• 01.03.2013 13:10

  • von Pete Fink

David gegen Goliath oder: Fünf gegen 500

Die Leavine Racing Family schafft in Daytona 2013 einen echten NASCAR-Coup - 'Motorsport-Total.com' erzählt die Geschichte, die dahinter steckt

(Motorsport-Total.com) - Es war Runde 177 beim Daytona 500. Scott Speed profitiert von den Green-Flag-Stopps der Konkurrenz und übernimmt beim "Great American Race" die Führung. Was von der breiten NASCAR-Öffentlichkeit ziemlich unbemerkt bleibt, sorgt an der Leavine-Box für ein kollektives Grinsen: Das mit Abstand kleinste aktuelle Sprint-Cup-Team liegt beim größten NASCAR-Rennen der Saison in Front! Die fünf (!) Leavine-Mitarbeiter haben es tatsächlich geschafft und den großen Sprint-Cup-Teams mit ihren bis zu 500 Angestellten eine lange Nase gezeigt. Eine klassische Geschichte aus der Reihe David gegen Goliath.

Titel-Bild zur News: Scott Speed

Von links nach rechts: Bob und Sharon Leavine, Wally Rogers und Scott Speed Zoom

Alles begann im Jahr 1968. Damals arbeitete der gebürtige Texaner Bob Leavine für die Firma DuPont und wurde nach South Carolina versetzt. "Meine Frau Sharon und ich begannen damit, die NASCAR-Rennen in Darlington oder Charlotte zu besuchen und wurden ganz schnell mit dem NASCAR-Virus infiziert", erinnert sich Teambesitzer Leavine gegenüber 'Motorsport-Total.com'. Dieser verteilte sich in den Jahren danach auch an Tochter Melynda, die sich übrigens früh als Fan von Jimmie Johnson outete und heute die Geschäfte führt.

So weit, so gut. Im Jahr 2002 bekam Bob Leavine dann ein ganz spezielles Geburtstagsgeschenk: Eine Fahrt auf dem Texas Motor Speedway mit der Richard Petty Driving Experience. Das war sozusagen der Startschuss. "Heute habe ich über 1.000 Runden auf dem Buckel", lacht der groß gewachsene, grauhaarige Teambesitzer. "Auch Melynda ist oft gefahren, mein Enkel Michael hat dort angefangen - und wir haben Mike Starr kennen gelernt." Mike Starr wiederum ist nicht nur der Besitzer der Petty-Driving-Experience von Texas, er ist auch der Onkel von NASCAR-Pilot David Starr.

Plötzlich kam eines zum Anderen: Der mittlerweile selbstständige Bauunternehmer und NASCAR-Fan Leavine fing an, das Nachwuchstalent Starr in der Nationwide-Serie zu unterstützen. "Aber David bekam eben nie die Chance, sich im Sprint-Cup zu beweisen und wir wollten ihm mit gutem Equipment dabei helfen. Also sagte ich eines Tages im November 2010 bei einer Heimfahrt zu meiner Frau Sharon: Ich glaube, wir sollten ein Cup-Team aufmachen."

Roush, Rogers, Menard und Texas

Scott Speed

Der Leavine-Ford noch ohne Sponsor und mit nackter Motorhaube Zoom

Leavine ist ganz offensichtlich kein Mann vieler Worte, eher der Taten. Im Dezember 2010 besuchte er Jack Roush und Richard Childress "und was ich bei Roush gehört habe, hat mir sehr gut gefallen. Wir haben also einen Deal gemacht und als ich dann aus der Besprechung herausging, habe ich gefragt: 'Ach übrigens, ich bräuchte noch einen guten Crewchief. Kennt ihr jemanden?' Sie empfahlen mir Wally Rogers und im Januar 2011 hatte ich ihn dazu überredet, dieses Projekt aus dem Boden zu stampfen."

Crewchief Rogers war vor allem deshalb ein Kandidat, weil er zuvor bereits das Truck-Team von Kevin Harvick von Grund auf aufgebaut hatte. Matt Crafton und Ron Hornaday hießen seine ersten Schützlinge. Später arbeitete er im Sprint-Cup am Petty-Dodge von Elliott Sadler. Das Petty-Team wollte Rogers zukünftig im Shop einsetzen und nicht mehr an der Strecke, worauf Rogers - Zitat Leavine - "aber keine Lust hatte". Übrigens: Heute operiert das Leavine-Team aus dem alten Shop von Alan Kulwicki heraus, der 1992 als letzter Owner/Driver vor Tony Stewart den NASCAR-Titel gewann.


Fotos: Daytona 500, Training/Quali


Auch ein neuer Team-Truck musste her und da passte es gut, dass die Petty-Mannschaft nach dem Abgang von Paul Menard dessen alten Hauler verkaufen wollte. "Sie hatten zwar schon einen Käufer, aber der zahlte nicht." Leavine fackelte nicht lange und schlug sofort zu. Auch heute erinnern noch einige Lackteile an die Menard-Herkunft, denn die klassische, Menardsche knallgelbe Farbe schimmert an einigen Stellen nach wie vor durch.

