• 19.09.2007 22:55

  • von Pete Fink

"Spotting Montoya" - Tab Boyd im Exklusiv-Interview (1)

Tab Boyd ist Juan Pablo Montoyas NASCAR-Spotter, der enge Vertraute des Kolumbianers im großen Exklusivinterview auf 'Motorsport-Total.com'

(Motorsport-Total.com) - Tab Boyd ist der Spotter von Juan Pablo Montoya, seit der Kolumbianer in der NASCAR fährt. Eigentlich heißt er Thomas A. Boyd, im NASCAR-Paddock nennt ihn jedoch jeder nur schlicht und ergreifend nach seinen Initialen Tab. Der gerade 30 Jahre alt gewordene Montoya-Spotter stammt aus Pensacola, Florida, doch er lebt seit 17 Jahren in Charlotte und arbeitet seit zwölf Jahren in der NASCAR.

Titel-Bild zur News: Juan Pablo Montoya

Juan Pablo Montoya arbeitet seit seinem NASCAR-Debüt mit Tab Boyd

War er zunächst für einige Busch-Mannschaften aktiv, so ist er seit drei Jahren einer der Spotter bei Chip Ganassi. 2005 und 2006 war er für das Auto von Casey Mears verantwortlich, aber seit dem NASCAR-Wechsel von Montoya ist er der hauptverantwortliche Mann, der den Kolumbianer durch alle Rennen begleitet.#w1#

Exklusiv für 'Motorsport-Total.com' gibt er einen detaillierten Einblick in die Arbeit eines NASCAR-Spotters und verrät auch einige Geschichten über die tägliche Zusammenarbeit mit seinem prominenten Schützling, der in NASCAR-Kreisen immer noch als Rookie gilt.

Frage: "Tab, in Europa ist der Job eines Spotters weitestgehend unbekannt, denn in den europäischen Serien gibt es eigentlich keine Spotter. Kannst du uns generell erklären, was der Job eines Spotters ist und welche Verantwortung er hat?"

Keine Sicht nach Hinten

Juan Pablo Montoya

DIe Sicht nach hinten ist in der NASCAR extrem beeinträchtigt Zoom

Tab Boyd: "Ja, mir ist es durchaus bewusst, dass die Europäer keine Spotter benutzen. Das liegt wohl vor allem daran, dass die Formelfahrer eine ganz gute Rundumsicht haben. Aber in einem StockCar ist die Sicht für den Fahrer extrem heruntergesetzt und limitiert. Der Fahrer sieht nicht, was hinter ihm und seitlich von ihm alles vor sich geht. Wenn sich also jemand von der rechten Seite her nähert, das nennen wir die Außenseite, dann ist es für den Fahrer fast unmöglich zu sehen, was da genau vor sich geht."

"Die Hauptverantwortung eines Spotters liegt also darin, dem Fahrer zu schildern, was um ihn herum gerade passiert, was im Rennen so alles vor sich geht. Ob es ein dominantes Auto gibt, welche Linie die gerade beste ist, und was er vielleicht ändern lassen könnte, damit das Auto vielleicht ein wenig besser wird. Aber in der Hauptsache geben Spotter die Informationen an den Fahrer, damit er genau darüber im Bilde ist, was um ihn herum gerade passiert. Zum Beispiel, ob Autos überholen, oder sich heranpirschen oder ob jemand schneller ist."

"Ein ganz wichtiger Punkt dabei ist auch das Thema Sicherheit. Wenn es vielleicht einen Unfall an einer nicht einsehbaren Stelle gegeben hat, dann muss man das dem Fahrer schnellstmöglich wissen lassen. Natürlich hat man gelbe Flaggen und auch gelbe Warnlichter, aber du weißt dann nie, ob ein verunfalltes Auto direkt auf deiner Spur steht, oder ob er sich auf dem oberen Teil der Strecke befindet. Grundsätzlich gesagt: Wir teilen dem Fahrer alles das mit, was er selber nicht erkennen kann"

