• 10.10.2007 12:18

  • von Klaus Graf

Graf: Wie Villeneuves Leistung einzuordnen ist

Klaus Graf ist 2004 selbst in Talladega gefahren und schreibt in seiner Kolumne auf 'Motorsport-Total.com' über das NASCAR-Debüt von Jacques Villeneuve

Liebe 'Motorsport-Total.com'-Leser,

Titel-Bild zur News: Klaus Graf

Klaus Graf erwartet in der NASCAR noch einiges von Jacques Villeneuve

Es ist schon etwas wahnsinnig, was sich zur Zeit in der NASCAR alles abspielt. Nach Juan Pablo Montoya ist jetzt mit Jacques Villeneuve ein weiterer, weltweit hoch angesehener und renommierter Fahrer in die Serie gekommen, und mit Dario Franchitti und Sam Hornish Jr. befinden sich zwei weitere Top-Stars in den Startlöchern.

Das bedeutet für mich nichts anderes, als dass die NASCAR eine Wende vollzieht und sich international öffnet. Andere Fahrer, andere Märkte, andere Einflüsse - mit Franchitti hat nun auch Europa einen NASCAR-Piloten und mit Toyota spielt der größte Automobilkonzern der Welt mit. Derzeit ändert sich so ziemlich alles: Der Wettbewerb wird immer härter und extremer, die Atmosphäre gleichzeitig immer globaler, und alles geschieht unglaublich schnell.#w1#

Speziell aus der Fahrersicht hat NASCAR verstanden, was Namen wie Montoya oder Villeneuve für einen Reiz ausstrahlen. Und umgekehrt verhält es sich genauso, auch die Top-Stars bemerken nun, welche große Herausforderung die NASCAR für sie enthält. Genauso gilt natürlich, dass die NASCAR auch aus dem Grund so attraktiv ist, weil sich viele andere Serien ganz einfach in argen Schwierigkeiten befinden.

Mit Villeneuve kam nun ein ehemaliger Formel-1-Weltmeister in die NASCAR, und der hat sich in Talladega absolut clever verhalten. Durch sein freiwilliges Zurückfallen lassen am Start ist er nicht nur dem ganzen Gedrängel zu Beginn aus dem Weg gegangen, sondern hat sich auch viel Respekt bei den Kollegen erarbeitet. Man muss aber auch ganz klar feststellen, dass Villeneuve am Samstag mit einem absoluten Qualifying-Setup unterwegs war - und die Toyota-Motoren haben einfach Qualm ohne Ende.

Toyota bereitet bereits Daytona vor

Jacques Villeneuve

Jacques Villeneuve hat in Talladega viel gelernt und clever agiert Zoom

Denn die Qualifikation in Talladega bedeutet 100 Prozent Vollgas und soviel PS, wie nur irgendwie möglich. Fünf Toyotas unter den ersten Sechs sprechen da eine deutliche Sprache und ein ganz entscheidender Fakt kommt noch hinzu: Talladega war der erste Superspeedway-Auftritt mit dem Car of Tomorrow, und es ist gleichzeitig auch der letzte Superspeedway-Auftritt vor dem Daytona 500 im Februar 2008 gewesen.

Daytona 2008 wird also genauso gefahren, wie am Wochenende das Talladega-Rennen. Das Daytona 500 ist der absolute NASCAR-Saisonhöhepunkt, und ich bin mir sicher, dass bei Toyota die gesamte Planung bereits daraufhin abgestellt ist. Das Daytona 500 ist das wichtige Rennen, und Talladega war der dazugehörige Test, dessen Erkenntnis war, dass man auf Motorenseite voll dabei ist.

Villeneuve - dessen fahrerische Qualitäten völlig außer Zweifel stehen - hat das ganz genau gewusst, und er war sich auch sicher, dass sein Bill-Davis-Toyota gut genug ist, um im Talladega-Qualifying ganz vorne dabei zu sein. Und genau das war auch seine Motivation, in Talladega mitfahren zu wollen - er hat dabei extrem viel gelernt und alles perfekt umgesetzt.

Es gibt zwei Arten, ein Nextel-Cup-Rennen auf einem Superspeedway zu fahren. Entweder geht man das Ganze sehr passiv an, man schwimmt also im Verkehr mit und will sich aus allem heraus halten. Oder aber man geht aggressiv in das Rennen, nimmt das ganze Bump-Drafting mit, versucht eigene Linien aufzumachen und das Geschehen von der Spitze aus zu dominieren.

Strategie wie die Hendrick-Leute

Jacques Villeneuve

Auch gute Boxenstopps gehören zur NASCAR-Routine dazu Zoom

Die Rennstrategie von Villeneuve hat sich also im Prinzip in keinster Weise von den Hendrick- oder Roush-Leuten unterschieden, nur mit dem Unterschied, dass die Spitzenpiloten in den letzen Runden dann richtig Alarm gemacht haben. Aber für Villeneuve war das in Talladega überhaupt nicht Sinn und Zweck der Sache.

Was Villeneuve in der NASCAR bewegen kann, wird sich dann herausstellen, wenn es auf die normalen Ovale geht. Dabei wird ihm - genau wie übrigens Montoya - seine analytische Arbeitsweise extrem weiterhelfen, die er auf den Rundkursen und in der Formel 1 gelernt hat. Präzise Aussagen helfen jedem Crew-Chief weiter, und den Ganassi-Aufschwung in dieser Saison führe ich durchaus auch auf den Montoya-Input zurück.

In Sachen Toyota ist jedenfalls genau das eingetreten, wovor Roush und Hendrick Angst haben, denn Toyota bringt den Wettbewerb in der NASCAR noch einmal auf ein ganz anderes Level. Ich persönlich sehe das alles mit einem lachenden und einem weinenden Auge, denn einerseits freut es mich, wenn die NASCAR nun die internationale Anerkennung bekommt, die sie seit langem verdient.

Rückwirkend betrachtet habe ich 2004 quasi die Pionierarbeit dafür erledigt, denn mein persönlicher NASCAR-Werdegang war damals ein gelungenes Experiment für den Weg, den nun alle Top-Stars in der NASCAR nehmen. Ich war damals der erste internationale Fahrer, der mit der aktuellen Ernsthaftigkeit an die Sache herangegangen ist, und NASCAR hat 2004 gesehen, dass das bei mir funktioniert hat. Umso mehr freut es mich, wenn ich - vielleicht in Sears Point oder Watkins Glen nächstes Jahr - noch einmal gegen Villeneuve oder Montoya antreten kann: In einem Stock-Car habe ich keine Angst vor den beiden.

Herzliche Grüße

Klaus Graf