• 26.06.2007 20:24

Nach dem Rennen ist vor dem Rennen

Eben noch durfte Michelin über den Sieg in Le Mans jubeln, jetzt denkt Matthieu Bornadel schon weiter: "Bald starten die Vorbereitungen für 2008"

(Motorsport-Total.com) - Nach dem Rennen ist vor dem Rennen: Kaum ist der Champagner auf den Kappen der siegreichen Michelin Partner bei den 24 Stunden von Le Mans getrocknet, stehen für die Pneu-Spezialisten aus Clermont-Ferrand bereits die nächsten Aufgaben auf dem Programm. Zuvor blickt der Hersteller allerdings noch auf die Triumphfahrt der Marke mit dem Bibendum am vergangenen Wochenende zurück. Im Interview spricht Matthieu Bonardel, Direktor Michelin Automobilrennsport, über die Besonderheiten von Le Mans, die Zusammenarbeit mit Audi und Peugeot und darüber, wie sich Michelin für die Zukunft rüstet.

Titel-Bild zur News: Michelin-Reifen Le Mans

Mit Michelin-Pneus fuhr Audi durch alle Wetterlagen zum Sieg in Le Mans

Frage: "Was ist das Besondere an den 24 Stunden von Le Mans?"
Matthieu Bonardel: "Le Mans ist eine der größten Motorsport-Veranstaltungen der Welt, wenn nicht sogar die größte. Der Langstreckenklassiker gehört zu den Rennen auf Weltklasse-Niveau, bei denen noch der Wettbewerb unter den Reifenherstellern erlaubt ist. In puncto Pneus lassen uns die Regularien sehr viele Freiräume."#w1#

"Können uns nicht auf Lorbeeren ausruhen"

Frage: "Wie erklären Sie die Erfolge von Michelin in der jüngsten Vergangenheit?"
Bonardel: "Das Rennen von Le Mans ist mehr denn je eine anspruchsvolle technische Herausforderung. Die Sportwagen-Prototypen der neuesten Generation fordern unsere Reifen sowohl bei der Spitzenleistung als auch bei der Haltbarkeit noch mehr. In einem so hart umkämpften Rennen können wir es uns nicht erlauben, uns auf unseren Lorbeeren auszuruhen. Wir setzen uns jedes Jahr neue Ziele für alle Fahrzeug-Kategorien und sogar für einzelne Autos. Diese Ziele beziehen sich beispielsweise auf die Performance, die Widerstandsfähigkeit gegenüber den vielfältigen Strapazen oder die Haltbarkeit der Reifen über ein, zwei oder sogar drei Turns."

"Audi und Peugeot stellten sehr hohe Anforderungen an uns." Matthieu Bonardel

Frage: "Mit welchen Erwartungen reiste Michelin dieses Jahr nach Le Mans?"
Bonardel: "Unseren größten Fortschritt im Vergleich zum Vorjahr erzielten wir durch die längeren Turns bei den GT1- und GT2-Sportwagen. Bei den Prototypen stand natürlich der Zweikampf zwischen Audi und Peugeot im Vordergrund. Wir bewerten dieses Duell eindeutig als positiv, weil es das Technologie-Niveau sowie die Erwartungen an die Reifen in Sachen Leistungsfähigkeit und Haltbarkeit erhöht. Wir konnten uns in vielen Bereichen verbessern: Audi und Peugeot stellten sehr hohe Anforderungen an uns, deutlich größere als vergangenes Jahr. Darauf konnten wir uns gut vorbereiten, uns mit unseren Partnern kurz schließen und böse Überraschungen vermeiden."

Maßgeschneiderte Lösungen für den einzelnen Partner

Frage: "Bei den 24 Stunden von Le Mans können die Teams ihren Reifenpartner frei wählen. Was zeichnet Michelin gegenüber der Konkurrenz aus?"
Bonardel: "Unsere Ergebnisse in Le Mans sowie in diversen Sportwagen-Meisterschaften zeigen, dass unsere Reifen konkurrenzfähig sind. Das ist womöglich der Grund dafür, dass uns die Teams ansprechen. Ich denke aber, dass sie die Zusammenarbeit mit uns Jahr für Jahr fortsetzen, weil wir weltweit einen hohen Service-Standard bieten. Wir hören uns ihre Bedürfnisse an und entwickeln maßgeschneiderte Lösungen."

"Mit falschen Ratschlägen hätten wir die Arbeit einiger Teams ruinieren können." Matthieu Bonardel

"Außerdem befinden wir uns in der glücklichen Situation, dass unsere Ingenieure und Techniker durch ihre langjährige Erfahrung auf diesem Gebiet sehr gute Ratschläge geben können. Dieses Jahr erwiesen sich unsere Tipps als sehr wertvoll. Aufgrund der wechselhaften Wetterbedingungen mussten die Teams die Reifen häufiger wechseln, vorausschauend agieren und auf die Erfahrung unserer Mitarbeiter setzen. Mit falschen Ratschlägen hätten wir die Arbeit einiger Teams ruinieren können."