Frage: "Das bedeutet: Du stehst in direkter Funkverbindung mit dem Fahrer. Bist du auch direkt mit dem Crew-Chief verbunden, oder besteht deine Funkverbindung nur zum Fahrer?"
Boyd: "Fahrer, Crew-Chief und Spotter sind alle auf der gleichen Funkfrequenz. Genauso, wie die restliche Crew. Jeder kann also alles hören, aber nur der Fahrer, der Crew-Chief und der Spotter sprechen. Denn wenn alle Leute sprechen würden, dann gäbe es nur Chaos. So gibt es nur drei verschiedene Stimmen, alles andere würde nur Verwirrung stiften."

Montoya kann die Linie sofort ändern

Juan Pablo Montoya

Juan Pablo Montoya ist in Sachen Linienwahl sehr experimentierfreudig Zoom

Frage: "Umgekehrte Fragestellung: Was erwartet der Fahrer von seinem Spotter? Geht es ihm dabei nur um Sicherheitsthemen, oder hat der Spotter auch Einfluss auf die Performance?"
Boyd: "Das kann schon möglich sein, aber da muss man vorsichtig sein. Wenn man der Spotter von Juan Pablo ist, dann weiß man nie genau, was er als nächstes tun wird (lacht; Anm. d. Red.). Er fragt mich beispielsweise oft, ob die Gruppe, in der er gerade steckt, eine gute Gruppe ist, oder nicht."

"Wenn man den Funk im Rennen mithört, dann hören mich die Leute oft erzählen, ob der Kurvenausgang gut oder schlecht war, oder der Kurveneingang. Oder ob zum Beispiel ein Konkurrent in der Kurvenmitte ihm gegenüber aufholt, so dass er seine eigene Linie dementsprechend anpassen kann."

"In den Monopostoklassen hast du eine, vielleicht zwei verschiedene Spuren und auf den allermeisten Strecken geschehen vergleichsweise wenige Überholmanöver. Auf einigen Ovalen gibt es hingegen viele verschiedene Fahrlinien. Einige Jungs bevorzugen es, auf der unteren Seite entlang zu fahren, einige in der Mitte, einige ganz Oben. Einige fahren von oben in die Kurve ein und ziehen dann nach unten, die werfen das Auto richtiggehend herum."

"Du versuchst deinem Fahrer nur mitzuteilen, was schnell aussieht und was nicht, so dass er Bescheid weiß. Juan ist richtig gut darin, seine Linie sofort zu verändern. Wenn du ihm zum Beispiel sagst, das die obere Linie gerade schnell aussieht, dann wird er im nächsten Moment an der Mauer entlang fahren und das Ganze sofort ausprobieren."

Frage: "Gibt es einen Unterschied in der Arbeit mit Casey Mears und Juan Pablo Montoya?"
Boyd: "Am Anfang war es schon ein wenig verrückt, fast ein wenig einschüchternd. Nicht etwa, weil ich vor ihm Angst hatte, sondern weil ich ihn nicht in irgendetwas Dummes verwickeln wollte. Er musste zu Beginn auf so viele Sachen gleichzeitig achten, und ich wollte mein Bestes geben, um ihm dabei zu helfen."

Einen Spotter zu haben war etwas ganz Neues

Juan Pablo Montoya

Einen Spotter zu haben war für Juan Pablo Montoya etwas völlig neues Zoom

"Aber als wir dann ein paar Rennen gemeinsam absolviert hatten, habe ich realisiert, wie gut er wirklich ist, und dass er bald ein paar Rennen gewinnen wird. Wir kommen gut miteinander aus und wir teilen uns auch gegenseitig mit, was jeder von uns wissen muss. Wenn er beispielsweise etwas über ein anderes Auto wissen will, dann fragt er mich und er bekommt die entsprechende Antwort, das läuft mittlerweile alles reibungslos."

