Kenseth entgeht Talladega-Chaos in der letzten Runde
Matt Kenseth gewinnt in Talladega nach einem dramatischen "Big One" in der letzten Runde - Tony Stewart mit Überschlag mitten im Feld
(Motorsport-Total.com) - Schon vor dem Chase-Rennen auf dem Talladega Superspeedway ging in Reihen der zwölf Titelkandidaten die Angst um, in eine der gefürchteten Massenkarambolagen im Feld verwickelt zu werden und kostbare Punkte im Titelkampf zu verlieren. Genau so kam es für sieben der zwölf Chase-Teilnehmer dann auch. Nachdem das Good Sam Roadside Assistance 500 über weite Strecken von den üblichen Windschattenduellen im Zentimeterabstand geprägt war, stand in den Schlussrunden zunächst die Strategie im Mittelpunkt. Es drohte ein Spritpoker zu werden, bei dem einige der Topstars hart an der Grenze ihrer Benzinvorräte unterwegs waren.

© NASCAR
Matt Kenseth kam heil durch das Chaos in Turn 3 und holte Saisonsieg Nummer zwei Zoom
Sechs Runden vor dem geplanten Ende gab es dann doch noch eine Gelbphase - es war erst die vierte in einem bis dahin ungewöhnlich disziplinierten Talladega-Rennen - und ein Green-White-Checkered-Finale stand ins Haus. Jamie McMurray, der mit seinem Earnhardt/Ganassi-Chevrolet die meisten Runden aller Piloten auf Platz eins verbracht hatte, drehte auf Platz fünf liegend ins Infield vor der Haupttribüne und brachte damit die Gelbe Flagge hervor. Vorausgegangen war eine Berührung mit Kevin Harvick, der das Auto von McMurray im dichten Pulk unglücklich an der hinteren Stoßstange erwischte. Der Earnhardt/Ganassi-Pilot konnte von Glück reden, dass er beim Zurückdrehen ins Feld von keinem anderen Fahrzeug getroffen wurde. Seine starke Vorstellung war allerdings beendet.
Die ausgerufene Gelbphase wurde vom Großteil des Feldes für einen letzten Tankstopp genutzt. Insgesamt elf Piloten - darunter die Chase-Teilnehmer Clint Bowyer, Matt Kenseth, Kevin Harvick, Tony Stewart und Kasey Kahne - blieben jedoch auf der Bahn und gingen das Risiko ein, dass es bei nur einem Green-White-Checkered-Anlauf bleiben würde. Beim Restart mit noch zwei zu fahrenden Runden formierten sich Bowyer und Kenseth in Reihe eins. Dahinter drückten Harvick auf der Innenspur hinter Bowyer und Aric Almirola auf der Außenspur hinter Kenseth. Der amtierende Champion Tony Stewart nahm den Restart von Position fünf in Angriff.
Auf der Gegengeraden der vorletzten Runde drückte Kenseth seinen Nebenmann Bowyer im Kampf um die Führung auf die asphaltierte Fläche links neben der Fahrbahn. Bowyer verlor an Schwung, während Kenseth in Turn 4 mit ansehen musste, wie Tony Stewart auf der Außenbahn vorbeizog. Stewart sah die Weiße Flagge für die letzte Runde als Erster, machte sich breiter als er selbst und lag auch in Turn 3 noch an der Spitze, während die Fahrzeuge hinter ihm teilweise zu viert nebeneinander die letzten beiden Kurven in Angriff nahmen.
"Big One" mit 25 Autos in der letzten Runde

© NASCAR
Jeff Gordon und Jimmie Johnson: Einer kam heil durchs Chaos, der andere nicht Zoom
Dann brach das Chaos los: Von der mittleren Fahrspur zog Stewart im Bemühen, die Meute hinter sich zu halten, nach unten und damit direkt vor die Front des Waltrip-Toyota von Michael Waltrip, der seinerseits von Casey Mears (Germain-Ford) kräftig angeschoben wurde. Der Stewart/Haas-Chevy des amtierenden NASCAR-Champions Stewart stand nach der unvermeidbaren Berührung quer zum Feld und überschlug sich wenige Augenblicke später inmitten des mit Tempo 320 herannahenden Pulks. Insgesamt 25 Fahrzeuge waren in das Chaos in Turn 3 der letzten Runde verwickelt und verloren teilweise jegliche Chance auf eine Top-Platzierung.
