Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Miguel Oliveira

Nach starken Rennen zu Beginn der zweiten Saisonhälfte geht bei Miguel Oliveira bei den Übersee-Rennen nicht mehr viel - Steckt seine Karriere in einer Sackgasse?

Liebe MotoGP-Fans,

Titel-Bild zur News: Miguel Oliveira

Bei den Übersee-Rennen hat Miguel Oliveira bisher kein Top-10-Ergebnis Zoom

die Rennleitung, die Dorna und der lokale Veranstalter haben am Australien-Wochenende die richtigen Entscheidungen getroffen. Die Vorverlegung des Grand Prix auf Samstag und die Absage des Sprints waren aufgrund der Wettersituation alternativlos. Ich finde es gut, dass hier von allen Seiten flexibel auf die Situation reagiert worden ist.

Ein Kandidat für unsere traditionelle Montagskolumne könnte Jorge Martin sein. Nach dem Sturz in Mandalika hat er auf Phillip Island mit dem weichen Reifen gepokert. Im Endeffekt hat ihm nur eine Runde gefehlt. Also der ganz tiefe Griff ins Klo war es eigentlich nicht.

Ich möchte mich in unsrer heutigen Kolumne der Situation von Miguel Oliveira widmen. Denn irgendwie ist er vom Gefühl her in seiner Karriere in eine Sackgasse geraten. Prinzipiell zählt der Portugiese für mich zu den talentiertesten und cleversten Fahrern der aktuellen Generation.

Werfen wir einen Blick zurück in die Moto2-Saison 2018. Francesco Bagnaia und Oliveira lieferten sich damals ein WM-Duell auf höchstem Niveau. Beide haben alle Rennen in den WM-Punkterängen beendet und somit praktisch eine perfekte Saison abgeliefert.

Am Ende hatte Bagnaia neun WM-Punkte mehr auf dem Konto. Ich finde, man kann aber bis heute nicht sagen, dass Oliveira ein "viel schlechterer" Fahrer als Bagnaia ist. Schließlich hat Oliveira auch in der MotoGP schon fantastische Rennen gezeigt.

KTM-Ingenieure wollten andere Richtung einschlagen

Natürlich spielt das Motorrad eine große Rolle. In der aktuellen MotoGP kann ein Fahrer nicht mehr den großen Unterschied ausmachen, wie es vielleicht noch vor einigen Jahren der Fall gewesen ist. Die Technik ist extrem komplex geworden.

Und das war auch ein Mitgrund, warum Oliveira seinen Platz bei KTM an Jack Miller verloren hat. "Jack muss erst einmal zeigen, dass er schneller ist als Miguel", hat KTM-Motorsportchef Pit Beirer im vergangenen Sommer einmal gesagt.

Wenn man sich die Saison von Miller bisher ansieht, dann hat er das eigentlich auch nicht gezeigt. Aber für die Entwicklung des Gesamtprojekts war es für KTM extrem wichtig, den Australier mit seinem Crewchief Christian Pupulin von Ducati zu holen.

"In einigen Bereichen hatten wir technisch eine klare Vision, wo wir hinwollen", hat mir KTM-Ingenieur Sebastian Risse zuletzt erläutert. "Unsere Spitzenfahrer haben sich früh einen bestimmten Fahrstil angeeignet, der viel der Elektronik überlassen hat."

Miguel Oliveira

Mit fünf Siegen ist Miguel Oliveira immer noch der erfolgreichste KTM-Fahrer Zoom

"Wenn jemand so einen Fahrstil hat, dann hat man als Techniker die Möglichkeit zu sagen: 'Ich glaube, du kannst das aber besser. Ich gebe dir die Freiheit. Wenn du sie nicht nutzt, wirst du langsamer.'"

"Das kann man ein Rennen machen, zwei Rennen machen. Du siehst, wie die Ergebnisse nicht kommen und man Performance verliert. Du glaubst, der Fahrer könnte das, aber du brauchst am Ende einen Fahrer, der das so umsetzt."

"Der setzt das nur so um, wenn er die Erfahrung mit einem anderen Hersteller hat und Daten von anderen Konkurrenten gesehen hat. Damit hat Jack etwas vorgelebt, was wir schon lange im Sinn hatten. Er hat gezeigt, dass das funktionieren kann."

Sebastian Risse

Ingenieur Sebastian Risse ist von Beginn an Teil des MotoGP-Projekts von KTM Zoom

Im Vorjahr hatte KTM vier Fahrer, die ausschließlich die RC16 kannten. Die Ingenieure brauchten aber die Bestätigung, dass man gewisse Dinge auch anders machen kann. Deswegen war Millers Feedback speziell bei den Wintertests und zu Saisonbeginn so wertvoll.