"Vielleicht gab es am Anfang ein paar Unterschiede, aber jetzt ist es für mich das Gleiche, ob ich nun für Casey Mears oder Juan Pablo spotte. Ich muss die Informationen, die ich sehe, weitergeben, damit das Rennen für das ganze Team besser läuft."

Frage: "Aber jeder Fahrer ist doch eine unterschiedliche Person und alle benötigen unterschiedliche Dinge. Denn ich kann mir ehrlich gesagt nicht ganz vorstellen, dass Casey Mears und Juan Pablo Montoya recht ähnlich sind, oder?
Boyd: "Exakt. Das hat immer etwas mit Chemie zu tun. Genau wie das Verhältnis Besitzer/Fahrer, Crew-Chief/Fahrer. Es gibt eine ganze Menge Fahrer, die in ihrer Karriere mehrere Spotter benutzt haben, weil sie einfach niemanden finden können, mit dem sie so auskommen, wie sie es brauchen, oder die verstehen, welche Art von Informationen sie genau benötigen."

"Bei Juan Pablo und mir hat es sich herausgestellt, dass es einfach gut funktioniert. Wir haben ein oder zwei Rennen gemeinsam gemacht und ich habe mich nachher mit ihm unterhalten. Wie du anfangs schon sagtest, er war überhaupt nicht daran gewöhnt, einen Spotter zu haben. In Europa hat er in den Spiegel geschaut und gesehen, ob da einer näherkommt, oder nicht. Aber bei uns beiden hat das von Anfang an gut funktioniert, und das ist wiederum gut für mich (lacht; Anm. d. Red.).

Die alte Schule stirbt langsam aus

Bill Elliott

"Awesome Bill from Dawsonville" Elliott ist noch ein Pilot der alten NASCAR-Schule Zoom

Frage: "Soweit ich informiert bin, bist du früher selbst einige Rennen gefahren. Glaubst du, dass es für einen Spotter wichtig und nützlich ist, selbst einmal Rennen gefahren zu sein?"
Boyd: "Mit Sicherheit. Ich bin jetzt zwar nicht so viele Rennen gefahren, aber dafür ich habe schon mit 17 Jahren angefangen. Das gab mir viele direkte Eindrücke. Zum Beispiel, wie schwierig es ist, die richtige Spur zu finden und das hat mir sehr viel geholfen, was das Spotten betrifft."

"Vor allem auch, weil ich mir vorstellen kann, wie es ist, wenn du in deinem Cockpit sitzt, um dich herum etwas passiert, und was du dann in diesem Moment genau wissen willst und musst. Und so kann ich ihm genau das mitteilen, was ich in so einer Situation gerne wissen würde."

"Zum Beispiel weiß ich, was es bedeutet, wenn du ein Auto hast, das am Kurveneingang massiv übersteuert. Und wann immer er genau so etwas erfährt und er dann frustriert ist, dann weiß ich genau, wovon er spricht. Dann kann ich ihm sagen: 'Kein Problem, wir werden beim nächsten Boxenstopp daran arbeiten', und das sind dann die Momente, wo dir eine eigene Rennerfahrung massiv weiterhilft."

Frage: "Angeblich gibt es in der NASCAR auch Fahrer, die 500 Meilen fahren können, und dabei nur in ihre Spiegel schauen und mit dem Crew-Chief reden. Gibt es so etwas noch?"
Boyd: "Eigentlich nicht mehr. Vielleicht gibt es noch ein paar Fahrer der alten Schule, die jetzt in ihren Fünfzigern sind, und genau wissen, was um sie herum alles passiert. Aber es wird immer Situationen geben, wo der Spotter seinem Fahrer wirklich helfen kann. Sei es, wenn ein anderer Fahrer überholen will und förmlich in einer Kurve attackiert. Dann siehst du nicht, ob dahinter noch einer ist, der genau dasselbe vorhat."