Matt Kenseth befand sich zum Zeitpunkt, als das Unheil seinen Lauf nahm, außen neben Stewart und konnte dem Chaos als einer der ganz wenigen Fahrer ohne jegliche Berührung entkommen. Der Roush-Pilot lag deutlich vor seinen kreuz und quer schlagendenden Konkurrenten, als wenig später die Gelbe Flagge die Reihenfolge einfror. Kenseth hatte somit seinen zweiten Saisonsieg nach dem Daytona 500 sicher. "Wir waren bei den Restrictor-Plate-Rennen in diesem Jahr immer stark. Das fühlt sich richtig gut an", so die Reaktion des Roush-Piloten in der Victory Lane.
In der Tat beendete Kenseth alle vier Superspeedway-Rennen in diesem Jahr in den Top 3. Neben reichlich Glück im entscheidenden Moment der letzten Runde hatte Kenseth bereits in der ersten Rennhälfte einen haarigen Moment zu überstehen, als er im Kampf um die Führung beinahe von Roush-Teamkollege Greg Biffle umgedreht worden wäre und sein Fahrzeug nur unter Aufbietung all seiner fahrerischen Künste vor einem Abflug bewahren konnte.
Das dramatische Finale in Talladega
Hinter Sieger Kenseth mogelten sich Jeff Gordon und Kyle Busch irgendwie durch das Chaos in Turn 3 und liefen auf den Plätzen zwei und drei ein. "Ich konnte überhaupt nichts sehen außer die hintere Stoßstange von Kasey Kahne", berichtete Gordon, der eingangs Turn 3 der letzten Runde noch außerhalb der Top 10 lag. "Das war mit Abstand das verrückteste Finish, das ich jemals in Talladega gesehen habe", staunte der vierfache NASCAR-Champion, um hinzuzufügen: "Endlich ging es für mich einmal gut aus. Ich habe einfach draufgehalten, bin an allen Fahrzeugen vorbeigefahren und kam auf Platz zwei ins Ziel."
Der Drittplatzierte Kyle Busch sah die Lage ähnlich. "Das ist einfach die Art und Weise, wie diese Rennen hier zu Ende gehen. Gegen Ende der letzten Runde haben es alle drauf angelegt. Ich sah, wie die 14 (Tony Stewart; Anm. d. Red.) quer kam. Ich versuchte, nach unten auszuweichen. Das hat geklappt und ich kam auf Platz drei ins Ziel", so Kyle Busch.
Der Großteil der Meute hatte dieses Glück nicht. Zu den 25 in den Crash verwickelten Piloten zählten neben Tony Stewart sechs weitere Chase-Teilnehmer: Kevin Harvick (Childress-Chevrolet), Jimmie Johnson, Kasey Kahne und der zwischenzeitlich eine Runde zurückgelegene Dale Earnhardt Jr. (alle Hendrick-Chevrolet) sowie Clint Bowyer und Martin Truex Jr. (beide Waltrip-Toyota).
Tony Stewart nimmt die Schuld auf sich

© NASCAR
Tony Stewart übernahm sofort die Verantwortung für den Massencrash Zoom
Am dramatischsten sah die Szene rund um Tony Stewart aus, der seinem völlig zerstörten Stewart/Haas-Chevy im Anschluss an seine Flugeinlage aber aus eigener Kraft entsteigen konnte. Unmittelbar nach dem obligatorischen Check im streckeneigenen Hospital nahm "Smoke" die Schuld für den Unfall sofort auf sich: "Ich habe es einfach verbockt, indem ich das ganze Feld hinter mir halten wollte. Es war zu 100 Prozent mein Fehler. Michael (Waltrip; Anm. d. Red.) kam mit einer Menge Schwung auf den Innenbahn an. Ich zog vor ihm herunter und nahm dabei eine Menge Autos aus dem Rennen. Das tut mir leid."
