Ist der Kahne-Abgang der Sargnagel für Richard Petty?
Der Star ist weg, was nun? Steht Richard Petty Motorsports nach zwei erfolglosen Fusionen mehr denn je vor einem Scherbenhaufen?
(Motorsport-Total.com) - Kasey Kahne wechselt zu Hendrick Motorsports. Dieser überraschende Transfer beherrscht derzeit die US-Schlagzeilen. Aus gutem Grund. "Mit diesem Engagement sichert sich unser Team ein gutes Stück Zukunft", erklärte Rick Hendrick. Klar, denn der gerade 30 Jahre alt gewordene Kahne ist um einiges jünger als die Herren Jimmie Johnson (34), Jeff Gordon (38), Dale Earnhardt Jr. (35) und Mark Martin (51).

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Mit Kasey Kahne verliert NASCAR-Idol Richard Petty sein bestes Pferd im Stall
Auch für Kahne selbst bedeutet dies natürlich eine Riesenchance. Immerhin steigt er 2012 in den Hendrick-Chevrolet mit der Startnummer 5, das Fahrzeug des aktuellen Vizemeisters also. Oder in die Sprache von NASCAR-Dominator Jimmie Johnson übersetzt: Best of the Rest. Da kann aus Kahne-Sicht die Saison 2011 getrost in einem Hendrick-Kundenteam abgewartet werden - danach winkt ein Titelauto.#w1#
Doch es gibt noch eine andere Seite. Eine wichtige Frage steht ebenfalls im Raum und diese lautet: Ist der Abgang von Kasey Kahne der nächste Sargnagel für das Evernham/Petty/Yates-Team? Denn es ist nun wirklich kein großes Geheimnis, dass Kahne bei Richard Petty Motorsports die absolute Nummer eins ist. Weder Elliott Sadler, noch A.J. Allmendinger oder Paul Menard spielen in der Kahne-Liga.
Provokant formuliert kann die Frage auch so gestellt werden: Verlässt der Superstar das sinkende Schiff? Und die bittere Antwort lautet: Vielleicht. Denn es ist eigentlich ein kleines NASCAR-Drama, dass den Namen Evernham, Yates und Petty nun der endgültige und womöglich dauerhafte Abstieg in das Hinterfeld der NASCAR droht.
Fusionen über Fusionen

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Ray Evernham formierte das heutige Richard Petty Motorsports aus dem Nichts Zoom
Zur Erinnerung: Mit dem Crewchief Ray Evernham gewann Jeff Gordon zwischen 1993 und 1999 stolze 47 seiner bisher 82 Sprint-Cup-Rennen und drei seiner vier NASCAR-Titel. Als sich die Wege der beiden trennten, gründete Evernham sein eigenes NASCAR-Team mit dem Namen Evernham Motorsport. Und als Dodge 2001 seine Rückkehr in die NASCAR vollzog, wurde Evernham zum inoffiziellen Dodge-Werksteam.
Bis zum Ende der Saison 2007 hatte der Mann aus New Jersey das alleinige Sagen. Obwohl Kasey Kahne erst Anfang 2004 (er ersetzte Altmeister Bill Elliott) in den Sprint-Cup aufstieg, holte er in der Zeit zwischen 2001 und 2007 sieben der 13 Evernham-Siege. Doch Evernham war klug genug, im August 2007, sozusagen auf dem bisherigen Allzeithoch der Aktie NASCAR, die Mehrheit an seinem Team an den Geschäftsmann George Gillett abzugeben. Bis Ende 2008 firmierte das Team nun unter dem Label Gillett/Evernham Motorsport. Zwei Siege folgten in dieser Zeit, beide holte - natürlich - Kasey Kahne.
Im Winter 2008/2009 fusionierte man mit dem wohl traditionellsten NASCAR-Team überhaupt: mit Petty Engineering. Aber der Familienbetrieb Petty war in der modernen NASCAR längst zu einer Ikone einer vergangenen Epoche geworden. Den letzten der insgesamt 268 Petty-Siege holte John Andretti im April 1999 in Martinsville. Ein knappes Jahrzehnt ohne jeden Erfolg also. Das einzig verbliebene wirklich wertvolle Asset war die legendäre Startnummer 43, die nun in den Besitz des Industriellen Gillett überging - ein Unding für Die-Hard-Fans. NASCAR-Idol Richard Petty wurde als Gallionsfigur installiert und Evernham ließ sich seine letzten Anteile auszahlen.
Doch die Fusion zweier angeschlagener Boxer ging nicht auf. Zwar gewann Richard Petty Motorsports, so der neue Name, in der Saison 2009 erneut zwei Rennen (beide natürlich durch Kasey Kahne), die Sponsoren hielten sich aber zurück. Reed Sorenson steuerte die legendäre Startnummer 43, was finanziell keinerlei Auswirkungen hatte. Am Sorenson-Dodge gaben sich Kleinsponsoren die Klinke in die Hand, das einzig komplett durchfinanzierte Auto war - richtig - der Budweiser-Dodge von Kasey Kahne, der es prompt in den NASCAR-Chase schaffte.
Von Dodge zu Yates und Ford

