• 11.12.2010 17:33

  • von Stefan Ziegler

Marquardt: "Diese Aufgabe gibt es im Leben nur einmal"

Jens Marquardt wird im Sommer 2010 neuer BMW Motorsport Direktor - 'Motosport-Total.com' hat sich mit dem neuen Entscheidungsträger unterhalten

(Motorsport-Total.com) - Nach mehr als zwölf Jahren Kontinuität steht an der Spitze von BMW Motorsport im kommenden Jahr ein Wechsel an: BMW Motorsport Direktor Mario Theissen wird diese Aufgabe am 30. Juni 2011 an seinen Nachfolger Jens Marquardt übergeben und aus dem Dienst ausscheiden. Der 43 Jahre alte Marquardt tritt zum 1. Januar 2011 in das Unternehmen ein und wird sich an der Seite von Theissen sechs Monate lang in die neue Aufgabe einarbeiten. Die Umsetzung des Rennprogramms 2011 und die Vorbereitung auf das DTM-Projekt 2012 sind damit nahtlos gewährleistet.

Titel-Bild zur News: Jens Marquardt

Jens Marquardt tritt bei BMW die Nachfolge von Mario Theissen an

Marquardt wurde am 20. Mai 1967 geboren. Nach dem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik hat er sich im Beruf der Motorenentwicklung zugewandt. Von 1996 bis 2000 war er bei Ilmor mit der Entwicklung von Formel-1- und CART-Motoren befasst. Seit 2000 war er bei der Toyota Motorsport GmbH (TMG) beschäftigt, zunächst im Bereich Formel-1-Motoren, zuletzt als Generalmanager für Akquisition, Betrieb und Produktion. Doch wer ist dieser Mann genau, der bei BMW die künftigen Geschicke im Motorport leiten wird? In einer Medienrunde stellt sich der künftige BMW Motorsport Direktor vor...

Frage: "Jens, Sie fangen am 1. Januar 2011 bei BMW an und Mario wird zur Jahresmitte sein Amt an Sie weitergeben. Erzählen Sie doch einmal ein bisschen mehr über sich."
Jens Marquardt: "Mein Name ist Jens Marquardt, ich bin 43 Jahre alt, verheirat und habe eine kleine dreijährige Tochter. Vor langer Zeit habe ich in Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik studiert und bin anschließend direkt in die Automobilindustrie eingestiegen."

"Bei Mercedes war ich drei Jahre lang als Fremdingenieur in der Entwicklung im Serienbereich tätig. Dabei ging es für mich hauptsächlich um Dieselmotoren und Einspritzsysteme. Dort kam ich auch direkt in Kontakt mit Dr. Kollmeier (Hans-Peter Kollmeier; Anm. d. Red.), der für den Motorsport bei Mercedes am Standort Stuttgart zuständig war. Über ihn habe ich dann eine Funktion bei Ilmor übernommen und arbeitete fünf Jahre für dieses Unternehmen."

"Drei Jahre davon war ich in Stuttgart an Prüfständen beschäftigt, zwei Jahre lang war ich in den USA - als Track-Support-Ingenieur in der IndyCar-Serie. Dieses Projekt in Amerika wurde schließlich von Mercedes eingestellt und durch Kontakte, die ich noch in Deutschland hatte, bin ich zu Toyota Motorsport in Köln gekommen. Ab Oktober 2000 arbeitete ich dort wieder im Motorenbereich - erst als Versuchsingenieur, Testingenieur im Entwicklungsbereich, später als Leiter des Testteams."

"Danach hat Toyota begonnen, Motoren an Kunden auszuliefern: Jordan, Midland, Spyker - da hat sich der Name ja öfters geändert. Dann folgte Williams. Im Sommer 2000 habe ich den Posten des Teammanagers bei Toyota übernommen und war damit General Manager für den gesamten operativen Bereich. Als Toyota im vergangenen Jahr die Entscheidung traf, aus der Formel 1 auszusteigen, übernahm ich General Manager Business Development Produktion und Operation und bin dort noch bis Ende des Jahres tätig."

