• 03.10.2008 15:37

High-Tech aus Deutschland und der Schweiz

Speedway-Technik: Beim WM-Finale Auf Schalke vertraut die Weltspitze auf Motoren aus Deutschland und der Schweiz

(Motorsport-Total.com) - Die Schlagwörter sind eingängig: Beschleunigung wie ein Formel 1-Bolide - aber keine Bremsen. Doch ein Speedway-Motorrad ist mehr als nur ein brachialer Feuerstuhl; in den Prototypen, die in der WM und damit auch beim Grand Prix in der Veltins-Arena Auf Schalke am 11. Oktober zum Einsatz kommen, steckt mehr Technik, als man auf den ersten Blick glauben möchte.

Titel-Bild zur News:

Die Einzylinder-Motoren beim Speedway leisten rund 60 bis 70 PS

Die Motorräder sind Spezialanfertigungen für den Bahnsport; bei den Rahmen und auch bei den Motoren gibt es verschiedene Anbieter, und fast alle Bauteile werden von den Fahrern und ihren Tunern noch mal in viel Feinarbeit maßgeschneidert.#w1#

Kolbenspeed jenseits von gut und böse

Bei den Tunern mischen auch zwei Deutschsprachige in der Weltspitze mit. Der Schweizer Marcel Gerhard bereitet die Motoren für den Tabellendritten Greg Hancock sowie für Tomasz Gollob und Scott Nicholls vor. Der Bayer Klaus Lausch zeichnet sich für die Motoren des schwedischen Shooting Star Fredrik Lindgren verantwortlich. Und bis inklusive letzten Jahres arbeitete Anton Nischler noch für Bjarne Pedersen; jetzt liegt die Priorität von Nischler allerdings beim letztjährigen Wild Card-Fahrer Christian Hefenbrock und bei Langbahn-Weltmeister Gerd Riss.

Lindgren ist der einzige Fahrer, der noch auf JRM-Motoren setzt - jene Marke, die nach der Wende und dem Fall des Eisernen Vorhangs aus dem Jawa-Konzern im tschechischen Diwisow hervorgegangen ist. Der Rest des Feldes fährt mit GM-Aggregaten - benannt nach ihrem Erbauer, dem Italiener Guiseppe Marzotto. "Vom Material her sind die beiden Marken fast identisch", weiß Lausch. "Es gibt inzwischen auch nur einen Typ von Jawa - und der ist absolut spitzenmäßig. Aber irgendwann zwischendrin hat Jawa zu wenig entwickelt, deswegen ging der Trend zu GM."

"Wenn der Belag rutschig ist, kann man leicht über-motorisiert fahren." Marcel Gerhard

Die Motoren sind 500 Kubikzentimeter groß. Sie haben nur einen Zylinder und in den meisten Fällen auch nur eine Nockenwelle. Lediglich der Norweger Rune Holta, der unter polnischer Flagge um den achten Platz und damit um den Verbleib in der WM 2009 kämpft, experimentiert mit einer Twin Cam-Technik wie im Moto Cross mit zwei oben liegenden Nockenwellen. Der Däne Fleming Graversen hat diesen klobigen Motor für Holta entwickelt, aber bislang hat er sich noch nicht durchgesetzt.

Die ohc-Motoren leisten je nach Einstellung 60 bis 70 PS. Ihre optimale Leistung geben sie bei Drehzahlen von 9500/min frei; ihr maximales Drehmoment von 56 Nm stemmen sie bei 8000/min auf die Kurbelwelle. Beim Start lassen die Fahrer die Motoren kurz sogar bis auf 13 500/min hochjubeln; damit erreichen sie Kolbengeschwindigkeiten von 35 m/s. Die Motor-Innereien sind dann höheren Belastungen ausgesetzt als in einem Formel 1: Dort liegen die Kolbengeschwindigkeiten nur bei 28 m/s.

Schwache Verdichtung, fettes Gemisch

Der Bahnbelag bestimmt maßgeblich die Einstellung der Motorräder. "Wenn der Belag rutschig ist, kann man leicht über-motorisiert fahren", weiß Tuner Marcel Gerhard. "Wenn man auf einem glatten Belag zu viel Leistung hat, dreht das Hinterrad zu viel durch. Dem kann man durch Verstellen der Zündung entgegenwirken. Es gibt drei Grundschrauben, mit denen die Zündung stufenlos verstellbar ist. Optimal ist eine Vorzündung von 24 oder 25 Grad; wenn man sie verstellt, variieren die Werte zwischen 18 und 30 Grad." Statt der herkömmlichen Magnetzündung von Selettra setzen die meisten Fahrer inzwischen auf eine elektrische Version der englischen Firma Interspan, die aus einem Geber und einer Zündbox besteht. "Wie eine Batteriezündung", vergleicht Gerhard.