Es war eine echte Hauruck-Aktion, denn die Leavine Raicng Familiy wollte ihr erstes Sprint-Cup-Rennen natürlich auf dem heimischen Texas Motor Speedway bestreiten. Dies war für den 7. April 2011 angesetzt. "Unser erstes Auto von Jack Roush bekamen wir am 6. März, das Zweite eine Woche später. Ich habe keine Ahnung, wie sie es gemacht haben, aber wir haben es tatsächlich ins Rennen geschafft." Und nicht nur das: David Starr stellte die Startnummer 95 auf Startplatz 33 und kam als 38. ins Ziel. Das Preisgeld: Knapp 80.000 US-Dollar.

Das allererste Daytona 500

Scott Speed

Scott Speed war der Wunschkandidat von Teambesitzer Bob Leavine Zoom

"Wir waren ja nur fünf Leute, also haben wir wirklich Tag und Nacht gearbeitet", erinnert sich Leavine. "Ich selbst war zum Beispiel damit beschäftigt, die ganzen graphischen Themen und die Arbeitsbekleidung zu organisieren. Lauter kleine, aber wichtige Dinge. Du kannst ja auf der großen Bühne im Sprint-Cup nicht einfach so auftauchen, du musst schon etwas hermachen. Wally und ich waren einer Meinung: Vielleicht sind wir langsam und fahren hinterher, aber dann sehen wir wenigstens gut aus."

Acht Rennen versuchte die Startnummer 95 in der Saison 2011 und schaffte viermal den Cut. Dies war auch die Phase, in der Leavine auf Scott Speed aufmerksam wurde. "Scott hat uns in unserer ersten Saison das Leben zur Hölle gemacht, als er für Dustin Whitney mit schlechterem Material immer schneller war als wir. Da wurde mir klar: Den Jungen möchte ich haben. Ich habe dann solange an ihn hingebaggert, bis er irgendwann 'Ja' gesagt hat."


Fotos: Daytona 500, Training/Duels


Mit Erfolg, denn in der vergangenen Sprint-Cup-Saison 2012 schaffte Neuzugang Speed das Kunststück, den Leavine-Ford an allen 15 Wochenenden ins Rennen zu bringen, an denen das Team teilnahm. Einzige Ausnahme war Bristol, wo es aufgrund von Regen kein Qualifying gab. Im August 2012 sorgte also alleine die Sprint-Cup-Ownerwertung dafür, dass die Mannschaft einmal die vorzeitige Heimreise antreten musste. Der Wechsel hatte sich gelohnt.

Arbeiteten Crewchief Rogers und seine Jungs in der ersten Saison 2011 nur mit einem Intermediate-Auto, das mit anderen Bremsen auch auf den Short-Tracks verwendet wurde, so wurde 2012 das Spektrum um ein Rundstreckenprogramm erweitert. Erst jetzt, also im Februar 2013, traut sich die Startnummer 95 auf die Superspeedways der NASCAR. Mehr noch: "Das ist das erste Daytona 500, das ich als Person live vor Ort mitmache und ich bin dumm genug, dann gleich ein Auto mitzubringen", lacht Leavine.

Psycho-Drama im Duel-Race

Scott Speed

Der neue Hauptsponsor ist da: Scott Speed hilft beim Bekleben der Motorhaube Zoom

Und der Druck war riesig. Eine Qualifikation für das Daytona 500 ist, so die alte Faustregel, inklusive Preisgeld und Sponsoren rund eine halbe Million US-Dollar wert. "Du brauchst Glück", sagte Leavine vor den entscheidenden Duel-Rennen, die Scott Speed auf Rang 15 beenden musste, um sicher im Feld zu stehen. Und es begann gut: Der rot-blau lackierte Leavine-Ford mit der 95 hatte sich in seinem ersten Duel auf Platz acht nach vorne gearbeitet, als Speed beim ersten und einzigen Boxenstopp über seinen Boxenbereich hinaus rutschte. "Das war mein Fehler", gab er sofort zu. "Ich bin lange nicht mehr auf einem Superspeedway gefahren und hätte die Bremsen besser anwärmen sollten." Das Auto musste zurück geschoben werden und verlor viel Boden. Rang 21 war die Quittung.

Was folgte, war eine Aufholjagd, die Speed wieder bis auf Rang 16 nach vorne brachte. Nicht genug, denn damit war die Daytona-Qualifikation um Haaresbreite verpasst. Oder doch nicht. Denn als das Team schon mit langen Gesichtern zusammenpackte, verkündete der Streckensprecher, dass dem weiter vorne platzierten Martin Truex Jr. wegen eines verlustig gegangenen Seitenfensters an seinem Waltrip-Toyota eine Runde gestrichen wurde. Die Leavine Racing Family stand tatsächlich im Daytona 500!