Frage: "Was machen Sie in Ihrer Freizeit? Welchen Hobbys gehen Sie nach?"
Marquardt: "Zu meinen Hobbys zähle ich definitiv alles aus dem sportlichen Bereich. Ich gehe sehr gerne laufen. Das muss man ja auch tun, um ein bisschen bei Kondition zu bleiben. Ich fahre auch gerne Ski, was ich von München aus hoffentlich etwas öfters tun kann. Aus Köln ist das immer ein bisschen beschwerlich. Bei acht Stunden Anfahrt ist es halt etwas schwierig, kurzfristig einmal ins Skigebiet zu fahren."

"In den USA habe ich mit Golfspielen begonnen und das mache ich ebenfalls sehr gerne. Die Zeit dafür kann ich nicht immer aufbringen - auch, seitdem unsere Tochter da ist. Es ist nicht immer ganz einfach, sich am Wochenende für fünf Stunden davonzustehlen. Golf ist aber ein guter Ausgleich zur Hektik und der Lautstärke, was der Motorsport zum Glück ja auch mit sich bringt. Dazu komme ich allerdings nicht mehr so oft. Deswegen stagnierte das Handicap in den vergangenen Jahren eher."

Frage: "Wo liegt Ihr Handicap aktuell?"
Marquardt: "Jetzt ist es bei 15. Da ist es aber schon sehr lange..."

Strategische Entscheidungen erst ab Juli 2011

Frage: " Sie haben sich gewiss schon intensiv mit BMW Motorsport auseinander gesetzt. Was wollen Sie genau so fortführen und was wollen Sie anders machen?"
Marquardt: "Dadurch, dass ich im Moment noch bei Toyota beschäftigt bin, würden wir solche strategischen Sachen wohl am besten ab 1. Januar 2011 besprechen. Im Endeffekt wird es sogar auf den 30. Juni 2011 hinauslaufen, denn bis dahin werde ich alles gemeinsam mit Herrn Theissen machen."

"Ich werde von ihm in die Materie eingeführt. Bis dahin ist es meiner Meinung nach auch wichtig, dass einer die Entscheidungen trifft. Das ist der Herr Theissen und das ist auch für alle so klar. Das finde ich sehr gut so. Ich freue mich auf dieses halbe Jahr und darauf, dass ich die Möglichkeit habe, eine Übergabe für diese Superaufgabe und für diese Firma zu bekommen."

"Ich denke, eine solche Aufgabe gibt es im Arbeitsleben - wenn überhaupt - nur ein einziges Mal. Dass ich das Glück hatte, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und hier auch hineinzupassen, ist für mich natürlich ein Riesenglück. Alles Weitere dann ab 1. Januar beziehungsweise 1. Juli 2011."

Frage: "Plaudern Sie doch einmal aus dem Nähkästchen. Was beinhaltete Ihre Bewerbungsrede, dass Sie nun der nächste BMW Motorsport Direktor sind? Mit welchen Qualitäten tritt man da an?"
Marquardt: "Ich denke, diese Frage müsste man eher BMW stellen, denn sie haben die Entscheidung getroffen. Meiner Meinung nach ist es wichtig, authentisch zu sein. Ich habe jetzt 15 Jahre im Motorsport und in unterschiedlichen Bereichen davon verbracht."

"In der ersten Zeit war ich da sehr technisch orientiert. Zuletzt war ich mehr im organisatorischen und Führungsbereich zugange. Das hat sicherlich dazu beigetragen, zu zeigen, dass es jemanden gibt, der den Werdegang mitbringt, um für eine solche Position geeignet zu sein und ein Projekt, das in den vergangenen Jahren so kontinuierlich und erfolgreich geführt wurde, in die nächsten Projektphasen weiterzutragen."

