Supersport-Pilot Gradinger exklusiv: 2019 "wird entscheidendes Jahr für mich"

Der Österreicher Thomas Gradinger konnte als Rookie 2018 in der Supersport-WM aufzeigen - 2019 will er im Kallio-Team den nächsten Schritt machen

(Motorsport-Total.com) - Der Österreicher Thomas Gradinger hat seine Debütsaison in der Supersport-Weltmeisterschaft mit drei Spitzenleistungen beendet. Der 22-Jährige fuhr auf einer Yamaha R6 in Frankreich, Argentinien und Katar jeweils auf den vierten Platz, das erste Podium verpasste er knapp. Als bester Rookie des Jahres sicherte er sich dennoch WM-Rang sieben mit 86 Punkten.

Titel-Bild zur News: Thomas Gradinger

Der 22-jährige Gradinger fährt 2019 seine zweite Saison in der Supersport-WM Zoom

Im zweiten Jahr wechselt Gradinger zum Kallio-Team, das mit Sandro Cortese den WM-Titel 2018 gewinnen konnte. Es wird ein "entscheidendes Jahr" für den Oberösterreicher, der sich im exklusiven Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' über seinen größten Traum, seine bisherigen Eindrücke und seine Saisonziele für 2019 unterhalten hat.

Frage: "Welches Fazit ziehen Sie nach ihrer ersten Saison in der Supersport-Weltmeisterschaft?"
Thomas Gradinger: "Ich bin überrascht von mir selbst. Ich hätte nicht gedacht, dass es so gut laufen würde. Ich habe gewusst, dass ich schnell bin, aber dass ich dann zum Schluss sogar um das Podium kämpfen konnte, hätte ich ehrlich gesagt nicht geglaubt. Also eine durchaus positive Saisonbilanz."

Frage: "Vor einem Jahr haben Sie sich Punkteränge als realistisches Ziel gesteckt. Haben Sie ihr Saisonziel also erreicht?"
Gradinger: "Das auf jeden Fall. Als Motorsportler hält man den Ball nach außen hin eher immer etwas flach. Die eigenen Erwartungen sind dann doch meist höher. Ich war aber immer realistisch und habe mir gesagt, dass Punkte auf jeden Fall cool wären. Mehr als erreicht, ja."

Thomas Gradinger

Gradinger schaffte in den letzten drei Rennen 2018 drei vierte Plätze Zoom

Frage: "Wie hat sich die öffentlich Wahrnehmung nach ihren Ergebnisse verändert?"
Gradinger: "Die Superbike- und Supersport-WM steht natürlich im Schatten der MotoGP, das wird auch immer so bleiben. Es ist die zweite Meisterschaft. Aber ich würde schon sagen, dass sowohl in der Superbike- als auch Supersport-WM richtig gute Fahrer antreten, die sich überhaupt nicht verstecken müssen. Die würden auch sehr gut in das MotoGP-Paddock passen. Ich persönlich habe schon gemerkt, dass die Aufmerksamkeit größer geworden ist. Ich kann aber immer noch damit umgehen."

Frage: "Gegen Saisonende hin sind Sie immer stärker geworden. Dreimal sind Sie Vierter geworden. Aber was hat noch gefehlt auf das erste Podium?"
Gradinger: "Es ist sicherlich noch einiges an Erfahrung, die mir fehlt. In Katar ist mir leider ein Anfängerfehler passiert. Ich habe mich so konzentriert, dass ich mich auf der Gerade klein mache. Dann habe ich um ein paar Tausendstel zu spät geschaltet. Und natürlich zählt jede Zehntel oder Tausendstel - und da habe ich es im Endeffekt dann verloren."

"Auch in den anderen Rennen hätte ich noch mehr Erfahrung gebraucht. Denn vor allem mit den gegen Rennende hin abbauenden Reifen hatte ich Probleme. Ich bin trotzdem meistens über hundert Prozent, über meinem Limit, gefahren. Das war dann nicht so einfach."

Qualifyingschwäche, finanzielle Probleme & ein neues Team

Frage: "War das Reifenmanagement die größte Herausforderung im Debütjahr?"
Gradinger: "Zumindest zum Ende des Rennens hin ja. Dort habe ich die meiste Zeit im Rennen verloren. Auch am Anfang des Rennens habe ich eingebüßt, meist aufgrund einer schlechten Startposition. Denn ich bin nicht der stärkste Qualifier - und wenn man von Startplatz zwölf losfährt, muss man sich erst mal nach vorne kämpfen. Dann nutzt man natürlich die Reifen auch schon viel mehr ab. Teilweise war ich zwar der schnellste Fahrer auf der Strecke, aber habe auch die Reifen deutlich mehr beansprucht. Das muss ich auf jeden Fall noch verbessern, dass ich von Anfang an vorne mit dabei bin."

