Bedingungen des Lastenheftes hatte der Entwurf erfüllt. Mit einer Ausnahme: Das gewünschte Fließheck. Ferry Porsche bestand darauf und erteilte dem Viersitzer damit eine Absage. Als Kompromiss wurde der Radstand von 2.40 Meter der bisherigen Entwürfe auf 2.20 Meter verkürzt.

1962 startete die Entwicklung des Fließheck-Coupés mit 2+2-Sitzanordung. Seine Typbezeichnung: 901. Am Abend des 9. November 1962 rollte der erste Prototyp zur Versuchsfahrt aus dem Zuffenhausener Werkstor. Die Zeit war knapp. Bis zum Herbst 1963 sollte ein fahrfertiges Auto entstehen um auf der IAA Weltpremiere zu feiern. Die Ingenieure waren nicht nur mit dem 901 beschäftigt, sondern hatten zeitgleich auch eine Reihe von Entwicklungsaufträgen zu bearbeiten.

Porsche war ja nicht nur Automobilhersteller, sondern weiterhin ein viel beschäftigtes Konstruktionsbüro. Erschwerend kam hinzu, dass der Karosserielieferant Reutter vor den Investitionen für das neue Modell zurückschreckte. Um überhaupt an eine Serienfertigung zu denken, blieb nur die Flucht nach vorn: Porsche übernahm im Sommer 1963 das Presswerk, einschließlich seiner rund 1000 Mitarbeiter.

So feierte Porsche am 12. September auf der IAA die Weltpremiere des 901 mit einem Vorserienfahrzeug, dessen Stand noch längst nicht endgültig war. Erst im Mai 1964 war die Entwicklung soweit fortgeschritten, dass das neue Modell der Fachwelt vorgestellt werden konnte. Der Sechszylinder-Boxermotor mit acht Kurbelwellenlagern war komplett neu. Eine Trockensumpfschmierung sorgte für ausreichende Ölversorgung auch bei hoher Längs- und Querbeschleunigung.

In den Zylinderköpfen rotierte jeweils eine Nockenwelle, angetrieben über Zwischenwellen und eine Kette. 9:1 verdichtet schöpfte das Triebwerk aus dem Hubvolumen von 1991 ccm eine Leistung von 130 PS bei 6.200 Umdrehungen pro Minute.

Auf der Abgasseite bediente sich Porsche des vom 356 bewährten Prinzips der Wagenheizung über Wärmetauscher. Die Heizungsrohre verliefen in den Schwellerkästen mit Austrittsöffnungen in Höhe des Fußraums. Heck- und Frontscheibe wurden direkt von Entfrosterdüsen mit Warmluft beaufschlagt.

Um Komfortnachteilen gegenüber wassergekühlten Konkurrenzfahrzeugen vorzubeugen, sah man für den 901 eine serienmäßige Zusatzheizung im Vorderwagen vor. Zur Kraftübertragung diente ein neu entwickeltes Fünfgang-Getriebe, das auch beim zeitgleich debütierenden 904 Carrera GTS eingesetzt wurde.

Am 14. September 1964 startete Porsche die Serienproduktion des 901. Die ersten Fahrzeuge blieben ausschließlich im Werksbesitz oder wurden als Ausstellungsfahrzeuge eingesetzt.

So auch für den Pariser Autosalon, der noch im selben Monat öffnete. Die Ausstellung bescherte Porsche jedoch ein unerwartetes Hindernis: Die erstaunte Porsche-Geschäftsleitung erreichte Anfang Oktober 1964 der Einspruch des französischen Herstellers Peugeot, der hinsichtlich der Typenbezeichnung 901 auf eine Verletzung des französischen Urheberrechts und Warenzeichenschutzes hinwies.

Die Verkaufsleitung schlug daraufhin vor, das Typenprogramm so zu verändern, daß anstelle der "0" jeweils eine "1" eingefügt wurde. Durch diese pragmatische Lösung mussten beispielsweise die vorbereiteten Drucksätze für Verkaufs- und Werbeunterlagen, Betriebsanleitungen und andere Schriftstücke nicht umfangreich geändert werden.

So zumindest die seither kolportierte Legende. Gewiss, 911 war eingängiger als 901. Oder man dachte schwäbisch-sparsam: Zwei Einsen aus Metall sind günstiger als eine Null. Allerdings gab es später auch einen Porsche 912 mit Vierzylinder. Wie auch immer: Gegen die Peugeot-Null-Theorie spricht schon eine Überlegung: BMW baute lange die Modelle 501, 502, 503 und 507. Reaktion von Peugeot? Keine, obwohl die Bezeichnung 503 näher am hauseigenen 403 war als 901. Tatsächlich nutzten die Franzosen die 9er-Nummern viel später nur für Rennwagen.

Am 22. Oktober 1964 gab Ferry Porsche die Order zur Namensänderung. Der 901 hieß nach diesem Tag 911. Just an diesem 22. Oktober 1964 nahm in der Fertigung ein 901 Gestalt an, der unter der neuen Bezeichnung 911 auf die Straße kommen sollte. Es war das dritte und letzte Fahrzeug, das an diesem Tag gebaut wurde. Das rote Coupé trug die Fahrgestellnummer 300 057. Heute ist die Nummer 57 der Stolz des Porsche Museums.

Der Basispreis des neuen Porsche lag bei 21.900 Mark. Ein saftiger Aufpreis gegenüber dem bisherigen 356, weshalb sich die Kunden zunächst zurückhielten. Anfangs leistete der luftgekühlte Sechszylinder-Boxermotor 130 PS, ausreichend für 210 km/h. Zum Vergleich: Ein VW 1200 Standard mit 30 PS fuhr damals 112 km/h schnell.

Ab 1965 bot Porsche den vierzylindrigen 912 an, der die Verkäufe in Schwung brachte. Ein Jahr später präsentierte Porsche den 911 S mit 160 PS und im Herbst 1965 den 911 Targa mit seinem markanten Edelstahl-Überrollbügel - laut der Werbung "das erste Sicherheitscabriolet der Welt". Hier können Sie lesen, wie sich ein früher Porsche 911 von 1966 fährt.

Bis Geschäftsjahr 1973 stellte Porsche 81.100 Stück des 911 und 30.895 Einheiten des 912 her. Innerhalb der vergangenen 60 Jahre entstanden bis Ende 2022 insgesamt 1.203.735 Porsche 911. Ferry Porsche hatte einst die Vielseitigkeit des Sportwagens auf den Punkt gebracht: "Der 911 ist das einzige Auto, mit dem man von einer afrikanischen Safari nach Le Mans, dann ins Theater und anschließend auf die (sic!) Straßen in New York fahren kann."

911-Baureihen im Rückblick:

Porsche 911 (993): Der letzte luftgekühlte Elfer wird 30

Porsche 911 (996) (1997-2006): Der umstrittenste Elfer wird 25