"Und die heutigen Autos sind so auf der Rasierklinge, dass ein kleiner Schubser ausreicht, damit du dich drehst und du einen Unfall baust, das ist nicht mehr so, wie in den alten Tagen. Vielleicht gibt es noch ein paar Jungs, die das auch alleine könnten, aber auch die brauchen zumindest ein wenig Unterstützung."

"Denn mit den Kopfstützen, den Vollvisierhelmen und dem HANS-System ist deine Sicht extrem eingeschränkt und am Car of Tomorrow ist jetzt noch ein großer Heckflügel montiert, so wird das Spotting immer wichtiger. Man hat zwar zwei Spiegel, einen in der Mitte und einen kleinen links im Cockpit, aber das ist keineswegs so, wie bei einem Straßenauto. Man sieht wirklich kaum das Auto, was hinter dir fährt."

Boxenstopps sind das organisierte Chaos

Jeff Gordon

Boxenstopps sind in der NASCAR oft ein durchorganisiertes Chaos Zoom

Frage: "Euer Arbeitsplatz erinnert ein wenig an einen Offensive Coordinator beim American Football, wenn ich diesen Vergleich einmal ziehen darf. Ihr sitzt so hoch oben, meistens auf dem Tribünendach, und ihr seht alles, was unten auf dem Spielfeld vor sich geht..."
Boyd: "Genau. Wir sitzen immer auf dem höchsten Punkt, die die Rennstrecke zu bieten hat. Egal, ob das nun das Dach der Haupttribüne ist, oder in der ersten Kurve. Was auch immer sie haben, auf dem höchsten Punkt sitzen wir. Und auch der Vergleich mit dem Offensive Coordinator gefällt mir gut (lacht; Anm. d. Red.) Du teilst deinem Team mit, was die anderen gerade machen, zum Beispiel bei den Boxenstopps. Wer hat zwei Reifen geholt, wer hat vier Reifen geholt, wer geht in die Box, wer geht nicht in die Box. Du hast den perfekten Überblick über das gesamte Spielfeld."

Frage: "Guter Punkt. Lass uns einmal über das Geschehen an der Box sprechen. Das ist einer der aufregendsten Momente in jedem Rennen. Die gelbe Flagge ist draußen, 43 Autos stürmen gleichzeitig in die Boxengasse..."
Boyd: "Ja, totales Chaos."

Frage: "Wer ist in der Boxengasse verantwortlich für den Fahrer? Ist es der Spotter oder ist es der Crew-Chief?"
Boyd: "Der Crew-Chief und ich haben einen bestimmten Übergabepunkt. Im Falle der Boxeneinfahrt teile ich der Boxencrew mit, wann sich der Fahrer in der Boxengasse befindet. Und dann lasse ich Juan Pablo und die Crew wissen, wenn er zehn Boxenplätze von seiner Box entfernt ist. Dann sage ich 'Ten away' und automatisch übernimmt der Crew-Chief den Funk und leitet ihn auf dem weiteren Weg bis zu seiner Box."

"Dann machen sie den Boxenstopp und bei der Boxenausfahrt ist es nach wie vor die Verantwortlichkeit des Crew-Chiefs, bis er wieder zehn Boxenplätze von seiner Box entfernt ist. Und dann übernehme ich ihn wieder."

Frage: "Und trotzdem passieren Dinge, wie die Kollision in der Box mit Carl Edwards in Fontana?"
Boyd: "Absolut. Das ist das totale Chaos, und es wundert mich eigentlich, dass da nicht öfter einmal etwas passiert. Denn das ist wirklich ein komplettes Chaos, die Autos kommen rein, andere fahren wieder los. Selbst bei 55 Meilen Boxengeschwindigkeit ist der Speed immer noch hoch genug, um ziemliche Beschädigungen am Auto verursachen zu können, wenn du getroffen wirst."

Im Teil zwei von morgen geht es ausführlich um die Beziehung zwischen Tab Boyd und Juan Pablo Montoya und auch um ein paar Geschichten vom Busch-Rennen in Mexiko City, dem Cup-Sieg in Sears Point und was in Watkins Glen alles los war.