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Doug und Robert Yates sind die besten Motorenbauer der Ford-Truppe Zoom
Im Laufe des Jahres 2009 schlug dann bekanntlich die US-Finanzkrise mit voller Wucht durch. Den Chrysler-Konzern, und damit Petty-Motorenlieferant Dodge, traf es dabei ähnlich hart wie General Motors, weshalb Petty seine Fühler in andere Richtungen ausstrecken musste. Toyota winkte ab, lediglich bei Ford ergab sich eine Chance in Person von Doug Yates.
Yates Racing ist der dritte große NASCAR-Name, der in diese Geschichte verwickelt ist. Piloten wie der unvergessene Davey Allison, Ernie Irvan und vor allem Dale Jarrett mit seinem Titel 1999 sind Synonyme für eine glorreiche Vergangenheit an der NASCAR-Spitze. Doch auch bei Yates gab es - analog zu Petty - im letzten Jahrzehnt nur eine Richtung: abwärts.
Zwar gilt Yates nach wie vor als die Ford-Motorenschmiede der NASCAR, doch das Schwesterunternehmen von Jack Roush mit den Stars Mark Martin, Jeff Burton, Kurt Busch oder später Matt Kenseth, Greg Biffle und Carl Edwards hatte dem Yates-Team markenintern seit vielen Jahren das Wasser abgegraben. Sportlich und finanziell.
Richard Petty Motorsport, also die bereits fusionierten Mannschaften von Evernham und Petty, schlossen sich in diesem Winter erneut zusammen. Dieses Mal mit Yates Racing. Und wie Evernham verschwand offiziell auch der Name Yates, denn das neue Evernham/Petty/Yates-Team firmiert seitdem weiter unter der Bezeichnung Richard Petty Motorsports, nur eben mit Ford Power.
Wer außer Kahne?

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Keiner außer Kasey Kahne gewann in den vergangenen Jahren ein Rennen Zoom
Das große Aushängeschild dieses Vierwagen-Teams sollte Kasey Kahne darstellen. Doch dabei gab es einen kleinen Haken. Denn als der damalige Nationwide-Youngster Kahne im Jahr 2003 von Ray Evernham das Angebot bekam, Bill Elliott zu ersetzen, stand er noch bei Ford unter Vertrag. Diese blockten und Evernham musste eine Ablöse bezahlen, um Kahne aus seinem Ford-Vertrag herauszukaufen.
Das hat Kahne nicht vergessen. "Wir werden sehen, wie wir damit umgehen und weitermachen", lautete sein Unkenruf im Winter 2009, als die Petty/Yates-Fusion publik wurde. "Aber die Zeit heilt viele Wunden und einige der Leute, die das damals alles verursachten, sind weg." Kahne nun auch.
Fakt ist: Seit 2006 hat aus den drei Teams Evernham, Petty und Yates nur ein einziger Pilot insgesamt 13 Sprint-Cup-Rennen gewinnen können - Kasey Kahne. Dazu das so lukrative All-Star-Rennen von Charlotte (2008), bei dem Kahne nur durch das Votum der Fans ins Feld kam. Ein deutliches Indiz über die immense Beliebtheit des 30-Jährigen aus dem kleinen Ort Enumclaw im US-Bundesstaat Washington an der Westküste.
Wie steht es um die Finanzen?