Frage: "Woran liegt diese Schwäche im Zeittraining?"
Gradinger: "Ich weiß es noch nicht genau. Die anderen Fahrer können sich wohl auf diese eine Runde besser konzentrieren. Sie gehen mehr Risiko ein. Das versuche ich zwar auch immer, aber wenn ich pushe, dann beginne ich sehr schnell, verkrampft zu fahren. Und dann passieren Fehler. Ich muss noch lernen, dass ich entspannt bleibe, wenn ich pushen will."

Frage: "Vor einem Jahr haben Sie gemeint, dass das Wildcard-Rennen auf dem Lausitzring 2017 das bisher 'coolste Rennen' ihres Lebens gewesen ist. Was waren 2018 ihre Highlights?"
Gradinger: "Eigentlich die gesamte Saison. Die letzten drei Rennen waren besonders cool, da ich vorne mitkämpfen konnte. Das waren sicherlich drei meiner besten Rennen. Aber auch der Saisonstart war richtig beeindruckend, als ich das erste Mal mit den WM-Jungs mitfahren durfte."

Thomas Gradinger

1. Rennen in Phillip Island: Gradinger schafft beim Einstand Platz zehn Zoom

Frage: "In der Saison 2018 haben Sie auch interne Schwierigkeiten in ihrem NRT-Team miterlebt, vor allem finanzielle Probleme ..."
Gradinger: "Das ist ein leidiges Thema. Es war für die Mechaniker und auch uns Fahrer schwierig, da wir doch alles mitbekommen haben. Ich bin nie bezahlt worden fürs Fahren, daher haben mich die Geldprobleme nicht primär betroffen. Aber es tut schon persönlich weh, wenn man hört, dass Mechaniker sechs, sieben Monate ohne Bezahlung arbeiten. Auch die haben Familien zu Hause und brauchen das Geld. Die haben das nur aus Leidenschaft gemacht für uns Fahrer."

"Und man weiß es ja selbst: Beim Geld hört die Freundschaft auf. Die Stimmung in der Box wird dadurch einfach schlechter. Das war teilweise schon schwierig, noch locker und mit Freude zusammenzuarbeiten. Dann kann man auch nicht mit einem freien Kopf fahren. Aber am Ende haben wir gemeinsam als Team das Beste daraus gemacht. Es war dennoch eine erfolgreiche Saison."

Frage: "Sie müssen ihren Renneinsatz selbst finanzieren. Helfen die guten Ergebnisse bei der Suche nach Sponsoren?"
Gradinger: "So wie es 2018 gelaufen ist, wäre es nicht mehr gegangen. Es ist etwas einfacher geworden, aber immer noch schwierig. Das Budget haben wir zur Gänze auch noch nicht beisammen. Wir haben noch ein bisschen Zeit, aber in Österreich und Deutschland ist es generell schwierig, neue Sponsoren zu finden. Da muss man tief in die eigene Tasche greifen."

Frage: "2019 rücken Sie in das Weltmeisterteam von Sandro Cortese auf. Im Kallio-Team treten Sie also in große Fußstapfen. Wie fühlt sich das an?"
Gradinger: "Na ja, ganz normal (lacht). Ich habe überhaupt keine Erwartungen. Es ist genauso ein Team, wie jedes andere auch. Die meisten Leute vom Team durfte ich bereits kennenlernen, die sind alle sehr cool drauf. In die Fußstapfen eines Weltmeisters treten ... Ich würde meinen, ich trete in gar keine Fußstapfen und gehe lieber meinen eigenen Weg."

Frage: "Mit dem Kallio-Team machen Sie einen weiteren Schritt Richtung Podium. Wie wichtig war dieser Umstieg in das Topteam?"
Gradinger: "Sehr wichtig. Im Endeffekt ist das ein entscheidendes Jahr. Entweder ich schaffe es jetzt oder eben nicht - damit ich nicht immer selbst so viel einzahlen muss. Und wenn ich schon Geld in die Hand nehmen muss, möchte ich nicht für ein Team fahren, wo ich von vornherein schon weiß, dass das nicht die beste Option ist."

"Wenn ich jetzt um Platz 15 herumfahre, dann weiß ich, dass es sicherlich nicht am Team liegt, sondern ausschließlich an mir. Natürlich muss man abwarten, wie sich die Saison entwickelt und wie die Zusammenarbeit funktioniert. Denn es ist nicht immer alles Gold, was glänzt. Aber bislang habe ich mit dem Team nur positive Erfahrungen gemacht."