Neben dem Zündzeitpunkt ist die Bedüsung des 34 Millimeter großen Vergasers ein essentieller Bestandteil der Abstimmung einer Speedway-Maschine. Die Vergaser kommen inzwischen durch die Bank von der Firma des schwedischen Ex-Profis Tony Blixt. Dabei wird vor allem in eine Richtung bedüst: "Durch Überfetten kannst du von einem Leistungsüberschuss profitieren", verblüfft Gerhard. "Abmagern kommt eigentlich nicht infrage - denn dann verliert der Motor seine Start-Eigenschaften, weil das Drehmoment runtergeht." Die Tuner verschlimmbessern die Gemischanreicherung also bewusst, um die Leistungskurve anzupassen. Lausch ergänzt: "In Gelsenkirchen braucht man dennoch einen eher schwach verdichteten Motor; das wird sich im Bereich von 12,5 bis 14:1 abspielen." Und Gerhard vergleicht: "Auf den langen und schnellen polnischen Bahnen kann man schon mal bis 17:1 hochgehen."

"Durch Überfetten kannst du von einem Leistungsüberschuss profitieren." Marcel Gerhard

Die Speedway-Fahrer folgen dem alten Motorsportler-Sprichwort, die Leistung auf die Kette zu bringen: Vorn arbeitet die Primärkette, die mit Geschwindigkeiten von mehr als 30 m/s rotiert. "Die ist sehr hoch belastet", sagt Gerhard, selbst Langbahn-Weltmeister 1992, "deswegen wird für sie auch Motorsägen-Ketten-Schmieröl verwendet."

Entscheidend für die Abstimmung ist aber die Kette, die zum Ritzel am Hinterrad führt. Denn das Ritzel ist ein weiteres Abstimmungs-Element. "Man fährt zwischen 55 und 59 Zähnen", beschreibt der Eidgenosse. "Wenn man ein kleineres Ritzel mit weniger Zähnen verwendet, hat man eine längere Gesamtübersetzung. Das ist wie, wenn man im Auto vom dritten in den vierten Gang schaltet. In Gelsenkirchen muss man kürzer übersetzen - wahrscheinlich mit 58 oder 59 Zähnen, ähnlich wie in Cardiff. Das ist die kürzeste Übersetzung, die's gibt." Lausch präzisiert: "Das entspricht einem Übersetzungsverhältnis von 9,6 bis 9,8:1."

Leichtgewichte mit 120 km/h

Damit kommen die Speedway-Maschinen, die nur 77 Kilogramm auf die Waage bringen müssen, selbst auf den kurzen Geraden in der Arena Auf Schalke noch auf Top-Speeds von knapp 120 km/h. "Das ist noch relativ langsam", ordnet Lausch ein. "Wir reden hier von einer Geraden von 50 Meter. Da ist die Endgeschwindigkeit nicht so gravierend wie auf einer 1000 Meter-Langbahn. Aber trotzdem ist die Beschleunigung Auf Schalke beeindruckend. Denn die Fahrer kommen in den engen Kurven ja fast zum Stillstand. Da haben sie vielleicht noch 40 km/h drauf. Die Beschleunigung ist auf jeden Fall höher als nur Porsche-mäßig."

Eine Wissenschaft für sich sind die Kupplungen. An denen schrauben die Fahrer mit Vorliebe selbst herum. Denn auf die Starts kommt unheimlich viel drauf an - und die werden maßgeblich von den Kupplungen bestimmt. Der Kraftschluss erfolgt über sieben Reibscheiben - vier organische und drei aus verchromtem Aluminium, die im Wechsel in den Kupplungskorb gelegt werden. Bei den organischen Scheiben ist die deutsche Firma Haruhschi Marktführer. Im Gegensatz zu anderen Motorsport-Arten, finden Kohlefaser-Lamellen im Bahnsport keinen Einsatz. Und während in der Langbahn-WM eine hydraulische Kupplungsbetätigung erlaubt ist, muss der Hebel am Lenker im Speedway mit einem herkömmlichen Bowdenzug mit der Kupplung verbunden sein.