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Wie ernst ist die Finanzlage bei Richard Petty Motorsports wirklich? Zoom
Dazu kommt: Das Petty-Team drückt eine schwere Schuldenlast. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Teambesitzer George Gillett der Zahlungsverpflichtung eines Kredits von etwa 70 bis 90 Millionen US-Dollar nicht nachgekommen sei. Dieser Betrag stammt aus der Zeit, als das Petty-Team seine Werksunterstützung von Dodge/Chrysler verlor. Schnell erklärte der Finanzier, dass dies "rein technischer Natur" sei und man derzeit an einer Umschuldung arbeite.
"Wir wollen mit dem Bankenkonsortium eine Vereinbarung treffen, in dem wir diese Kredite mit frischem Kapital aus unserer Familie begleichen", erklärte Gillett gegenüber 'ESPN'. "Damit wäre die Firma - bis auf ein paar Millionen - im Prinzip schuldenfrei." Bleibt die Frage, ob Richard Petty Motorsports ohne Werksunterstützung operativ dauerhaft in den schwarzen Zahlen arbeiten kann.
Denn das große Zugpferd ist weg und ob dessen Hauptsponsor Budweiser bleibt, weiß zur Stunde niemand. Zudem stellt sich die Frage, was Petty in der Saison 2011 plant. Reduziert man auf ein Drei-Wagenteam mit Elliott Sadler, A.J. Allmendinger und Paul Menard? Wenigstens dessen Ford mit der Startnummer 98 ist durch den finanzkräftigen US-Tycoon John Menard, gemäß 'Forbes' der reichste Mann im US-Bundesstaat Wisconsin, abgedeckt.
Wer kann Kahne ersetzen?

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Wer könnte in NASCAR-USA einen Stellenwert wie Kasey Kahne haben? Zoom
Doch was plötzlich fehlt, ist ein Superstar. Eine Rolle, die Kasey Kahne in den vergangenen Jahren wenigstens ansatzweise ausfüllen konnte. Der einzig verfügbare Pilot aus der erweiterten NASCAR-Spitzenklasse ist Casey Mears, der jedoch bei Ganassi, Hendrick und zuletzt Childress scheiterte. Kein Fahrer also, der sportlich und vor allem marketingtechnisch in der Kahne-Liga spielt.
Oder man bedient sich im Roush-Nachwuchsstall. In der Nationwide-Serie fahren dort gerade Colin Braun und Ricky Stenhouse Jr. Ist es wirklich denkbar, dass Budweiser - analog zu Home Depot und Joey Logano bei Joe Gibbs Racing - das Wagnis eingeht, einen Sprint-Cup-Youngster von Beginn an zu fördern?
Nur: Weder Braun noch Stenhouse können bisher auch nur annähernd an die Logano-Erfolge heranreichen. Und weder Evernham, noch Petty, noch Yates operieren auf dem Gibbs-Level. Vermutlich auch gemeinsam nicht. Der einzige wirkliche Siegfahrer geht und was der einzige wirklich prominente Sponsor macht, ist völlig ungeklärt. Es ist keine Frage: Das Fusionskonstrukt Evernham/Petty/Yates geht ganz schwierigen Zeiten entgegen.