Frage: "Sie durften die Yamaha in Spanien auch schon fahren. Wie lief der erste Tag mit dem neuen Team?"
Gradinger: "Es war sehr cool. Die Leute im Team sind ganz anders, als ich erwartet habe. Man denkt doch eher, dass Finnen kühl sind und sie schauen auch immer ernst, aber sie sind wirklich lustig drauf. Und trotzdem immer fokussiert."

"Ich freue mich schon sehr auf den nächsten Test [Ende Januar]. Dort bekommen wir die neuen Teile für die kommende Saison. Bislang bin ich nur mit dem 2018er-Bike gefahren. Das neue Bike wird dann bereits mit allen Features kommen, die ich haben wollte - auf mich abgestimmte Fußraste oder Lenkerstummel zum Beispiel, also speziell die Ergonomie betreffend."

Erklärtes Ziel 2019: Immer in die Top 5

Frage: "Jules Cluzel war im Vorjahr ihr Teamkollege. Er hat den Titel knapp nicht gewonnen. Wer wird in der Saison 2019 zu den Topfavoriten zählen?"
Gradinger: "Im Endeffekt ist jeder ein Gegner von mir, der gegen mich antritt. Zu den Titelanwärtern werden sicherlich [Jules] Cluzel und auch [Lucas] Mahias zählen. Auch [Federico] Caricasulo würde ich dazurechnen, und auch [Randy] Krummenacher wird nicht schlecht sein. Die werden bestimmt um den Titel fahren. Mein Ziel ist trotzdem, mit ihnen mitfahren zu können. Und sie vielleicht auch zu schlagen. Aber mein erklärtes Ziel sind die Top 5."

Frage: "Reichen die Top 5 aus, um sich längerfristig in der Serie zu etablieren?"
Gradinger: "Also die Top 5 oder Top 6 sind das Ziel für den Anfang. Je nachdem wie sich die Saison entwickelt, werde ich das dann nach oben schrauben. Wie ich schon sagte, hat man als Fahrer aber dann meist sowieso einen höheren Anspruch an sich selbst. Hoffentlich kann ich vorne mithalten und vielleicht schaut dabei auch einmal ein Podium heraus - das wäre natürlich ein Traum."

Frage: "2019 fahren Sie wieder eine Yamaha R6. Ist das Bike das beste seiner Art im Moment?"
Gradinger: "Das kann ich kaum beantworten, weil ich noch nie etwas anderes gefahren bin. Für mich ist es zurzeit das beste Motorrad, das zu mir passt von der Ergonomie her. Ich fühle mich richtig wohl auf dem Bike."

Frage: "War die Umstellung von der IDM wie erwartet groß?"
Gradinger: "Ich habe schon meine Zeit gebraucht. Auch muss man sagen, dass ein Fahrstil nie perfekt ist. Ich arbeite immer weiter daran, den noch zu verbessern. Das ist mein Ziel für die Saison 2019. Ich habe es aber geschafft, ihn umzustellen. Ich fahre jetzt definitiv anders. Das war sehr gut, dass ich das geschafft habe."

Thomas Gradinger

Gradinger will 2019 die Topfavoriten angreifen und das erste Podium holen Zoom

Frage: "Wo genau haben Änderungen stattgefunden?"
Gradinger: "Ich bremse jetzt spitzer in die Kurve rein und überhaupt stärker als zuvor. Ich versuche am Kurvenausgang außerdem, das Motorrad schneller aufzustellen, um mehr die Mitte des Reifens zu verwenden und nicht die Flanke. Das habe ich auf jeden Fall verbessert. Früher bin ich runder gefahren und habe dadurch den Reifen mehr beansprucht. Ich muss es aber weiterhin verbessern, da haben die anderen weiterhin einen Vorteil."

Frage: "Kommen wir noch zu einem ganz anderen Thema. Seit 2017 überträgt der österreichische Privatsender ServusTV die Superbike-WM, die Supersport-WM trotz ihrer Beteiligung allerdings nicht ..."
Gradinger: "Ich würde mir wünschen, dass es mehr Medienaufmerksamkeit geben würde. Zwar fahre ich selber mit und kann es daher nur schwer beurteilen, aber ich habe von vielen gehört, dass die Rennen der Supersport eigentlich viel spannender waren als jene der Superbike-WM. Da fährt meist Johnny Rea vorne weg und alle anderen hinten nach. Natürlich waren auch spannende Rennen mit dabei, aber in der Supersport war jedes Rennen toll zum Anschauen."

Frage: "In Österreich findet aktuell - wie auch in Deutschland - kein Rennen der Superbike- und Supersport-WM statt. Würden Sie sich ein Heimrennen wünschen?"
Gradinger: "Total! Das würde ich mir sehr wünschen. Das wäre sehr geil, auf dem Red-Bull-Ring zu fahren. Oder vielleicht wird auch der Salzburgring wieder aktiviert. Das wäre sehr cool, ein kleiner Traum."

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