Ein Hinterreifen wird nach einem Lauf einfach umgedreht und wiederverwendet Zoom

Gerhard beschreibt die Anforderungen an die Kupplung. "Sie muss 100 Prozent trennen, damit sie nicht zu ziehen beginnt - sonst wird man ins Startbahn hineingezogen. Und sie darf nicht zu stark reinknallen, damit du noch einen Ant-Schlupf-Faktor erreichst und nicht gleich die volle Kraft aufs Hinterrad geht - sonst dreht das nur durch, und du kommst nicht vom Fleck." Dieses diffizile Anforderungsprofil und der hitzebedingte Verschleiß der Reibscheiben führt dazu, dass die Fahrer immer wieder die Kupplungen nachstellen müssen. "Mit weniger Federspannung", beschreibt Gerhard die Arbeit in der Hocke, "rutscht die Kupplung mehr. Dann ist auch das Schlupfmoment größer - aber es pfeift weniger Leistung zum Hinterrad durch. Die meisten Fahrer haben ihre eigenen Erfahrungswerte und Vorlieben, daher ist das Einstellen der Kupplungen so schwer."

Gleiches gilt auch für den richtigen Luftdruck in den Reifen, die auf Felgen in 2,75 x 23 Zoll vorn und 3,75 x 19 Zoll hinten laufen. Die Fahrer erhalten Einheitsreifen der tschechischen Firma Mitas, die früher Barum hieß. Sie kriegen diese Pneus erst unmittelbar vor der Veranstaltung zugeteilt. Heizdecken sind ebenso verboten wie andere Vorbehandlungen, etwa mit Chemikalien. "Nach dem ersten Lauf haben die Fahrer eine Rückmeldung, wie der Reifen sich abfährt", erklärt Lausch. "Die lesen förmlich den Gummi - und folgern daraus, wie der Reifen zur Motorcharakteristik passt. Denn das bringt auch Traktion." Gerhard fügt hinzu: "Man fährt einen Luftdruck zwischen 0,5 und 0,6 bar. Bei zu hohem Luftdruck wird die Auflagefläche des Reifens kleiner. In den Kurven walkt der Reifen. Und weil das Hinterrad immer Schlupf hat, geht der Reifen auseinander. Deswegen kannst du selbst mit einem Platten noch zuende fahren, solange der Reifen von Klemmern wie beim Moto Cross auf der Felge gehalten wird."

Die zwei Seiten der Reifen-Medaille

Das Fehlen der Bremse macht es zudem möglich, dass das Hinterrad zweimal verwendet werden kann - indem man es nach seinem ersten Renneinsatz einfach mitsamt dem Rad umdreht. Denn den Zahnkranz kann man links und rechts montieren. Dann kommt die beim ersten Lauf nicht abgefahrene Seite nochmal voll zum Einsatz.

Auch andere Finessen sieht man erst auf den zweiten Blick. Beispielsweise ein verstellbarer Steuerkopf, den der legendäre Schwede Tony Rickardsson salonfähig gemacht hat. "Damit kann man das Vorderrad außermittig setzen", schraffiert Gerhard: "Auf einer sehr griffigen Bahn versetzt man es nach links; das hilft beim Einlenken. Wenn die Bahn sehr glatt ist, muss man es nach rechts versetzen, um mehr Grip zu kriegen."

Jason Crump

Jason Crump bereitet sich innerlich auf den nächsten Lauf vor Zoom

Das Vorderrad ist nebenbei auch das einzige Element des Motorrads, das ein echtes Fahrwerk beherbergt: In der Schwinggabel befindet sich eine Gummiverbindung zum Holm, die auf Zug belastet wird. Dazu wird ein hydraulischer Dämpfer montiert. "Du kannst einfach ein Gummi drauflegen oder runternehmen", schildert Gerhard Fahrwerksarbeiten im NASCAR-Stil oder mit sogenannten Bump-Stopps im Monoposto-Bereich, "um die Gabel härter oder weicher zu machen."

Die Basisabstimmung erarbeiten die Fahrer im Training, das in Gelsenkirchen am Nachmittag des 10. Oktober stattfinden wird. "Dabei kommt viel auf den Fahrer und sein Gefühl an", sagt Lausch. "Von digitalen Datenaufzeichnungen, die früher verwendet wurden, ist man komplett wieder weggekommen. Denn von der theoretischen Idealvorstellung, die technisch vielleicht am besten wäre, weichen die Vorlieben des Fahrers teilweise sehr stark ab - weil er individuelle Eindrücke und Vorlieben hat, wie er mit dem losen Geläuf und den ständig wechselnden Grip-Verhältnissen am besten umgehen möchte. Da ist sehr viel auf Erfahrungswerten aufgebaut - und es kommt unheimlich viel auf den Fahrer persönlich an."

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