Proberunden in einem IndyCar

Frage: "Haben Sie selbst einmal Motorsport betrieben?"
Marquardt: "Ich komme aus dem Entwicklungsbereich, bin aber in den USA einmal einen IndyCar gefahren und habe auch das eine oder andere Kartrennen absolviert. Von professioneller oder semi-professioneller Seite habe ich aber keinen Motorsport betrieben."

Frage: "Bei Toyota lief zuletzt nicht mehr sehr viel. Wollten Sie deswegen wieder zurück in den Motorsport? Oder ist es der Posten, der Sie speziell gereizt hat - unabhängig vom Hersteller?"
Marquardt: "Ich würde schon sagen, dass die Marke BMW absolut an erster Stelle zu nennen ist. Zumal für mich als Süddeutschen und schon von klein auf Motorsport-Begeisterten. Ich fuhr zwar nicht selbst, schaute aber stets und war involviert. Auch die DTM habe ich seinerzeit in Singen verfolgt. Bei dem Stellenwert der Marke in Deutschland eine Chance zu bekommen: Mich würde interessieren, warum, wenn da jemand 'nein' sagen würde."

Erster Held: Jackie Ickx

Frage: "Wer war denn der Motorsport-Held Ihrer Jugend?"
Marquardt: "Ich habe einen drei Jahre älteren Bruder und da ist immer so eine kleine Rivalität da. Mein Bruder war ein Riesenfan von Jackie Stewart, ich musste etwas dagegen setzen. Ich war dann Fan von Jackie Ickx. Wir sind auf dem Schulweg immer mit dem Fahrrad gegeneinander gefahren. Ickx hat dabei aber meistens verloren, weil Stewart drei Jahre älter war. Das waren die ersten Leitbilder, die wir damals hatten."

"Als ich mich im deutschen Bereich etwas umgeschaut habe, empfand ich Walter Röhrl für eine gewisse Zeit wirklich als super Sportsmann. Es ist eine Riesenerfahrung, wenn sich Kreise schließen. Da war ich überhaupt nicht Markenorientiert. Wenn man in Stuttgart bei Mercedes ist, dann kommt man zu dieser Zeit auch um einen Michael Schumacher oder auch einen Heinz-Harald Frentzen nicht herum. Da sind so viele Namen. Das passt immer alles zusammen."

Frage: "Hatten Sie in den vergangenen Jahren überhaupt die Zeit, sich mit anderen Rennserien außerhalb der Formel 1 zu beschäftigen?"
Marquardt: "Immer. Ich muss auch sagen: Meine Entscheidung, damals nach Amerika zu gehen und IndyCar zu machen, war eine ganz bewusste Entscheidung. Die Konstellation war freilich auch eine andere. Ich habe das Ganze drei Jahre lang auf einem Prüfstand mitbetreut - sowohl für IndyCar- als auch für Formel-1-Projekte. Ich sah diese beiden Serien."

"Der Reiz war immer da. Ich hatte mich darauf konzentriert, das Studium so schnell wie möglich durchzubekommen und dann eine Chance zu haben, nach Amerika zu gehen, und dort in einer wirklich schönen Rennserie etwas zu machen. Diese Serie war damals noch sehr populär und wurde auch gut vermarktet. Auf Seiten der Chassis' und der Motoren waren wirklich viele Hersteller vertreten. Das war eine tolle Geschichte. Nach zwei Jahren war es leider vorbei."

"Ich wäre gerne noch länger geblieben, aber gut. Dann gab es die Chance, wieder etwas Neues zu machen - bei Toyota, einem Neueinsteiger, der ein ganz neues Programm auflegte. Da konnte man von Stunde eins dabei sein. Ich kam im Oktober zu Toyota nach Köln und zwei Wochen später wurde dort der erste V10 gefeuert. Ab dieser Phase war ich wirklich an allen Motoren beteiligt, habe an allen Motoren irgendwie mitgearbeitet und die Entwicklung mitgemacht. Für einen Ingenieur ist das wirklich toll."