Fotos: Daytona 500, Rennen


"Wir sind dabei", atmete der Teambesitzer auf. "Ich bin einfach nur überglücklich." Gleiches galt für Crewchief Rogers: "Wir sind ein sehr kleines Team und das ist für uns eine wirklich große Sache." "Ich habe es tatsächlich über den Lautsprecher erfahren", unterstreicht Leavine. "Ich war schon der Meinung, dass wir nach Hause fahren würden, aber dann haben wir gehört, dass wir doch dabei sind. Das war eines der verrücktesten Gefühle, die ich auf einer Rennstrecke jemals erlebt habe."

"Klar war die Sache mit dem Fenster unser Glück", analysierte Speed wesentlich nüchterner. "Aber wir waren in unserem Duel ja viel besser unterwegs als es das Ergebnis aussagt. Und genau dazu brauchst du ein gutes Auto. Das ist genau das, was alle bei LFR wissen müssen. Dies ist ein unglaublich stolzer Moment für alle: Wir stehen im Daytona 500 und an diesem Satz kann ich mich gar nicht satthören." Und einen neuen Sponsor gab es dazu, denn tags darauf wurde die bislang nackte Motorhaube mit dem Logo von Dish Networks verschönert, die früher bereits die Roush-Fords von Greg Biffle und Carl Edwards unterstützt hatten.

Zehn Prozent Red Bull reichen

Der Jubel war also riesig. Stammpilot Speed erläutert: "Wir wachsen und das ist in der aktuellen Wirtschaftssituation sicherlich nicht einfach. Vergangenes Jahr in Watkins Glen wurden wir 17. und konnten gegen Jungs wie Jeff Gordon kämpfen. Das gibt dir schon das Gefühl, dass du gerade viel mehr erreichst. Vor allem, wenn du dir anschaust, was wir zur Verfügung haben. Das Entscheidende ist aber, dass wir richtig gute Leute an den wichtigen Positionen haben. Zum Beispiel Crewchief Wally Rogers. Wir scherzen immer, dass wir gerne schon viel früher miteinander gearbeitet hätten."

Scott Speed

Stolzer Moment: Das Leavine-Team in der Startaufstellung zum Daytona 500 Zoom

Ein gesundes Selbstbewusstsein ist also vorhanden: "Wir wissen beide, dass wir zusammen in einem großen Team, das in Sachen Finanzen richtig gut dasteht und auch in Sachen Entwicklung vorne dabei ist, eine gute Rolle spielen können. Aber genau diese Performance ermöglicht es uns gleichzeitig, dass wir interessant für Sponsoren werden. Und damit kann das Team eben wachsen." Sein Vergleich lautet: "Die Konkurrenz kann ja mit vier verschiedenen Teams arbeiten und all diese Informationen analysieren. Was funktioniert an diesem Wochenende? Was funktioniert nicht? Wir sind auf uns alleine gestellt."

Und trotzdem schafft es Speed mit dem kleinen Leavine-Team ähnliche Ergebnisse zu holen wie zu seinen Red-Bull-Zeiten. "Mit zehn Prozent des Budgets und zehn Prozent an Manpower", lacht der ehemalige Formel-1-Pilot. "Es geht um die Qualität der Leute. Mit Wally habe ich jetzt einen Crewchief, der das Auto wirklich versteht. Du kannst alles Geld der Welt haben - wenn du nicht die richtigen Leute hast, dann wird es nicht vorwärts gehen. Wichtig für uns ist es, dass unser 1,5 Meilen-Programm weitergeht. Auch das neue Auto kommt uns entgegen, weil es da für alle noch viele Fragezeichen gibt."

Aus allem heraushalten

Im Daytona 500 tat Speed dann das, was ihm die Lage quasi aufgezwungen hatte: Er hielt sich aus allen Scherereien heraus und hatte bei einem Big One auch das nötige Quentchen Glück, sich um Haaresbreite an der Massenkarambolage vorbei quetschen zu können. In den letzten 20 Runden spielte er absolut auf Nummer sicher und ließ sich früh hinter den großen Pulk zurückfallen. Am Ende brachte er seine Startnummer 95 bombensicher und ohne jede Schramme auf Rang 23 nach Hause.

Scott Speed

Scott Speed bringt den Leavine-Ford ohne jeden Kratzer auf Platz 23 ins Ziel Zoom

Mit nur fünf Mann gegen die jeweils fünfhundert Hendricks, Gibbs, Roush oder Childress dieser Welt schafft es die Leavine Racing Family in das größte NASCAR-Rennen der Saison und beendet dies in der Führungsrunde. Das ist genau der Stoff, aus dem die NASCAR ihre ganze Historie aufgebaut hat. Und völlig unabhängig und weitgehend unbemerkt von den Jimmie Johnsons oder Danica Patricks dieser Welt gibt es sie doch noch: Die Wurzeln dieses Sports.

Eigentlich ist es sehr schade, dass diese Wurzeln der NASCAR in unserer modernen und so schnelllebigen Zeit immer häufiger unterzugehen drohen. Denn wie es auch anders geht, beweisen Leute wie Bob Leavine, Scott Speed und Wally Rogers mit seinen vier Mitarbeitern. Und so etwas sollte nicht unerwähnt bleiben, denn diese Leistung des kleinen Leavine-Teams in Daytona ist gar nicht hoch genug einzuschätzen.