Der Unterschied zwischen Audi und Peugeot

Frage: "Beim diesjährigen 24-Stunden-Rennen nahm Peugeot erstmals die Herausforderung gegen die erfolgreichen Audi auf. Wie sehr hat das französische Team mit dem 908 HDi FAP von den Erfahrungen des Audi R10-Projekts bei der Reifentechnologie profitiert?"
Bonardel: "Im Fall von Peugeot konnten wir den Faktor Reifen von der ersten Design-Stufe in die Entwicklung einbeziehen. Die Gewichtsverteilung wurde im Hinblick auf die Balance des Fahrzeugs und in der Folge auf die Leistungsfähigkeit der Reifen hin optimiert. Bei Audi lief es genau umgekehrt: Die Ingolstädter teilten uns die wichtigsten Eckdaten zum R10 mit, und wir passten unsere Produkte auf das neue Auto an."

"Die Mischungen passten wir jeweils der Gewichtsverteilung und dem Abtrieb der Autos an." Matthieu Bonardel

Frage: "Und wie stark unterscheiden sich die Reifen beider Diesel-Sportwagen?"
Bonardel: "Zu Beginn des Jahres nutzten beide Marken die gleichen Entwicklungen. Der 908 funktionierte mit den bestehenden Produkten hervorragend. Auch wenn es nicht unser hauptsächliches Ziel bei den Vorbereitungen auf Le Mans war, konnten wir mit Peugeot sogar an der Performance arbeiten. Währenddessen lief unsere Entwicklungsarbeit mit Audi natürlich auf vollen Touren weiter. Beim Rennen in Le Mans lagen die Unterschiede zwischen den Reifen von Peugeot und Audi im Detail. Den weiteren Teams stand übrigens die gleiche Technologie zur Verfügung. Die Mischungen passten wir jeweils der Gewichtsverteilung und dem Abtrieb der Autos an."

Die Suche nach dem heiligen Gral

Frage: "Sie sagten, Michelin setzte sich für die jeweiligen Fahrzeug-Klassen eigene Ziele. Wie sahen diese für das Rennen am vergangenen Wochenende aus?"
Bonardel: "Wie bei allen Rennreifen müssen wir die richtige Balance zwischen zwei völlig gegensätzlichen Polen finden: zwischen Performance und Haltbarkeit. Wenn man alle anderen Parameter außen vor lässt, führt der Anstieg in einem Bereich zum Rückgang im anderen. Der heilige Gral liegt für uns darin, einen Weg zu finden, die Leistungsfähigkeit eines bestimmten Reifens zu verbessern, ohne Defizite bei der Ausdauerfähigkeit in Kauf zu nehmen. Oder umgekehrt, die Haltbarkeit zu optimieren, ohne bei der Höchstleistung einzubüßen."

"Wir verbessern erst die Performance, dann die Haltbarkeit, und begeben uns dann wieder an die Performance." Matthieu Bonardel

Frage: "Wie erklären Sie sich die Fortschritte bei Michelin in den vergangenen Jahren?"
Bonardel: "Wir bewegen uns in einer Aufwärtsspirale: Wir verbessern erst die Performance, dann die Haltbarkeit, und begeben uns dann wieder an die Performance. Wo wir uns in diesem Kreislauf gerade befinden, ist von Klasse zu Klasse unterschiedlich. Durch unser umfangreiches Sortiment - pro Kategorie bieten wir sieben bis acht verschiedene Produkte an - heißt das für uns, dass wir uns zur gleichen Zeit mit 20 unterschiedlichen Problemen befassen."

Frage: "Das bedeutet für Michelin sicherlich sehr viel Arbeit vor der Veranstaltung ..."
Bonardel: "Natürlich. Die Entwicklungszeit vor den 24 Stunden von Le Mans nimmt mindestens ein Jahr in Anspruch. Als Basis nehmen wir natürlich immer die Erfahrungen aus den Vorjahren. Durch diese ständige Arbeit gelingen uns langsam aber sicher immer wieder Fortschritte, und wir lernen durch unsere Erfahrung - durch Siege und Niederlagen. Außerdem ist es eine große Verantwortung, die Mitarbeiter-Teams für die unterschiedlichen Meisterschaften zusammenzustellen. Für das 24-Stunden-Rennen kamen Ingenieure und Techniker der gesamten Michelin Gruppe zusammen: aus Amerika, Asien, Australien und natürlich aus ganz Europa."

Frage: "Wie geht es für Michelin im Endurance-Sport in den nächsten Wochen weiter?"
Bonardel: "Was die kurzfristigen Planungen betrifft, stehen zunächst die Langstreckenmeisterschaften in Europa und Amerika auf dem Programm. Dort arbeiten wir mit den gleichen Partnern zusammen wie zuletzt in Le Mans. In gut einem Monat starten wir dann die Vorbereitungen für 2008. Für den September haben wir umfangreiche Testfahrten angesetzt. Dort werden wir unsere Erkenntnisse vom diesjährigen Rennen nutzen, um uns für die Zukunft zu rüsten."

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