Jimmie Johnson, der nachdem sich der Rauch in Turn 3 gelichtet hatte, von seinem Hendrick-Teamkollegen Dale Earnhardt Jr. zur Box zurück gebracht wurde, übte sich in Diplomatie. "Am Schluss war es einfach hartes Racing. Wir dachten uns schon, dass so etwas passieren würde und hielten uns daher über weite Strecken des Rennens im Hinterfeld auf." Die komplette erste Rennhälfte über war der fünffache NASCAR-Champion zusammen mit Denny Hamlin (Gibbs-Toyota) am Ende des Feldes zu finden. Dem finalen Crash konnten aber weder Johnson noch Hamlin entgehen. "Ich schätze, wir müssen es so nehmen, wie es ist. Eine andere Wahl haben wir ohnehin nicht", so Johnson nach Platz 17.
Hamlin (14.) war gleichermaßen enttäuscht. "Du versuchst den ganzen Tag, dich zurückzuhalten und die anderen crashen zu lassen. Es ist enttäuschend, dass für uns kein besseres Ergebnis herauskam", sagte der Gibbs-Pilot, der zwar ohne Beschädigung, dafür aber mit großem Zeitverlust durch die Turns 3 und 4 der letzten Runde kam, da er nahezu bis zum Stillstand abbremsen musste. Für Clint Bowyer, der den letzten Restart als Führender unter die Räder genommen hatte, war das Finale "der Grund, warum so viele Leute nach Talladega kommen und sich diese Rennen anschauen". Nach zwei Siegen bei den Talladega-Rennen im Chase 2010 und 2011 gab es auch für Bowyer diesmal kein Entkommen. "Wir waren in einer Position zu gewinnen, haben aber nicht gewonnen", stellte der Waltrip-Pilot nach Platz 23 mit Blick auf den finalen "Big One" nüchtern fest.
Biffle: "Wie in einem Videospiel"
Am bildhaftesten beschrieb Greg Biffle die dramatischen Szenen der letzten Runde. Der Roush-Pilot war mittendrin, als er vor sich das Auto von Tony Stewart aufsteigen sah. "Vor lauter Schreien ist meine Stimme ganz weg. So etwas habe ich überhaupt noch nicht gesehen. Es war wie in einem dieser Videospiele: überall fliegende Autos. Wenn ich eine Onboard-Kamera dabei gehabt hätte, dann wäre es das Eine-Million-Dollar-Bild geworden, das ich mit eigenen Augen sah", so Biffle, der sich irgendwie durch die umherfliegenden Wracks rettete und hinter David Ragan (Front-Row-Ford; 4.) und Regan Smith (5.) in dessen letztem Rennen für Furniture Row Racing auf Platz sechs einlief.

© xpb.cc
Brad Keselowski konnte seine Tabellenführung ausbauen Zoom
Auch Tabellenführer Brad Keselowski (Penske-Dodge) kam vergleichsweise glimpflich davon und beendete das Rennen auf Platz sieben. Damit baute Keselowski seinen Vorsprung auf Jimmie Johnson an der Tabellenspitze von fünf auf nun 14 Punkte aus. Matt Kenseth liegt trotz seines Sieges weiterhin auf Platz zwölf der Gesamtwertung, während es für Jeff Gordon dank Platz zwei um vier Positionen auf Rang sechs nach vorn ging. Unfallverursacher Tony Stewart büßte zwei Positionen ein und ist nun Gesamtsiebter.
Juan Pablo Montoya (38.) lag genau wie sein lange führender Earnhardt/Ganassi-Teamkollege Jamie McMurray (34.) gut im Rennen und hielt zwischenzeitlich Platz zwei. 30 Runden vor Schluss musste der Kolumbianer sein Fahrzeug aber mit Motorschaden abstellen. Nach dem dramatischen Talladega-Rennen zieht der NASCAR-Tross nun weiter zum Charlotte Motor Speedway, wo am kommenden Wochenende in der Nacht von Samstag auf Sonntag das fünfte von zehn Chase-Rennen steigt.