"Ich glaube, der andere wichtige Punkt, den Jack zu uns ins Projekt gebracht hat, ist die Zeitattacke. Wir hatten zwei Fahrer, deren Stärke das nicht war, sondern deren Stärke die Renndistanz war", so Risse über Oliveira und Brad Binder.

"Wenn man jemanden hat, der zeigt, wie es geht, dann hat das auch Brad viel geholfen." Außerdem holte sich KTM auch Alberto Giribuola ins Team. Der ehemalige Crewchief von Andrea Dovizioso und Enea Bastianini ist mit seiner Erfahrung Performance-Ingenieur für alle KTM-Fahrer.

Wie Wilco Zeelenberg Oliveira charakterisiert

Mit dem Wechsel zu RNF-Aprilia wollte Oliveira sein Talent und seine Klasse beweisen. Denn mit dem Vorjahresmodell ist er nicht in die Entwicklung eingebunden. Es geht prinzipiell darum, die Performance zu optimieren und sich mit starken Leistungen ins Bild zu setzen.

In der ersten Saisonhälfte hat Oliveira das Pech leider fast magisch angezogen. Für die Unfälle in Portimao und Jerez konnte er nichts. Dass er sich dabei auch immer Verletzungen zugezogen hat, war extrem bitter. Ich ziehe meinen Hut vor ihm, dass er sich tapfer zurückgekämpft hat.

Miguel Oliveira

Zu Beginn der zweiten Saisonhälfte zeigte Miguel Oliveira einige starke Rennen Zoom

Die zweite Saisonhälfte begann dann so, wie man es von ihm erwarten durfte. Ein starker vierter Platz in Silverstone, mit Reifenproblemen noch Fünfter in Barcelona und Rang sechs in Misano. Er schien in die Spur gefunden zu haben und konnte sein Talent und seinen Speed zeigen.

Aber bei den Überseerennen ist der Faden wieder gerissen. Es gab kein Top-10-Ergebnis. Ich habe RNF-Teammanager Wilco Zeelenberg nach seiner generellen Einschätzung zu Oliveira gefragt. "Manchmal ist er zu clever", meint der ehemalige Rennfahrer.

Razlan Razali; Wilco Zeelenberg

Teammanager Wilco Zeelenberg mit Teamchef Razlan Razali Zoom

"Wenn man über eine Schwäche reden würde, dann sollte er manchmal einfach abschalten und attackieren. Er ist sehr clever und intelligent. Zum Beispiel wie er die Informationen an die Ingenieure weitergibt. Er macht es sehr gut, damit sie wissen, was zu tun ist."

"Er weiß genau, wie er diese Motorräder knapp unter dem Limit fahren muss, um sehr konstant zu sein. Es kostet ihn auch nicht viel Energie, das zu tun. Er kann alleine einen sehr guten Rhythmus fahren. Das ist eine seiner Stärken."

Oliveira braucht dringend wieder gute Ergebnisse

Zuletzt hat auch sein Teamkollege Raul Fernandez gute Ansätze und eine Steigerung gezeigt. Langsam versteht der Spanier die Komplexität der MotoGP besser. Ich schätze, dass in ihm auch noch mehr Potenzial steckt. Warten wir ab, ob er das auch umsetzen kann.

Deswegen bin ich der Meinung, dass Oliveira wirklich aufpassen muss. Er muss wieder zeigen, was in ihm steckt. Denn sonst hätte er im nächsten Frühling, wenn der große Transferpoker für 2025/26 beginnt, keine guten Karten in der Hand.

Miguel Oliveira

Honda hat angefragt, aber bisher kein konkretes Angebot vorgelegt Zoom

Oder nimmt er Reißaus und fährt 2024 für Honda? Aus sportlicher Sicht wäre das ein riskantes Manöver. Ob ein gut dotiertes Gehalt die Gedanken an die Sturzstatistik der aktuellen Honda-Fahrer kompensiert? Mit seiner Cleverness und seinem Talent wäre er für Honda sicher interessant.

In Australien hat Oliveira festgehalten, dass ihm Honda bisher kein konkretes Angebot auf den Tisch gelegt hat. Wir haben auch hinter den Kulissen nichts gehört, dass sich diesbezüglich etwas bewegt. Also scheint Oliveira Stand heute seinen Zweijahresvertrag mit Aprilia zu erfüllen. Welche Pläne Honda konkret hat, um den Platz von Marc Marquez zu besetzen, wissen wir momentan nicht.

Ihr,


Gerald Dirnbeck

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